# taz.de -- Datenhändler in der Big-Data-Ökonomie: Das Geschäft der Datenbroker
       
       > Im Schlepptau der Big-Data-Ökonomie ist ein unregulierter Markt von
       > Datenbrokern entstanden. Die Firmen wissen zum Teil sogar mehr als
       > Geheimdienste.
       
 (IMG) Bild: Wer mit Kreditkarte bezahlt, hinterlässt digitale Spuren, die Datenbrokern als Ware dienen
       
       Wer Serien streamt, online einkauft oder im Supermarkt mit Kreditkarte
       bezahlt, hinterlässt Spuren. Gut neun Jahre nach den Enthüllungen [1][des
       Whistleblowers Edward Snowden] ist das keine neue Erkenntnis, aber für
       viele Bürger offenbar noch immer kein Grund, sich nicht für ein paar
       Gutscheine in ihren Einkaufswagen schauen zu lassen. Nach dem Motto: Ich
       habe nichts zu verbergen!
       
       Nun kann jeder Bürger selbst entscheiden, ob er für eine Packung
       Scheiblettenkäse seine Privatsphäre verscherbelt. Viele Nutzer wissen aber
       nicht, dass nicht nur Datenkraken wie Google, Facebook und Co Buch über ihr
       Konsumverhalten führen: Im Schlepptau der Big-Data-Ökonomie ist ein
       unregulierter Markt von Datenbrokern entstanden, die in großem Stil mit
       Daten handeln: Kreditkartendaten, Bonusprogramme, Kfz-Register.
       
       Das Geschäftsmodell dieser Informationshändler besteht grob gesagt darin,
       Datensätze aufzukaufen und daraus detaillierte Verbraucherprofile zu
       erstellen, die dann an Werbefirmen oder Einzelhändler verkauft werden. Wenn
       eine Supermarktkette zum Beispiel weiß, dass SUV-Fahrer
       überdurchschnittlich viel Bio-Obst kaufen, kann der Händler personalisierte
       Anzeigen auf Smartphones ausspielen.
       
       Früher kauften Datenbroker vor allem Adress- und Abo-Listen (etwa zu
       Abonnenten von Golfmagazinen) auf, um Zielgruppen zu bestimmen. Doch in
       Zeiten, in denen Verbraucher mit Smartphones und Kreditkarten einkaufen,
       können die Händler ganz andere Datenquellen anzapfen. Die US-Firma Acxiom,
       einer der größten Datenhändler weltweit, hat Profile von 2,5 Milliarden
       Konsumenten auf der Welt erstellt – mit bis zu 11.000 Datenpunkten pro
       Person. Name, Alter, Geschlecht, Einkommen, Krankheiten – die Datenbroker
       wissen alles.
       
       ## Das Zeitalter der roten Ameisen
       
       Am alten Firmensitz von Acxiom, einem Bürogebäude in Little Rock im
       US-Bundesstaat Arkansas, ratterten zeitweise mehr als 23.000 Server, die
       gigantische Datenmengen verarbeiteten. Mithilfe eines
       Klassifikationssystems werden aus den einzelnen Datenpunkten Kategorien von
       Käufertypen destilliert wie etwa „hypothekenfreier Jetset“, „Alleinflieger“
       oder „sparsame Rentner“.
       
       Diese sozioökonomischen Cluster geben unter anderem an, wie die jeweiligen
       Gruppen auf bestimmte Kommunikationsmittel reagieren. So springen die
       „sparsamen Rentner“ vor allem auf Post an, während die „Alleinflieger“
       besonders rezeptiv für SMS sind. Diese „Kartierung des Verbrauchergenoms“,
       wie die New York Times das Data Mining einmal bezeichnet hat, ist für
       Werbetreibende eine wichtige Entscheidungsgrundlage bei der Frage, über
       welche Kanäle sie Zielgruppen erreichen.
       
       Zum Portfolio der Datenbroker gehören aber nicht nur Marketingwerkzeuge,
       sondern auch Risikoscores, die eine Wahrscheinlichkeit indizieren, mit der
       jemand an Diabetes erkrankt oder zahlungsunfähig wird. Für Versicherungen
       und Banken sind dies wertvolle Informationen bei der Berechnung
       individueller Policen und Risikoaufschläge.
       
       Laut einer Recherche der Investigativ-Plattform Pro Publica haben
       Krankenversicherungen in der Vergangenheit bereits Datensätze erworben, um
       anhand der Kaufhistorie und der Fernsehgewohnheiten ihrer Kunden die Tarife
       zu berechnen. Wer viel glotzt und isst, zahlt drauf.
       
       Je mehr Daten zur Verfügung stehen, desto hochauflösender werden die
       Profile. Entsprechend hemmungs- und schrankenlos ist die Kommerzialisierung
       sensibler Nutzerdaten. So wurden in der Vergangenheit auch schon Listen von
       Vergewaltigungsopfern und HIV-Patienten verschachert, als wären es bloße
       Bestelllisten.
       
