# taz.de -- Fußball und Nationalsozialismus: Beim Club im Keller
       
       > Mit Gespür für die Biografien verbannter jüdischer Vereinsmitglieder
       > arbeitet Bernd Siegler die Geschichte des 1. FC Nürnberg im NS-Regime
       > auf.
       
 (IMG) Bild: Club-Fans erinnern an den jüdischen Trainer Jenö Konrad, den die Nazis schon 1932 vertrieben
       
       Es sind 15 verstaubte Kartons. Sie sind der Ursprung des dicken Buches, das
       der langjährige taz-Redakteur Bernd Siegler soeben unter dem Titel „Heulen
       mit den Wölfen“ veröffentlicht hat. Jahrzehntelang hatten sie in einem
       abgelegenen Kellerraum des Vereinsgeländes gelegen. Dann fand sie der
       Hausmeister, der prompt Siegler anrief – ein Glücksfall, der bei vielen
       Profivereinen nie eintrat, wo zum Teil komplette Vereinsarchive bei Umzügen
       weggeworfen wurden, sodass vielerorts noch heute die Vereinsgeschichte in
       der [1][NS-Zeit] weitgehend unerforscht ist.
       
       Das war bis vor Kurzem auch in [2][Nürnberg] so. Doch in den Kartons am
       Valznerweiher fand Siegler die Mitgliederkartei der Jahre von 1928 bis
       1955, darunter auch diejenigen der 142 jüdischen Vereinsangehörigen, die
       der FCN 1933 [3][ausschloss]. Mit seinem Buch setzt Siegler das Vorhaben
       um, „den bislang namenlosen und unbekannten jüdischen Mitgliedern des Clubs
       eine Geschichte und ein Gesicht zu geben“. Die Einzelporträts machen dabei
       den Hauptteil aus, doch sie sind dankenswerterweise in ihren historischen
       Kontext eingebettet, dem etwa ein Viertel des Buches gewidmet ist. Auch für
       Leser ohne profundere Vorkenntnisse ist das Buch daher lohnend.
       
       Der FCN jedenfalls machte sich bereits drei Monate nach der sogenannten
       Machtergreifung daran, die jüdischen Mitglieder hinauszuwerfen. Am 27.
       April 1933 wurde deren Ausschluss beschlossen, drei Tage später war er
       vollzogen – offenbar mit tatkräftiger Unterstützung aus dem Rathaus, das
       die nötigen Daten geliefert haben muss. Schließlich war die Religion der
       Mitglieder auf den Karteikarten nicht verzeichnet.
       
       In einigen Fällen beschränken sich die Geschichten der 142 Jüdinnen und
       Juden auf einen grobkörnigen Lebenslauf, in weitaus mehr Fällen bekommt man
       beim Lesen ein Gefühl für die Person und damit für die Tragödien, die der
       NS-Rassenwahn schuf. Anrührend ist die Geschichte von Werner Gruber, Sohn
       eines evangelischen Vaters und einer jüdischen Mutter, der, wie er selbst
       sagt, „als Junge keine Ahnung hatte, wer ein Jude war und wer nicht“, als
       16-Jähriger von Hamburg aus nach New York geschickt wurde und zeitlebens
       nicht verstand, was nicht zu verstehen ist: „Es war so schockierend für
       mich, ich war so jung, so unschuldig.“ Das war auch Walter Seefried
       Rothschild, der als Frontsoldat 1944 auf Heimaturlaub verhaftet und nach
       Buchenwald deportiert wurde. Er kehrte nach Franken zurück, enthielt für
       jeden Tag im KZ fünf Euro Haftentschädigung und verfolgte nach 1945 die
       Spiele seines Lieblingsvereins. „Nach den Heimspielen kam er vollkommen
       heiser nach Hause“, erinnert sich seine Tochter.
       
       Als eine von 32 Frauen wird Gerda Schloss vorgestellt, die an jenem 30.
       April als Schülerin aus der Schwimmabteilung geworfen wurde, später nach
       Palästina emigrierte und sich dort am Aufbau eines sozialistischen
       jüdischen Staates beteiligen wollte. Schloss, die nun Chaya Arbel hieß,
       starb 2006 als eine der berühmtesten Komponistinnen Israels.
       
       Bis sich der Fußball endlich mit seiner Vergangenheit zu beschäftigen
       begann, dauerte es gut zwanzig Jahre länger als in anderen
       gesellschaftlichen Bereichen. Insofern ist es ebenso selbstverständlich wie
       erfreulich, wie eindeutig und stringent sich FCN-Geschäftsführer Niels
       Rossow heute zur Vergangenheit des Vereins äußert: Der Club habe
       „Schreckliches getan und Schuld auf sich geladen“, sagt er. Das Buch treffe
       den Verein „im Innersten“.
       
       Alle damals ausgeschlossenen jüdischen Vereinsmitglieder sind mittlerweile
       gestorben. Der FCN, der bei Sieglers Buch als Herausgeber fungiert, hat sie
       nun posthum wieder aufgenommen.
       
       5 Feb 2023
       
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