# taz.de -- Annalena Baerbock zum Klimaschutz: Sind Sie die Letzte Generation?
       
       > Zum ersten Mal fährt Annalena Baerbock als Außenministerin zur
       > Klimakonferenz. Ein Gespräch über die Frage, was wir dem Globalen Süden
       > schulden.
       
 (IMG) Bild: Annalena Baerbock am 10. November im Auswärtigen Amt
       
       wochentaz: Frau Baerbock, sind Sie Teil der letzten Generation? 
       
       Annalena Baerbock: Wenn Sie die Protestbewegung meinen, offensichtlich
       nicht.
       
       Sie haben selbst immer wieder betont, dass Sie die letzte Generation sind,
       nämlich die, die das noch verhindern kann. 
       
       Was denn sonst … Die Menschen, die politische Verantwortung tragen, wir
       alle als Gesellschaft entscheiden zentral darüber mit, wie Kinder, die so
       alt sind wie meine Töchter, groß werden.
       
       Was ist dann schlimmer: die Unbewohnbarkeit einer Insel oder Schaden an
       einem Gemälde? 
       
       Ich halte von diesen Gegensätzen gar nichts. Ich war gerade auf einer
       solchen Insel im Inselstaat Palau, wo Menschen Sorge haben, in den nächsten
       zehn Jahren ihr Zuhause zu verlieren. Sehr viel Schlimmeres gibt es wohl
       kaum. Aber was hat ein Gemälde damit zu tun?
       
       Die Gruppe Letzte Generation klebt sich nicht nur an Bilderrahmen, sondern
       auch auf Straßen fest. Wann kleben Sie sich auf die Straße? 
       
       Ist das ernsthaft Ihre Frage an die deutsche Außenministerin?
       
       Würde sich die Bürgerin Annalena Baerbock, die sieht, wie dramatisch der
       Klimawandel ist, auf die Straße kleben? 
       
       Ich bin Bürgerin dieses Landes: Nein.
       
       Beeinflussen diese Proteste Ihre Klimapolitik? 
       
       2018 saß Greta Thunberg zum ersten Mal mit einem Pappschild vor dem
       schwedischen Parlament. Ein Jahr später sprach sie in der
       Generalversammlung der Vereinten Nationen. Ich finde es mehr als
       bemerkenswert, wie eine Schülerin und die darauf folgende globale
       Jugendbewegung Fridays for Future Veränderungen vorangebracht hat. Als ich
       2015 als klimapolitische Sprecherin der grünen Fraktion zur Pariser
       Klimakonferenz gereist bin, wurden diejenigen, die wie ich den
       Kohleausstieg gefordert haben, noch belächelt. Heute habe ich als deutsche
       Außenministerin den Kohleausstieg 2030 mit im Gepäck zur COP. Das zeigt,
       wie wichtig der Regierungswechsel in Deutschland – und ja, auch die
       Klimabewegung – war und ist.
       
       Aber wie glaubwürdig ist das denn, wenn man aus einem Land kommt, in dem
       der Klimaexpertenrat gerade gesagt hat, hier werde das für 2030 gesetzte
       Ziel wohl kaum erreicht? 
       
       Die Fehler der Vergangenheit können wir nicht rückgängig machen, das gilt
       für die Klimapolitik genauso wie für die Russlandpolitik. Wir bezahlen die
       von der Groko vertagte Energiewende mit einem sehr teuren Preis: mit
       unserer Abhängigkeit von Russland und einer noch größeren Lücke zu unseren
       Klimazielen. Deswegen haben wir als neue Regierung vor einem knappen Jahr
       das Ruder übernommen und sofort herumgerissen, den Ausbau der Erneuerbaren
       massiv beschleunigt und eine radikale Klimawende eingeleitet.
       
       Ihrer Formulierung „radikale Klimawende“ widersprechen auf der COP 27 (und
       in Deutschland) viele Klimaaktive. Ist das radikal genug angesichts der
       dramatischen Entwicklung? 
       
