# taz.de -- Bundestagsentscheidung zum Triage-Gesetz: Zu hastig verabschiedet
       
       > Die vom Bundestag beschlossene Neuregelung zur Triage versäumt wichtige
       > ethische Fragen. Das Thema verdient eine Debatte in der gesamten
       > Gesellschaft.
       
 (IMG) Bild: Im Eingangsbereich der Notaufnahme des Uniklinikums Leipzig werden hier Patient:innen je nach Zustand weitergeleitet
       
       Auch wenn die Pandemie vorbei zu sein scheint, geht die Frage der
       Behandlungsgerechtigkeit im Katastrophenfall jeden an. Es braucht eine
       breite gesellschaftliche und politische Debatte. Wir haben uns über
       Sterbehilfe Gedanken gemacht, über das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche
       und Pränataldiagnostik diskutiert, über eine Regelung zu Organspenden
       gestritten, uns eine Meinung zur Impfpflicht gebildet.
       
       Medizinethische Fragen berühren tiefste Ängste und Grundrechte, sie
       betreffen jede und jeden dieser Gesellschaft und sollten auch von jedem und
       jeder mitgedacht werden. Aber haben Sie sich schon mit Triage im
       Katastrophenfall befasst? Haben Sie sich eine Meinung dazu gebildet, wer
       bei zu knappen Ressourcen die letzten Intensivbetten bekommen soll?
       
       Zuerst einmal muss erklärt werden, was Triage überhaupt ist: die Sichtung
       von Patient:innen in der Notfallmedizin. Und warum sie gerade in einer
       Pandemie problematisch werden kann, wenn beispielsweise nur noch ein
       Beatmungsgerät bereitsteht und zwei Patient:innen darauf angewiesen
       sind. Dass es neben der Dringlichkeit weitere mögliche Kriterien zur
       Auswahl der Patient:innen gibt, die eine Behandlung bekommen, wie
       reiner Zufall oder die Überlebenswahrscheinlichkeit.
       
       Dass Triage im Ernstfall nicht nur bedeuten kann, dass eine Person einen
       Behandlungsplatz bekommt und eine andere nicht. Sondern auch, dass eine
       schon intensivmedizinisch behandelte Person ihren Platz für eine andere
       räumen muss. Dass beides heißt, dass Menschen sterben und andere überleben
       können. Dass man sich zum einen die Frage stellen kann, in welchem Szenario
       möglichst viele Menschen überleben.
       
       Und zum anderen, ob wir überhaupt ein Menschenleben gegen ein anderes
       aufwiegen wollen. Die Fragen, die hier verhandelt werden, sind nicht nur
       für den Fall einer pandemischen Großlage relevant. Es stellen sich in einem
       ökonomisierten und ausgebluteten Gesundheitswesen schon jetzt nahezu jeden
       Tag Fragen der Behandlungsgerechtigkeit. Dass es nicht reicht, die
       Beantwortung dieser Fragen der Politik zu überlassen, zeigt die am
       Donnerstag verabschiedete Triage-Regelung.
       
       Im Bundestag [1][beschlossen die Abgeordneten] eine der heikelsten Fragen
       der letzten Jahrzehnte an einem 18-Stunden-Sitzungstag, mal eben
       zwischendurch. Die letzten Änderungen waren erst an den Vortagen bekannt
       geworden. Möglichkeiten zur Stellungnahme waren entsprechend gering.
       
       Ergebnis ist eine Regelung, die Ärzt:innen und
       Menschenrechtsaktivist:innen gleichermaßen aufbringt und die schon
       im Vorfeld als ungeeignet für die Vorgaben galt, die das
       Bundesverfassungsgericht in dieser Sache an den Gesetzgeber stellte. Die
       [2][schwierigen ethischen Fragen], die sich im Zusammenhang mit einer
       Triage-Regelung stellen, sie sind nicht ausreichend berücksichtigt.
       
       Wahrscheinlich wird auch diese Regelung vor dem
       [3][Bundesverfassungsgericht] landen. Und wahrscheinlich ist der Grund
       dafür, dass sich zu wenige Menschen die Mühe gemacht haben, das Thema zu
       durchdringen, um sich eine fundierte Meinung zu bilden. Dass es kompliziert
       ist, kann keine Entschuldigung sein.
       
       11 Nov 2022
       
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