# taz.de -- Frauendemos in der Türkei verhindert: Ein Staat gegen seine Bürgerinnen
       
       > Eine abgesperrte Altstadt und etliche Festnahmen: In der Türkei haben
       > Sicherheitskräfte am Wochenende Proteste für Frauenrechte unterdrückt.
       
 (IMG) Bild: Mutig: Demonstrantin am Sonntag in Istanbul
       
       Istanbul taz | Eigentlich sollte es eine Großdemonstration gegen Gewalt
       gegen Frauen werden. Gemeinsam mit den iranischen Schwestern wollte man
       schon am Freitag für die Freiheit von Frauen weltweit ein Zeichen setzen.
       Der 25. November ist der Tag, den die UNO als Protesttag gegen
       Gewaltverbrechen an Frauen ausgerufen hat. Doch während in einigen Städten
       der Türkei seit Freitag tatsächlich Kundgebungen unabhängiger Frauengruppen
       stattfanden, wurde in Istanbul jeder Protest unterdrückt.
       
       Beispielhaft für das Wochenende ist eine Szene am Sonntagnachmittag im
       Istanbuler Stadtteil Kadıköy. Weil der Platz, der dort normalerweise für
       Kundgebungen genutzt wird, schon vor dem Termin weiträumig abgesperrt
       worden war, sammelten sich Gruppen von Frauen etwas versteckt zwischen
       Tausenden Passanten, die lediglich einkaufen wollten. Vor dem Eingang des
       belebten Fährenterminals am Hafen entrollte dann blitzartig eine Gruppe von
       zwölf Frauen ein Transparent und rief: „Wir wollen Gerechtigkeit, nieder
       mit der AKP!“
       
       Doch genauso schnell, wie die Frauen ihr Transparent ausrollten, war die
       überall präsente Cevik Kuvvet, die gefürchtete Antiaufstandspolizei, zur
       Stelle. Bis zu fünfzig Polizisten umringten die wenigen Frauen, weitere
       Polizisten in schwerer Montur und mit Schutzschilden drängten alle
       Anwesenden zurück, besonders diejenigen, die mit ihren Handys die Szene
       filmten.
       
       Nach knapp zehn Minuten war die Kundgebung der unabhängigen
       Frauenorganisationen vorbei. Die Frauen, die ihr Transparent ausgerollt
       hatten, saßen in einem Polizeibus und wurden abtransportiert. Weitere
       Versuche, sich bemerkbar zu machen, wurden im Keim erstickt. Vierzig
       Menschen seien am Sonntag in Istanbul festgenommen worden, teilte die
       Organisation „Wir werden Frauenmorde stoppen“ mit.
       
       ## De-Facto-Ausnahmezustand
       
       Bereits zuvor soll es 200 Festnahmen gegeben haben: Am Freitag war mit noch
       größerem polizeilichem Aufwand eine am zentralen Taksim-Platz auf der
       europäischen Seite der Stadt geplante Protestkundgebung verhindert worden.
       Während in Kadıköy am Sonntag zumindest noch die Metro fuhr und die
       Altstadt insgesamt zugänglich war, hatte die Polizei am Freitag den
       gesamten Taksim-Platz und die Region um die Fußgängerzone an der
       Istiklal-Straße weiträumig abgesperrt.
       
       Der gesamte Altstadthügel, auf dessen Spitze der Taksim-Platz liegt, war
       kaum mehr zugänglich. Selbst Anwohner hatten Schwierigkeiten, zu ihren
       Wohnungen zu kommen. Die Metro fuhr an zwei Stationen in dem Gebiet einfach
       durch – ein De-Facto-Ausnahmezustand, nur um eine gewaltlose Demonstration
       gegen die zunehmende Gewalt gegen Frauen zu verhindern.
       
       Während der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan bei einer
       Veranstaltung zum Thema Gewalt gegen Frauen am Freitag beklagte, dass das
       Ausland keine Empathie für Frauen zeige, die in der Türkei Opfer von
       Terroranschlägen geworden sind, durften türkische Frauen, die seine Politik
       kritisieren, an keinem Ort der Stadt ihren Unmut kundtun. Dabei geben
       selbst offizielle Stellen zu, dass in der Türkei nahezu jeden Tag Frauen
       von ihren Ehemännern, Ex-Ehemännern, Vätern oder Brüdern umgebracht werden,
       ohne dass die Polizei viel dagegen tut.
       
       Stattdessen ist die [1][Türkei auf Veranlassung von Erdoğan erst
       vergangenes Jahr aus der internationalen Istanbul-Konvention zum Schutz von
       Frauen ausgetreten]. Die Organisation „Wir werden Frauenmorde stoppen“, die
       aktivste Frauenrechtsgruppe des Landes, steht derzeit vor Gericht. Trotzdem
       will weder diese Gruppe noch wollen andere Organisationen aufgeben. „Trotz
       Repression werden wir immer stärker“ lautet einer der Slogans gegen
       Femizide.
       
       27 Nov 2022
       
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 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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