       Dass eine radikale Klimapolitik das neue „Realistisch“ ist, sagen Grüne ja
       nicht erst seit gestern. Aber dafür brauchen wir in einer Demokratie zum
       Glück parlamentarische Mehrheiten. Die haben wir jetzt endlich. Wir wissen,
       dass wir uns auf unseren Vorhaben keine Minute ausruhen können. Robert
       Habeck arbeitet jeden Tag an neuen Gesetzen und Verordnungen, um den
       Windausbau zu beschleunigen. Cem Özdemir macht dasselbe für die Emissionen
       in der Landwirtschaft, Steffi Lemke gerade bei den Mooren, die wichtige
       CO2-Senken sind. Svenja Schulze als Entwicklungsministerin und ich als
       Außenministerin schließen internationale Klimapartnerschaften ab, um auch
       weltweit gemeinsam auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen. Wir wissen, dass wir
       noch längst nicht am Ziel sind.
       
       Sind wir in Deutschland auf dem 1,5-Grad-Pfad? 
       
       Noch nicht, und mit nationaler Denke allein kommen wir auch niemals darauf.
       Wir tun daher alles, um so schnell wie möglich als europäische Klimaunion
       dahinzukommen. Wir haben in der EU darauf gedrängt, rechtzeitig zur COP
       unsere eigenen CO2-Minderungsziele bis 2030 nochmal deutlich
       nachzuschärfen, das ist gerade noch gelungen. Wir haben mit Blick auf
       unsere Energie- und Stromerzeugung in Deutschland die richtigen Weichen
       gestellt. Aber auch künftig werden wir Energie importieren müssen. Ein
       wichtiger Teil von Klimaaußenpolitik ist deshalb, heute die Voraussetzungen
       zu schaffen, dass wir auch bei den Importen auf diesen Pfad gelangen.
       
       Auf der Konferenz hört man die Angst, Deutschland könne sich wieder in eine
       fossile Abhängigkeit begeben. Wie kann es sein, dass Bundeskanzler Olaf
       Scholz mit dem Senegal Pläne zum Ausbau von Gas-Infrastruktur verfolgt, von
       denen keiner versteht, wozu das gut sein soll und wie sie mit dem Pariser
       Abkommen zu vereinbaren sind? 
       
       Gas ist eine Brücke, aber jede Brücke hat auch ein Ende. Allerspätestens
       Mitte der 2040er Jahre darf nur noch grüner Wasserstoff transportiert
       werden. Bei neuen Investitionen jetzt darf es daher nur darum gehen,
       kurzfristig den Ausfall der russischen Gaslieferungen zu ersetzen.
       
       Wenn also der Kanzler sagt, wir unterstützen den Ausbau von neuen
       Gasfeldern im Senegal, dann geht das nur, wenn diese Infrastruktur zur
       grünen Infrastruktur werden kann? 
       
       Das ist unser Prinzip, auf das wir uns im Koalitionsvertrag verständigt
       haben. Entsprechend hat der Bundeskanzler bei der Klimakonferenz
       unterstrichen, dass wir ohne Wenn und Aber aus den Fossilen aussteigen.
       
       In Deutschland schwankt die Stimmung bei jenen, die für Klimaschutz aktiv
       sind, zwischen Verzweiflung und Lethargie. Wie nehmen Sie die Stimmung bei
       Ihren Reisen etwa nach Niger oder in die Südsee wahr? 
       
       Klimaschutz ist in Niger, im Südpazifik, aber auch in Chile oder nach den
       Überflutungen in Pakistan das wichtigste Thema. Diese Staaten erleben, dass
       die Klimakrise nicht nur ihre Ernte, ihre Lebensgrundlage, sondern ihre
       Heimat und Sicherheit bedroht. Viele hatten bei uns in Deutschland vor
       einem Jahr ja etwas verwundert gefragt, warum wir jetzt so aktiv
       Klimaaußenpolitik machen. In so gut wie allen meinen Gesprächen als
       Außenministerin spüre ich eine Erleichterung, dass wir als deutsche
       Regierung endlich das Klima als Sicherheitsthema sehen. In Regionen, wo das
       Vieh der Hirten stirbt und Menschen kein Einkommen haben, haben Terroristen
       gute Chancen, Anhänger zu rekrutieren.
       
       Für diese Perspektivlosigkeit ist auch die mangelhafte deutsche
       Klimapolitik der Vergangenheit verantwortlich. 
       
