# taz.de -- Dopingfolgen im Profifußball: Todesfälle ohne Folgen
       
       > In Italien ist eine Diskussion über früh verstorbene Ex-Profifußballer
       > entbrannt. Das hat fast schon Tradition – auch, dass Konsequenzen
       > ausbleiben.
       
 (IMG) Bild: Gianluca Vialli feuert sein Mitspieler an bei der EM 1988
       
       Und wieder grüßt das Dopingmurmeltier. Stirbt in Italien ein früherer
       Fußballprofi an Krebs, Leukämie, ALS (amyotrophe Lateralsklerose) oder auch
       einem Herzinfarkt lange vor Erreichen der normalen Lebensendzeitzone, ist
       die Aufregung groß. Oft wird Doping dahinter vermutet, wie auch jetzt, im
       Nachtrab des Todes von Gianluca Vialli.
       
       Der frühere Nationalstürmer, von 1980 bis 1999 Profi, starb im Alter von 58
       Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Kurz vorher starb Sinisa Mihaijlovic,
       53, von 1986 bis 2006 Profi, davon die meiste Zeit in Italien, an Leukämie.
       Auf dessen Beerdigung – Vialli rang da noch mit dem Krebs – forderte
       Claudio Lotito, Präsident vom Erstligaklub Lazio Rom und viele Jahrzehnte
       Funktionär im Fußballverband FIGC, man müsse untersuchen, was die vielen
       Krankheitsfälle im Profisport ausgelöst haben könnte.
       
       Als Vialli dann tot war, setzte eine regelrechte Bekenntniswelle ein.
       „Solche Dinge passieren zu vielen Sportlern. Auch ich habe Angst“, bekannte
       Dino Baggio, Profi von 1990 bis 2005 und stolze 60 Länderspiele für
       Italien. Ihm schloss sich Nationalmannschaftskollege Antonio Di Gennaro,
       64, Profi von 1976 bis 1992, an. Er gab den Einsatz von Micoren und Argoton
       zu. Beide Mittel sollen für besseres Atmen sorgen.
       
       „Bei Argoton sagten sie mir, ich sollte es vor Donnerstag nehmen, um nicht
       bei den Dopingkontrollen aufzufallen“, erzählte Di Gennaro. Auch Florin
       Raducioiu, 52, der in seiner fast zwei Jahrzehnte währenden Karriere (1985
       bis 2004) in allen fünf großen europäischen Ligen spielte, sechs Jahre
       davon in Italien, sprach von zahlreichen Substanzen sowie Infusionen von
       rosa Flüssigkeiten.
       
       ## „Die Jungs sehen etwas müde aus“
       
       Am besten fasste Lamberto Boranga, stolze 80 Jahre alt, von 1961 bis 1984
       Profi und nach der Fußballkarriere als Mediziner tätig, die Sachlage
       zusammen: „In meiner Zeit haben wir jede Menge kleiner und großer Pillen
       genommen. Ein Standardspruch der Athletiktrainer war: ‚Die Jungs sehen
       etwas müde aus. Geben wir ihnen etwas.‘“
       
       Die Medikamente trugen laut Boranga zu erhöhter Konzentration im Spiel bei
       und peitschten zu permanenter Bewegung an. Er beobachtete auch, dass ganz
       eifrige Spieler von sich aus die Dosis erhöhten: „Statt einer Pille Micoren
       nahmen sie zehn oder sie machten zehn Tropfen auf einen Löffel Zucker,
       manche gar 20 oder 30.“ Mit seinem späteren Expertenwissen konstatiert
       Boranga Folgeprobleme vor allem für Leber oder eben Bauchspeicheldrüse.
       
       All diese Offenheit ist gut. Das Problem ist nur, dass dieselben
       Erkenntnisse bereits seit Jahrzehnten im Umlauf sind. Bruno Beatrice,
       Spielmacher des AC Florenz, starb 1987 im Alter von nur 39 Jahren an
       Leukämie. Seine Witwe machte Dopingpraktiken dafür verantwortlich. Sie
       erzählte, wie aufgedreht ihr Mann nach Pillenkonsum war und dass sie vor
       allem dann lange mit ihm telefonieren konnte, wenn er anderthalb Stunden am
       Tropf hing und sich mal nicht rühren durfte. Nach Beatrice starben sechs
       weitere Florenz-Spieler im Alter zwischen 49 und 65 Jahren unter anderem an
       Krebs und ALS. Bei jedem dieser Todesfälle wurde erneut debattiert. Vor elf
       Jahren schrieb anlässlich des Todes von Giorgio Mariani der Autor dieser
       Zeilen hier in der taz schon über den [1][sogenannten Fluch aus Florenz.]
       
       Handlungen erwachsen aus diesen zyklischen Aufregungen aber nicht. Es ist
       perfide, dass in einer Branche mit Milliardenumsatz nicht die paar
       Millionen Euro für Studien übrig sind, um die Zusammenhänge zwischen
       Pharmazeutika, die zur Leistungssteigerung eingesetzt wurden, und späteren
       Krankheitsbildern zu untersuchen. Es gibt keine spezifischen Programme zur
       Entwicklung einer Therapie dieser, ja, Berufskrankheiten. Keiner der
       Spieleragenten, die Millionen scheffeln, trat mit Ideen hervor, wie die
       Gesundheit seiner Klienten aus Vergangenheit und Gegenwart angesichts der
       klassischen Einnahmepraktiken geschützt werden könne.
       
       Die Aufforderung, nicht zu dopen, ist moralisch toll, aber eben nicht
       realistisch. Stattdessen wird bei jedem neuen Todesfall „Skandal, Skandal“
       geschrien. Und ganz so, als hätten Amnesie und Alzheimer die Gesellschaft
       ergriffen, wird so getan, als handle es sich um brandneue und fürchterliche
       Erkenntnisse. It’s professional sport, stupid.
       
       25 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Doping-im-Fussball/!5105624
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tom Mustroph
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Italien
 (DIR) Profi-Fußball
 (DIR) Dopingopfer
 (DIR) Kolumne Olympyada-yada-yada
 (DIR) Kolumne Press-Schlag
 (DIR) Doping
 (DIR) Doping
 (DIR) Antidopingkampf
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Altersgarantie dank Leistungssport: Ewigkeitsexpress für Austrainierte
       
       Olympiateilnehmer aus den USA leben laut einer Studie überdurchschnittlich
       lang. Deutschland braucht mehr Leistungssportler. Oder doch nicht?
       
 (DIR) Entrüstung über Dopingbekenntnisse: Wenn Moralisten Lügen lieben
       
       Wer dopt und offen damit umgeht, zieht sehr viel Empörung auf sich. Dabei
       wird der Sport nur ethisch, wenn Sportler den Mut zur Ehrlichkeit hätten.
       
 (DIR) Dopingfall beim Hamburger SV: Kann nicht wahr sein
       
       Nach der positiven Dopingprobe von Verteidiger Mario Vušković bedauern die
       Verantwortlichen vom HSV ihren Spieler. Zugleich attackieren sie die Nada.
       
 (DIR) Nachruf auf Ex-Bundestrainer Spilker: Anfechtbarer Netzwerker
       
       Heinz-Jochen Spilker war der erste BRD-Trainer, der wegen Dopings bestraft
       wurde. Später machte er in der Thüringer Sportpolitik Karriere.
       
 (DIR) Doping in Deutschland: Die Täter sind unter uns
       
       Doping? Das ist ein Problem der anderen, der Russen, sagt Sportdeutschland.
       Und verdrängt das Offensichtliche.