# taz.de -- Die Wahrheit: Büschel und Puschel
       
       > Die neueste stylische Mode aus New York ist jetzt in Berlin angekommen:
       > Endlich sind Nasen- und Ohrenhaare total hip.
       
 (IMG) Bild: Vorbild für die neue Haarmode ist der indische Weltrekordhalter im Ohrenlanghaar B. D. Tyagi
       
       Es ist ein Thema, über das gemeinhin niemand gern spricht: Haare in den
       Ohren und Nasen. Eher reden Männer über Prostataprobleme oder Darmfollikel,
       Frauen über Speckrollen oder Hammerzehen als über Wildwuchs aus den
       Sinnesorganen. Eine neue Bewegung aus den USA bekennt sich nun allerdings
       offensiv dazu, inzwischen gibt es auch in Deutschland erste Follower des
       „Growing“. Bei der Berliner Fashion Week im Januar wurden erstmals Models
       mit grell gefärbten oder kunstvoll geflochtenen Nasenhaaren auf den
       Laufstegen gesichtet. Ein Besuch bei Deutschlands erstem Nasenhaar-Coiffeur
       verschafft uns einen Einblick ins „Growing“-Milieu.
       
       Damian Wohlleben betreibt sein Studio an der Chausseestraße in
       Berlin-Mitte: ein klassischer Friseursalon der gehobenen Preisklasse. Hier
       lässt sich stylen, was sich in der Hauptstadt für hip hält. Damian selbst
       ist eine drahtige Erscheinung mit zahlreichen Tattoos und Piercings, und
       wenn er, geübt zwischen den Sprachen Englisch und Deutsch hin und her
       switchend, plaudert, sollte man vor seinen ausladenden Gesten in Deckung
       gehen, trägt er doch immer mindestens eine spitze Schere in den lilagrün
       tätowierten Fingern.
       
       „Nasenhaarstyling ist bislang nur ein kleiner Zuerwerb für mein Studio“,
       verrät er uns. „Das Movement ist noch klein. But it grows. Geh mal in einen
       New Yorker Technoclub, da wirst du kaum noch guys and girls sehen ohne
       offen getragene Nasenhaare.“
       
       Gerade bereitet Damian Models für einen Showcase vor, der in wenigen
       Stunden in einer ausgemusterten Industriehalle in Pankow stattfinden soll.
       Bei einigen hat der beurkundete Handwerksmeister mehr als nur das Haupthaar
       gestylt.
       
       ## Kämpferischer Coiffeur
       
       „Haupthaar – ich mag dieses Wording überhaupt nicht“, gibt er sich
       kämpferisch. „Als gäbe es Haupt- und Nebenhaare, gutes Haar, schlechtes
       Haar. – Bullshit, es gibt nur Haar, und jedes Haar is beautiful!“
       
       Als Hairstylist wolle er den Menschen ganzheitlich betrachten. Nasen- und
       Ohrenhaare zu verteufeln, sei nur eine Bodyshaming-Variante mehr. Damian
       verweist auf die feministische Bewegung. „Da sind Achselhaare ja inzwischen
       Mark-up femininer Confidence und stehen für weibliche body positivity“,
       reklamiert er das Vorbild für sich. „Wir sind pro brush, für das Büschel“,
       berichtet er stolz, „und das unabhängig, aus welcher Höhle es sprießt.
       Every hair is sacred!“
       
       Gerade kämmt Damian einem Model mit dem hünenhaften Körper eines
       wasserballspielenden Fleischers die Haare in den Ohren zu einem glatten
       Strang. „Für mich ist das auch ein Stück weit männliches self empowerment“,
       führt Damian aus. „Überall fallen uns die Haare aus. Wo sie noch wachsen,
       sollten wir sie hegen und pflegen.“
       
       Timon gesellt sich zu uns, ein weiteres von Damians Models, er soll für ein
       angesagtes Label nachher die neueste Clubwear-Kollektion vorführen.
       
       „Ich hab starken Nasenhaarwuchs“, gesteht er uns. „Und litt sehr drunter.
       Im Modelberuf sind Haare am Körper, die ein Stylist nicht bearbeitet hat,
       ein absolutes No-Go. Alles musste man sich ausreißen, wegrasieren,
       epilieren.“
       
       „Was für ein Bullshit!“, echauffiert sich Damian. „Viel easyer ist doch der
       Gedanke: Du hast da hair, dann mach was draus!“ Timon hätte seine Haare nur
       zwei Monate ungebremst wachsen lassen müssen. „Und look: das Resultat! Da
       ist doch amazing?!“
       
       Wir betrachten Timon. Seinen Kopf ziert ein adretter Vokuhila, wie man ihn
       als modebewusster Mann heutzutage wohl trägt. Doch den nimmt man kaum wahr,
       unser Blick hängt in seinem Gesicht fest. Es sieht aus, als wüchsen Timon
       zwei tiefschwarze Eiszapfen aus der Nase. Schlimmer als die zurzeit so
       angesagten Schnauzbärte sehen sie auch nicht auxs. Einen solchen trägt
       Timon allerdings auch. Korallenrot gefärbt und mit gezwirbelter Bartspitze
       wie zu Bismarcks Zeiten.
       
       ## Nonbinäre Nasenhaare
       
       „Ab ner gewissen Länge kannst du auch Perlen reinflechten“, verrät uns
       Damian und winkt Jureka zu sich ran. Die zierliche Belarussin, gefragtes
       Model für nonbinäre Unterwäsche, hat ein zartes Gesicht. Doch wir können
       die Blicke nicht von ihrer Nase abwenden. In den zusammengezwirbelten,
       platinblond gefärbten Nasenhaaren leuchtet uns eine neongrüne Perle
       entgegen. Ein Hingucker ist sie in der Tat, wir starren und starren, sind
       ein bisschen fassungslos, können den Blick aber auch nicht abwenden: Die
       Perle hüpft bei jedem Atemzug von Jureka vorwitzig auf und ab und sieht
       dabei aus wie ein, man kann es nicht anders sagen, glasierter Popel. „Ist
       es nicht fantastisch?“, tiriliert Damian.
       
       Wir gucken lieber woanders hin: Dem Hünen im Friseurstuhl vor ihm streicht
       Damian nun eine himmelblaue Farbpaste auf den frisch gebürsteten Strang
       Ohrenhaare. Es riecht leicht nach Ammoniak. „Mit Colour lässt sich da
       unglaublich viel machen.“ Man merkt Damian seine Begeisterung an. „Ich
       verrat dir was: Wenn Till Lindemann beim nächsten Rammstein-Konzert Flammen
       aus den Ohren schießen, dann sind das bloß seine gefärbten Haare darin!“
       Lindemann sei ja gerade sechzig geworden, in dem Alter sprössen die Haare
       dort reichlich.
       
       Der Salon boomt, die Nachfrage steigt. „Für People mit wenig Haarwuchs, zum
       Beispiel weiblich gelesene Menschen, bieten wir auch Extensions für Nase
       und Ohr an“, wirbt Damian, „oder Nasenhaartoupets!“
       
       Zurzeit bildet er die erste Mitarbeiterin zur zertifizierten
       Bodyhair-Coiffeurin aus. „Wir versuchen diese Aspekte in der
       Berufsbeschreibung bei der IHK durchzusetzen, aber das ist echt mühsam“,
       seufzt Damian Wohlleben. „Da musst du echt Haare auf den Zähnen haben“,
       sagt er und lacht aus vollem Hals.
       
       1 Feb 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Volker Surmann
       
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