# taz.de -- Multiple Krisen: Der Sorgenpool ist voll!
       
       > Raketen, Handy-Blackout, Zugausfall, Klimakatastrophe und dann auch noch
       > eine gruselige Nachricht auf dem AB. Es reicht jetzt mal mit den Krisen.
       
 (IMG) Bild: Während eines Blackouts in Kiew
       
       Etwas belächelt habe ich sie, muss ich zugeben. Die junge Frau, die im Zug
       neben mir mit schreckgeweiteten Augen den [1][Thriller „Black Out“] las.
       Jedes Mal, wenn irgendwo ein Handy bimmelte, schreckte sie hoch wie vom,
       nun ja, Russen gehackt. In dem Bestseller geht es darum, dass Hacker die
       Stromversorgung lahmlegen. Während Chaos und Panik um sich greifen, führen
       Spuren nach Russland und China. Laut Internet hat das Buch in Deutschland
       besonders viele Leser:innen.
       
       Kein Wunder, hatte ich noch am Vorabend auf einer Party gewitzelt: Wir
       Deutschen sind so gern Weltmeister, nicht nur im Rechthaben, sondern
       neuerdings auch im Angsthaben und Sorgenmachen. Besonders die Älteren, die
       sich Vorräte im Keller anlegen – oder die Jüngeren, die sich überall in die
       Landschaft kleben, um ihre Mitmenschen vom Planetenzerstören abzuhalten.
       
       Aber wir, die Jahrgänge, die wir gut Ü 35 und noch weit U 60 sind? Wir
       hüpften angestaute Sorgen auf der Tanzfläche eines angemieteten
       Freizeitheims weg (es war ein fünfzigster Geburtstag), schrien uns über die
       Musik hinweg ins Ohr, wie wohltuend für den Seelenhaushalt es sei, alle
       sozialen Netzwerke zu verlassen, und grölten mit Bad Religion: „Sanity is a
       full time job / in a world that’s always changing.“
       
       Fulltime-Job – allerdings. Es war diese Woche wirklich nicht leicht, den
       Kopf beieinander zu halten: Erst waren da die widersprüchlichen Signale vom
       G20-Gipfel auf Bali: Während es als toller Erfolg gewertet wurde, dass „die
       meisten Staaten“ sich dazu durchringen konnten, Russlands Angriff auf die
       Ukraine zu verurteilen, ließ sich Putins Gesandter Lawrow in kurzen Hosen
       und einem lavendelfarbenen Basquiat-Shirt filmen, die Apple Watch lässig am
       Handgelenk.
       
       ## Es macht „knack“ in der Festnetzleitung
       
       Was soll man davon halten, dass der russische Außenminister einem Schwarzen
       heroinsüchtigen US-Künstler huldigt? Steht Lawrow schon auf der
       Abschussliste des Regimes – oder bereitete er quasi optisch einen
       Brückenschlag zum Westen …? In diese müßigen popkulturellen Überlegungen
       schlugen zwei Raketen „russischer Bauart“ auf polnischem Gebiet ein und
       töteten zwei Menschen.
       
       Der Deutschlandfunk schaltete morgens eine Psychologin zu, die erklärte,
       dass jeder Mensch nur über einen begrenzten „Sorgenpool“ verfüge – man
       solle sich bitte nicht überlasten. Toll, soll ich jetzt eine Auswahl
       treffen, worüber ich mich sorge? Um einen möglichen [2][Nato-Bündnisfall
       nach Artikel fünf]? Um die Menschen, die in Kiew oder Charkiw im Dunkeln
       sitzen und frieren, wenn sie nicht gerade von Raketen beschossen werden?
       
       Um unsere polnischen Nachbarn, die jetzt wahrscheinlich durchdrehen vor
       Angst – laut einem Bericht boomt das Geschäft mit privaten Bunkern
       besonders in Polen. Oder soll ich mir eher Sorgen darum machen, dass wir
       auf eine [3][2,5-Grad-Erderwärmung] zusteuern, die Teile der Welt noch zu
       meinen Lebzeiten unbewohnbar machen werden – schöne Willkommensgrüße an den
       achtmilliardsten Menschen, der diese Woche geboren wurde. Was tun, wenn der
       Sorgenpool überzulaufen droht? Tief durchatmen und eine Freundin anrufen.
       Funktioniert kurz, dann macht es „knack“. Leitung tot.
       
       ## Believe in Sanity
       
       Nach einem Neustart spielt der Festnetz-Anrufbeantworter eine unabgehörte
       Nachricht ab: SMS einer mir unbekannten Mobilfunknummer. Inhalt der vom
       Computer vorgelesenen Nachricht: „Du Arschloch“. Wer war das? So viele
       kennen unsere Festnetznummer gar nicht. Jetzt graust es mir wirklich ein
       bisschen. Griff zum Handy, doch auch das ist tot. Mobilfunkausfall überall
       in Deutschland informiert das Radio. Und der Service der Deutschen Bahn
       teilt mir mit, dass eine meiner anstehenden Reisen wegen einer
       Streckensperrung ausfallen muss.
       
       Züge fahren nicht, Leitungen sind tot, dazu unfreundliche Botschaften auf
       dem AB. Herrschaften, mein Pool ist voll für diese Woche! Zur Aufheiterung
       konsultiere ich noch mal die Playlist vom vergangenen Wochenende: „Sanity“,
       singen Bad Religion weiter, „will make you strong if you believe in
       sanity.“
       
       Ähm, wo ist eigentlich der Kellerschlüssel?
       
       20 Nov 2022
       
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 (DIR) Nina Apin
       
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