# taz.de -- Syrisch-türkische Beziehungen: Tauwetter im Sinne Putins
       
       > Syriens Diktator Assad und der türkische Präsident Erdoğan nähern sich
       > an. Vor einer echten Verständigung sind aber komplexe Fragen zu klären.
       
 (IMG) Bild: Gemeinsame Patrouille des russischen und türkischen Militärs in der syrischen Provinz Latakia
       
       Istanbul taz | Was jahrelang undenkbar war, könnte demnächst tatsächlich
       stattfinden: ein Treffen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan
       mit Syriens Diktator Baschar al-Assad. Es wäre eine Entwicklung im Sinne
       Putins. Die russische Regierung treibt das Projekt seit Wochen voran, würde
       ihr eine türkisch-syrische Annäherung angesichts des [1][Krieges gegen die
       Ukraine] doch Entlastung auf dem Kriegsschauplatz Syrien bringen.
       
       Putin drängt Erdoğan seit Langem, sich mit Assad zu verständigen, um
       weitere kriegerische Auseinandersetzungen in Syrien zu verhindern. In
       einem ersten Schritt hatten sich vor zwei Wochen der türkische und der
       syrische Verteidigungsminister in Moskau getroffen, nun hat Russlands
       Außenminister Sergei Lawrow ein baldiges trilaterales Treffen der
       Außenminister angekündigt. Läuft dieses gut, soll auch ein Treffen auf
       höchster Ebene stattfinden. Putin will in Moskau direkte Verhandlungen
       zwischen Assad und Erdoğan moderieren.
       
       Die Pläne sind Putins Alternative zu [2][Erdoğans angedrohtem Einmarsch in
       Nordsyrien]. Zwar wäre Assad von einer erneuten türkischen Invasion nur
       mittelbar betroffen, weil das Gebiet, das Erdoğan im Nordosten Syriens
       besetzen will, von den syrischen Kurden der DYP mit ihrer YPG-Miliz
       kontrolliert wird. Doch ein erneuter türkischer Einmarsch würde Syrien
       insgesamt destabilisieren und das derzeit fragile Gleichgewicht im Land
       infrage stellen. Außerdem will Assad auf längere Sicht wieder die Kontrolle
       über das gesamte syrische Staatsgebiet erlangen, statt [3][Teile des Landes
       mit der Türkei teilen zu müssen].
       
       Doch eine Vereinbarung zwischen Erdoğan und Assad bleibt schwierig – nicht
       nur weil beide Seiten jahrelang erbittert gegeneinander gekämpft haben,
       sondern auch weil die dabei zu lösenden Probleme hochkomplex sind.
       
       ## Drei Schritte müssen erfüllt sein für ein Treffen
       
       Damit Erdoğan auf ein Treffen eingehen kann, müssen mehrere Bedingungen
       erfüllt sein: Erstens muss Assad eine sichere Rückkehrmöglichkeit für
       mindestens einen Teil der knapp vier Millionen syrischer Flüchtlinge
       schaffen, die teils seit Jahren in der Türkei leben.
       
       Zweitens muss Assad Garantien für Erdoğans syrische Partner geben, also für
       verschiedene sunnitisch-islamistische Organisationen, die an der Seite der
       türkischen Armee gekämpft haben und jetzt in den von der Türkei
       kontrollierten Gebieten in Nordsyrien eine wichtige Rolle spielen.
       
       Drittens muss Assad dafür sorgen, dass in Nordsyrien kein [4][kurdischer
       De-facto-Staat wie im Nordirak] entsteht, denn die türkische Seite geht
       davon aus, dass einen solchen die PKK kontrollieren würde.
       
       Für Assad wiederum wäre eine Vereinbarung mit der Türkei nur attraktiv,
       wenn er die Kontrolle über die nordwestliche Provinz Idlib zurückbekommt,
       den letzten Zipfel Syriens, der noch mit türkischer Unterstützung von
       bewaffneten Aufständischen kontrolliert wird, die einst Assad stürzen
       wollten.
       
       Schon jetzt gibt es Proteste bei Erdoğans syrischen Verbündeten. Sie haben
       Angst, die Türkei könnte sie fallen lassen. Erdoğan ist zwar nicht dafür
       bekannt, besondere Skrupel bei politischen Schwenks zu haben, aber er
       müsste sich überlegen, welchen Eindruck ein „Verrat“ an seinen bisherigen
       Verbündeten in der arabischen Welt machen würde.
       
       Noch größer aber dürfte Erdoğans Angst sein, dass bei einem Deal mit Assad
       über Idlib Tausende syrische Familien, die vor Assads Armee dorthin
       geflohen sind, erneut fliehen würden und dann versuchen würden, sich in der
       Türkei in Sicherheit zu bringen. Insbesondere vor der für den [5][14. Mai
       geplanten Parlaments- und Präsidentschaftswahl] in der Türkei sind neue
       syrische Flüchtlinge das Letzte, was Erdoğan will.
       
       ## Es ist Wahlkampf in der Türkei
       
       Im Gegenteil: Sein wichtigstes Anliegen bei möglichen Gesprächen mit Assad
       wäre, dass Bedingungen geschaffen werden, die es syrischen Flüchtlingen
       ermöglichen, aus der Türkei nach Syrien zurückzugehen. Eines der
       Hauptthemen im anstehenden Präsidentschaftswahlkampf ist die Rückkehr der
       Flüchtlinge. Je schlechter es vielen Türken wirtschaftlich geht, desto
       stärker wird die Abneigung gegen die Millionen Flüchtlinge, die ihnen
       angeblich die Jobs wegnehmen und darüber hinaus auch noch staatliche
       Unterstützung beziehen.
       
       Die türkische Opposition hat deswegen bereits angekündigt, nach einem
       Wahlsieg gleich das Gespräch mit Assad zu suchen, um eine „Rückführung“ der
       Flüchtlinge zu ermöglichen. Erdoğan steht im Wahlkampf mit dem Rücken zur
       Wand und braucht deshalb unbedingt eine eigene Perspektive, um wenigstens
       einen Teil der Flüchtlinge wieder zurückschicken zu können. Sein
       ursprünglich geplanter Einmarsch in Nordsyrien sollte ja nicht nur dazu
       dienen, die Kurden aus einer 30 Kilometer breiten Pufferzone entlang der
       Grenze auf syrischem Gebiet zurückzudrängen, sondern sollte in diesem
       Gebiet ausdrücklich auch Platz schaffen für Hunderttausende syrische
       Flüchtlinge.
       
       Da die Wahlen in der Türkei bereits im Mai stattfinden sollen, dürfte
       Erdoğan bereit sein, sich schon bald mit seinem Amtskollegen Assad zu
       treffen. Doch der hat es offenbar weniger eilig. Nach inoffiziellen
       Informationen aus Ankara steht Assad derzeit noch auf der Bremse.
       
       26 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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