# taz.de -- Nordderby zwischen Flensburg und Kiel: Rekordmeister wird deklassiert
       
       > Die in der Meisterschaft fast schon abgeschriebene SG Flensburg-Handewitt
       > besiegt den Dauerrivalen THW Kiel überraschend hoch mit 36:23.
       
 (IMG) Bild: Flensburgs Spieler feiern den höchsten Sieg, den sie jemals gegen Kiel errungen haben
       
       Bremen taz | Wenn im [1][Handball-Nordderby zwischen Flensburg und Kiel]
       zehn Minuten vor Schluss die Ersatzspieler beider Teams zum Schaulaufen
       eingewechselt werden, ein lockerer Trickwurf nach dem anderen folgt und das
       Publikum bereits „Oh, wie ist das schön“ singt, muss etwas Besonderes
       passiert sein.
       
       Im von Handballfans in Schleswig-Holstein gern als „Nord-Classico“
       titulierten Duell führte Flensburg in der 50. Minute vor heimischem
       Publikum mit zehn Toren – es bestand kein Zweifel mehr daran, wer hier als
       Sieger vom Platz gehen würde. Beim Schlusspfiff betrug der Vorsprung sogar
       dreizehn Tore, es war von Deklassierung und Demütigung die Rede.
       
       Dabei empfing der Sieger den Verlierer mit dem größten tabellarischen
       Rückstand seit sehr langer Zeit. „Unglaublich“ war dann auch das inmitten
       der Flensburger Jubelgesänge meist zu hörende Wort.
       
       Und von allen [2][vorhergesagten Prognosen] hatte sich nur eine als haltbar
       erwiesen: „Für dieses Spiel ist es vollkommen egal, wo in der Tabelle der
       THW und die SG stehen, welche Ergebnisse es vorher gab: Es geht nicht nur
       um zwei Punkte, es geht um viel Prestige“, sagte Kiels Trainer Filip Jicha,
       dessen Team demnach am Sonntag mehr als nur ein Spiel und die
       Tabellenführung verloren hat.
       
       ## Flensburg vor dem Spiel unter Druck
       
       Dabei hatten die [3][Kieler] im Vorfeld gezeigt, wie man den Gegner
       psychologisch geschickt unter Druck setzt. „Flensburg muss gewinnen, wir
       können“, sagte der norwegische Rückraumspieler Harald Reinkind vor dem
       Spiel. Vier Plätze trennten die beiden Erzrivalen da noch, nachdem [4][die
       Kieler] am vergangenen Spieltag die Führung übernommen hatten.
       
       Aber Druck bekamen die Flensburger auch vom eigenen Kapitän: „Ganz ehrlich:
       Wenn wir das Derby verlieren, stehen wir richtig beschissen da“, sagte
       Johannes Golla. „Jetzt ist es noch nicht ausgeschlossen, dass wir in der
       Tabelle hochrutschen können.“
       
       Der große Abstand war zum einen Folge der breiter gewordenen Spitze in der
       Handball-Bundesliga. Zu der gehören neben den Nordklubs, die die Liga lange
       fast allein dominierten, Titelverteidiger Magdeburg, die Berliner Füchse
       und die Rhein-Neckar-Löwen. Von ihnen waren die Flensburger bislang die
       einzigen, die „die PS nicht auf die Straße“ gebracht hatten, wie Flensburgs
       Geschäftsführer Holger Glandorf sagte.
       
       Dabei gaben vor allem Niederlagen und Punktverluste gegen nominell
       schwächere Gegner wie Lemgo, Gummersbach, Melsungen oder zuletzt Leipzig
       Rätsel auf – zumal das Team von den großen Verletzungssorgen der vergangen,
       kräftezehrenden Spielzeiten bislang verschont geblieben ist.
       
       Nach den Abgängen der Weltklasse-Außen Lasse Svan und Hampus Wanne fehlt
       die Selbstverständlichkeit, auch mal mit schwächeren Leistungen punkten zu
       können. Die Teamstruktur scheint anfälliger für Verunsicherungen und
       Unstimmigkeiten als zu früheren Zeiten, als die Mannschaft vieles davon
       unter sich geregelt hatte.
       
       Hoffnung machten die starken Leistungen gegen die Mitkonkurrenten Magdeburg
       und Berlin sowie zuletzt die deutlichen Siege in der Liga beim Bergischen
       HC und in der European League gegen Budapest.
       
       Mit breiter Brust reisten allerdings auch die Kieler nach ihrem
       Champions-League-Sieg beim dänischen Klub Aalborg Handbold am Donnerstag
       an. Seitdem waren allerdings erst zweieinhalb Tage vergangen, was die
       Frage, ob die Regenerationszeit ausreichen würde, aufwarf.
       
       Das tat sie offensichtlich nicht – das erklärt aber nicht die bereits ab
       Mitte der ersten Halbzeit zunehmend erlahmende Gegenwehr gegen die von
       6.300 Zuschauern frenetisch angepeitschten Flensburger. Die sonstige
       Ausnahme-Abwehr mit Hendrik Pekeler und Patrick Wiencek in der Mitte und
       dem weltbesten Torwart Niklas Landin dahinter gelang es nie, die schnellen,
       flüssigen Kombinationen, mit denen die Flensburger ihre Außenspieler und
       Kreisläufer in Szene setzten, effektiv zu stören. Pekeler sah nach einem
       Foul, bei dem er dem gegnerischen Jim Gottfridsson im Flug ans Bein fasste,
       sogar die Rote Karte.
       
       ## Mit Konsequenz und auch ein bisschen Glück
       
       Auf der Gegenseite hielten Kapitän Johannes Golla und Simon Hald ihre Kette
       so eng zusammen, dass die Kieler zu vielen Rückraumwürfen gezwungen wurden,
       mit denen der überragende Torwart Benjamin Buric nur selten bezwungen
       werden konnte. Nach einer kurzen Steigerung nach der Pause, als der
       Vorsprung von fünf auf zwei Tore schmolz, war der Rest des Nachmittags ein
       rauschhafter Durchmarsch der Flensburger, die zudem in fast jeder engen
       Situation das Glück auf ihrer Seite hatten.
       
       „Wir bekommen jeden Abpraller und bestrafen jeden Fehler mit unglaublicher
       Konsequenz“, sagte der sichtbar stolze Flensburger Trainer Maik Machulla
       nach dem Spiel. „Wir wollten über 60 Minuten hohes Tempo und waren bis zur
       letzten Minute unglaublich strukturiert.“
       
       Die [5][Flensburger] haben zwar immer noch fünf Punkte Rückstand auf den
       neuen Tabellenführer aus Berlin, sie haben die Meisterschaft aber noch
       spannender gemacht und sind selbst auch wieder im Rennen. Aber Achtung ist
       geboten: Am Donnerstag kommt im DHB-Pokal mit dem HSV Hamburg wieder eine
       Mannschaft, die in der Tabelle hinter den Flensburgern steht.
       
       19 Dec 2022
       
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 (DIR) Ralf Lorenzen
       
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