       ## Standortdaten geben Hinweise auf Abtreibungen
       
       Während Datenkraken wie Google oder Facebook im Fokus der
       Regulierungsbehörden stehen, konnten die Datenbroker lange weitgehend
       unbehelligt ihre Silos füllen. Doch seit dem [2][Skandal um die
       mittlerweile abgewickelte Analysefirma Cambridge Analytica], die illegal
       Millionen Facebook-Profile für Wahlkampfteams ausgewertet hatte, schauen
       die Aufsichtsbehörden genauer auf die geheimen Geschäftspraktiken in der
       zweiten und dritten Reihe.
       
       So hat die US-Verbraucherschutzbehörde FTC kürzlich Klage gegen den
       Datenhändler Kochava eingereicht, weil dieser Standortdaten von Millionen
       von mobilen Endgeräten verkauft haben soll. Diese Geodaten, so heißt es in
       der Anklageschrift, könnten dazu genutzt werden, Personen zu identifizieren
       und ihre Bewegungen an sensible Orte wie etwa Gotteshäuser,
       Obdachlosenunterkünfte oder Abtreibungskliniken nachzuverfolgen.
       
       Das ist insofern brisant, als der Supreme Court im Juni das landesweite
       [3][Recht auf Schwangerschaftsabbruch gekippt hat]. Damit gelten die
       Regelungen der Bundesstaaten. Und in jenen 13 Bundesstaaten, in denen
       Abtreibung illegal ist (zum Beispiel Texas und Wisconsin), kann der
       Aufenthalt in der Nähe einer Abtreibungsklinik für schwangere Frauen zum
       strafrechtlichen Problem werden. In einigen Bundesstaaten wertet die
       Polizei bereits Websuchen nach Abtreibung aus.
       
       Zwar hat Google angekündigt, die Standortdaten von Besuchern von
       Abtreibungskliniken zu löschen. Doch für die staatlichen Ermittler gibt es
       noch immer die Hintertür des behördlichen Auskunftsersuchens, über das sie
       Zugriff auf die Suchhistorie bekommen können. Darüber hinaus gibt es
       zahlreiche weitere Dienste wie etwa Spiele- oder Dating-Apps, die auf die
       Standortdaten ihrer Nutzer zugreifen können und die diese Daten
       weiterverkaufen.
       
       ## Wenige tausend Dollar für Millionen Standortdaten
       
       Nach Recherchen der Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation
       (EFF) verschicken Datenhändler gezielt Informationsmaterial an US-Behörden,
       in denen sehr offensiv mit der Datennutzung geworben wird. Für weniger als
       10.000 Dollar sollen Behörden Zugang zu Millionen Standortdaten erwerben
       können.
       
       Der Staat ist in diesem Geschäft ein verlässlicher Kunde. So hat das
       US-Militär zur Anti-Terror-Bekämpfung über einen Datenbroker Standortdaten
       einer muslimischen Gebets-App gekauft. Auch das FBI hat bereits
       Mobilfunkdaten von einem Datenbroker bezogen. Doch der Staat spielt hier
       ein gefährliches Spiel. So warnt die Duke University in einer Studie, dass
       der unregulierte Markt eine Bedrohung für die nationale Sicherheit
       darstelle: Es gebe kein Gesetz, das Datenbroker daran hindere,
       Informationen über US-Bürger ans Ausland zu verkaufen. Überdies bestünde
       die Gefahr von Hackerangriffen, wenn Datenhändler nicht ausreichend in
       Cybersicherheit investierten. Auch weil es praktisch keine Auskunfts- und
       Widerspruchsrechte gibt, sind die Bürger dem entfesselten Datenmarkt
       schutzlos ausgeliefert.
       
       Wie tief der Datenhandel in die Privatsphäre eingreift, zeigt ein weiterer
       Fall aus den USA: Im Juli vergangenen Jahres musste ein hochrangiges
       Verwaltungsmitglied der amerikanischen Bischofskonferenz zurücktreten,
       nachdem eine katholische Nachrichtenseite einen [4][Handy-Datensatz
       erhielt, der offenbarte, dass der Priester die Dating-App Grindr] nutzte
       und in Schwulenbars verkehrte. Der Geistliche wurde zwangsgeoutet.
       
       Die US-Rechtsprofessorin und Datenschutzexpertin Danielle Citron macht in
       ihrem aktuellen Buch „The Fight for Privacy“ deutlich, dass es beim
       Datenschutz nicht nur um Befindlichkeiten geht, sondern um elementare
       Grundrechte wie Freiheit und Würde. Sie fordert deshalb, dass die „intime
       Privatsphäre“ in den Katalog der Bürgerrechte aufgenommen wird.
       
       Zwar haben in den USA einzelne Bundesstaaten wie Kalifornien eine
       Registrierungspflicht für Datenhändler eingeführt. Ein nationales Register
       gibt es aber immer noch nicht. Um von dubiosen Datenbrokern nicht verraten
       und verkauft zu werden, bleibt Nutzern am Ende nur eine Minimallösung: den
       Zugriff auf ihre Standortdaten zu verbieten.
       
       30 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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