# taz.de -- WM, Wettbewerb und Beste Generation: Flick dich, Deutschland!
       
       > Die deutsche Nationalmannschaft boykottiert die WM mit einer raffinierten
       > Methode: dem Ausscheiden in der Vorrunde. Denn Wettbewerb isch out und
       > over.
       
 (IMG) Bild: Ab heute wird die WM boykottiert: Die deutsche Nationalmannschaft bei der Abreise aus Katar
       
       Flick dich, Deutschland, las ich irgendwann im trüben blauen Licht meines
       Handys, als es ruhig geworden war. Mir dämmerte: [1][Die WM ist vorbei],
       zumindest für Bundestrainer Hansi Flick und die deutsche
       Nationalmannschaft. Ich selbst hatte sie ja von Anfang an – äh –
       boykottiert.
       
       Meiner Tochter sei Dank, die hat ja jeden Abend Einschlaftraining. Leider
       spielen wir seit anderthalb Jahren in der dritten Liga, immer dieselbe
       Abfolge. Foul durch mich, Sit-up, Rolle zum Bettrand, Winken für die Fans
       da draußen, die dann die nächste Hymne anstimmen. Natürlich hätte ich die
       WM in Katar auch ohne unser abendliches Spiel boykottiert, Ehrensache.
       Genau wie die deutsche Mannschaft durch frühzeitiges Ausscheiden.
       
       Denn das nenne ich doch mal gut umgesetzte, wertegeleitete Außenpolitik.
       Klar, bei der Frage der One-Love-Binde haben sie noch schön devot die
       fleißigen Fifa-Zwerge gegeben – um dann, durch eine interessante Verkettung
       von Umständen, den echten Trumpf auszuspielen: Vorrundenaus. Denn seien wir
       ehrlich, Fußball gucken ohne sich auf die Seite einer (der jeweils eigenen)
       Mannschaft zu schlagen, ohne dieses „Wir gegen die“-Gefühl, macht nur ganz
       wenigen Menschen Spaß.
       
       Mein Freund gehört unverständlicherweise dazu, was ich ebenso befremdlich
       wie bewundernswert finde. Vielleicht hat das damit zu tun, dass sein
       Heimatland Israel so selten an einer WM teilzunehmen bereit ist.
       
       Was womöglich ebenfalls kluge Außenpolitik von israelischer Seite ist: In
       Katar werden schon [2][israelische Fans und Reporter übelst beschimpft und
       bedroht]. Damit, unter solchen ungemütlichen Umständen auch noch die
       eigenen Sportler ins Ausland zu schicken, hat das Land in der Vergangenheit
       die schrecklichsten Erfahrungen gemacht (München 72). Und wer wirklich was
       drauf hat – so ist es ja auch im wahren Leben –, muss niemandem was
       beweisen.
       
       ## Ans bayerische Abitur kommt qualitativ nichts heran
       
       Wie schön wäre es, wenn das endlich Maxime unseres Denkens werden könnte.
       Bisher leben wir ja noch immer nach den sehr patriarchalen Maximen
       vergangener Jahrhunderte. Jeder muss sich ständig gegenüber allen beweisen.
       Vater, Chef, Nachbar, Buddy – und wer noch nicht im eigenen Team mitspielt,
       muss es doppelt und dreifach –, um es dann trotzdem nur auf die
       Auswechselbank zu schaffen.
       
       Peinlicher jüngster Ausdruck dieses [3][verramschten Denkens] war diese
       Woche die Debatte über eine erleichterte Einbürgerung in Deutschland. Klar,
       dass man die in den Augen etwa eines Alexander Dobrindts nicht jedem in den
       Rachen werfen kann wie Smarties, andere haben – äh – schließlich hart dafür
       gearbeitet. Haha, Scherz.
       
       Obwohl: Klar, ans bayerische Abitur kommt qualitativ nichts heran, ich muss
       es wissen, ich habe es selbst kaum geschafft. Aber anscheinend ist es für
       viele immer noch leichter, sich selbst in Zeiten dramatischen
       Fachkräftemangels noch in den eigenen Fuß zu schießen, als das alte binäre
       Schlechter-besser-Denken fahren zu lassen. Oder zumindest durch eine kurze
       Recherche Abschlüsse aus anderen Ländern mit den eigenen fair zu
       vergleichen. Aber ich verstehe schon: Um alte Muster zu durchbrechen,
       braucht es viele Jahre Analyse – die ich der CSU und manchen anderen
       hiermit wärmstens ans Herz legen möchte.
       
       Oder, Vorschlag zur Güte: Wir bleiben beim „besser, geiler, größer“. Dann
       möchte ich aber künftig auch Auszeichnungen für diejenigen, die am besten,
       geilsten, schnellsten den Klimawandel bekämpfen und damit das Überleben auf
       diesem Planeten sichern. Das heißt dann, liebe CSU: Bundesverdienstkreuz
       für [4][die Letzte Generation], Straßenblockaden bekommen Polizeischutz.
       Deal?
       
       Wir lernen allerdings alle nicht nur von der letzten, sondern auch von der
       nächsten Generation. Auch ich bin nicht frei vom Wettbewerbsdenken. Wenn
       ich andere, kleinere (!) Kinder als meine Tochter rennen oder wie
       Scheunendrescher essen sehe, kickt auch in mir der Eifer. Zum Glück rutscht
       das Kind davon ungerührt weiter auf dem Po herum und sagt bei jeder zweiten
       Nudel nein, nein. Wettbewerb, my ass.
       
       4 Dec 2022
       
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