# taz.de -- Nach Tod von Benedikt XVI.: An der Versöhnung gescheitert
       
       > Joseph Ratzinger hatte als Papst die Chance, Deutsche und Polen einander
       > näherzubringen. Christen und Juden. Es gelang ihm nicht.
       
 (IMG) Bild: Papst Benedikt XVI spendet seinen Segen im Papstfenster des erzbischöflichen Palais in Krakau, 2006
       
       Kurz nachdem Joseph Ratzinger die Nachfolge von Karol Wojtyła auf dem
       päpstlichen Thron angetreten hatte, unternahm er seine erste Pilgerreise
       nach Polen, dem Land seines „großen Vorgängers“, wie er es ausdrückte. Als
       Journalisten beobachteten wir damals, inwieweit die Polen, die daran
       gewöhnt waren, ihren Landsmann auf dem Heiligen Stuhl zu sehen, einen
       Deutschen als seinen Nachfolger akzeptieren würden.
       
       Natürlich wurde Ratzinger als Papst in Polen nie so behandelt wie Wojtyła.
       Zwar mangelte es nicht an Ehrungen, aber man betrachtete ihn nicht als
       Nachfolger, sondern allenfalls als Stellvertreter. Ratzinger wirkte kein
       bisschen wie der Showman Wojtyła, der die kollektiven Emotionen der
       Gläubigen wie ein Berufspolitiker lenkte. Fotos von ihm [1][mit der Brille
       von Bono von U2] gingen um die Welt.
       
       Ein solcher Moment in der Karriere von Benedikt XVI., dem todernsten
       Geistlichen aus Marktl, wäre unvorstellbar. Heute ist der Ton, in dem über
       den einen und den anderen Papst gesprochen wird, in unserem Land hingegen
       auffallend ähnlich. Polen wird mehr denn je von der Empörung über die
       [2][Missbrauchsskandale] der Kirche erschüttert.
       
       Wenn sich vor nicht allzu langer Zeit mehr als 90 Prozent der Bevölkerung
       als Katholiken bezeichneten, geben heute nur noch 42 Prozent der Befragten
       an, ihren Glauben regelmäßig zu praktizieren. Die Unterlassungssünden
       beider Päpste sind für die Zeitgenossen schwer zu akzeptieren, und so
       finden sie sich Jahre später an der gleichen Stelle wieder. Viele Tausende
       von Gläubige aus aller Welt nahmen dennoch an der [3][Beerdigung von
       Benedikt XVI.] teil.
       
       Auf die Frage, was ihnen an seinem Charakter wichtig war, antworten sie
       oft, dass es sich um theologische Schriften handelt. Ob dies auch aus
       polnischer Sicht der Fall ist, darf bezweifelt werden, denn die Polen
       kennen die Schriften Ratzingers kaum. Allerdings ist aus hiesiger Sicht vor
       allem die Diskussion über die christliche Theologie des Holocaust
       interessant, der Ratzinger viele Jahre seines Lebens gewidmet hat, noch
       bevor er Papst wurde.
       
       ## Umstrittene Holocaust-Interpretation
       
       Während seiner Pilgerreise 2006 gab es nur einen einzigen Ort, an dem
       Benedikt XVI. nicht in die Fußstapfen von Johannes Paul II. trat: das
       ehemalige deutsche Nazi-Vernichtungslager [4][Auschwitz-Birkenau]. Viele
       Menschen erinnern sich noch gut an die Bilder dieses Besuchs und besonders
       an den Regenbogen, der erschien, als er seine Predigt hielt.
       
       Wichtiger als die Bilder war jedoch die Bedeutung der Predigt. Ratzinger
       betonte, dass Auschwitz die größte Herausforderung für die zeitgenössische
       christliche Theologie darstelle, da kein anderes Ereignis eine derartig
       umwälzende Wirkung auf die moderne Gottesvorstellung gehabt habe. Er
       interpretierte die Vernichtung der Juden als einen bewussten und
       organisierten Versuch, nicht nur Millionen von Menschen, sondern auch Gott
       als solchen zu töten.
       
       Deshalb, so Ratzinger, ist dieses Ereignis weder verjährt noch vergessen
       und die Welt könne danach nie wieder so aussehen wie vorher. Bezweifeln
       lässt sich jedoch, dass Ratzingers intellektuelle Bemühungen auf diesem
       Gebiet erfolgreich waren. Viele jüdische Theologen haben solche christliche
       Holocaust-Theologie kritisiert. Ein zentrales Argument der Kritiker war,
       dass die Figur der Tötung Gottes im Christentum mit dem Ereignis des
       Karfreitags verbunden ist.
       
       Auf den Karfreitag folgt jedoch der Ostersonntag, also die Auferstehung.
       Nach der Shoah hingegen bleibt nur eine Leere. Die polnisch-deutsche
       Versöhnung und die christlich-jüdische Versöhnung – beide gehörten zu den
       Potenzialen des Pontifikats von Benedikt XVI. Wie schade, dass ihm weder
       das eine noch das andere gelungen ist.
       
       7 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.google.com/search?client=firefox-b-d&q=wojtila+mit+bono+u2#fpstate=ive&vld=cid
 (DIR) [2] https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2018/MHG-Studie-gesamt.pdf
 (DIR) [3] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/trauerfeier-benedikt-103.html
 (DIR) [4] https://www.vatican.va/content/benedict-xvi/de/speeches/2006/may/documents/hf_ben-xvi_spe_20060528_auschwitz-birkenau.html
       
       ## AUTOREN
       
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       Er war strenger Getreuer der Glaubenskongregation, der liberale Ideen in
       der Kirche bekämpfte. Nun ist der emeritierte Papst Benedikt XVI.
       gestorben.