       In den Ländern, die heute schon – in unserer 1,2-Grad-Welt – so massiv
       unter der Klimakrise leiden, erlebe ich vielerorts eine Mischung aus dem
       Vorwurf „Ihr habt uns das eingebrockt“ und der Erwartung „Ihr müsst auch
       hier bei uns vor allem technologisch handeln“. Und darin liegt auch die
       globale Chance: bei der wirtschaftlichen Entwicklung nicht die Fehler der
       Industriestaaten zu wiederholen, sondern sofort in saubere Industrien
       einzusteigen. Ich selbst stand im Niger bei 48 Grad ohne Schatten auf
       Felsbrocken in staubiger Landschaft, wo früher Baumwolle angebaut wurde. Da
       ist die Bekämpfung der Klimakrise eine Existenzfrage. Aber was mir dort
       begegnete, war keine Verzweiflung, sondern der eindringliche Appell,
       endlich etwas zu tun. Man weiß auch dort, dass man eigentlich alle sauberen
       Technologien in der Hand hält. Wir müssen sie endlich weltweit einsetzen.
       Nicht nur zum Klimaschutz, sondern auch zur vielerorts in Afrika noch
       fehlenden Elektrifizierung, zur Tröpfchenbewässerung, zur Entsalzung von
       Böden, um sie wieder fruchtbar zu machen.
       
       Auf der Weltklimakonferenz wurde gegen einigen Widerstand das Thema loss
       and damage, also Schadenersatz bei Klimaschäden, auf die Tagesordnung
       gesetzt. Wird da nur geredet oder ist man tatsächlich bereit, relativ
       schnell eine Umsetzung, im Konferenzsprech heißt das Fazilität,
       einzurichten? 
       
       Das war tatsächlich nicht ohne loss and damage auf die Tagesordnung der
       Klimakonferenz zu setzen. Dass jene Staaten, die besonders unter den
       Auswirkungen der Klimakrise leiden und am wenigsten dazu beigetragen haben,
       ihre Probleme nicht prominent auf der Klimakonferenz verhandeln konnten,
       war immer ein Hindernis bei den Klimaverhandlungen. Daher hatte ich auf dem
       Petersberger Klimadialog im Berlin im Juli erstmals als Industrieland offen
       gesagt: Wir müssen unsere bisherige Haltung ändern und loss and damage auf
       die Tagesordnung nehmen. Das haben wir nun hinbekommen, und das zeigt, wie
       wichtig es ist, dass wir als EU mit Inselstaaten oder Ländern wie Chile und
       Mexiko zusammenarbeiten, die gemeinsam bei der Finanzierung und der
       CO2-Minderung vorangehen wollen.
       
       Aber ganz konkret: Sind Sie dafür, dass auf dieser COP entschieden wird: Es
       gibt diese Fazilität?
       
       Der Tagesordnungspunkt ist der Türöffner für alles Weitere. Als
       Bundesregierung haben wir mit der Global-Shield-Initiative der G7 und der
       V20 – dem Bündnis der verletztlichsten Staaten – auch einen ersten Baustein
       geliefert, wie die Umsetzung aussehen kann.
       
       Also wird es keine Beschlüsse auf dieser Konferenz dazu geben, obwohl die
       Frage so dringlich ist? 
       
       Bevor ich überhaupt da bin, maße ich mir nicht an, die Dynamik einer
       Konferenz vorherzusagen, zumal bei einem Thema, das viele Jahre so
       umstritten war. Dass wir uns gleich am Anfang einigen konnten, das Thema
       auf die Agenda zu setzen, zeigt immerhin, dass multilaterale Verhandlungen
       trotz aller geopolitischen Spannungen möglich sind. Wenn sich die
       Industriestaaten, die wirklich aus vollem Herzen alles für den Klimaschutz
       tun wollen, und die Länder, die am meisten davon betroffen sind,
       zusammentun, können wir auch Ergebnisse erzielen.
       
       Ist das nicht ein gutes Beispiel dafür, was seit 30 Jahren in der
       Klimapolitik falsch läuft? Dass wir froh sind, wenn über ein Thema geredet
       wird. 
       
       Klar kann man sich zu jeder Klimakonferenz darüber beklagen, wie schlecht
       und viel zu spät alles gelaufen ist. Das erleben wir und erst recht die
       Menschen im Globalen Süden jeden Tag: wie viel Zeit wir verspielt haben und
       wie dramatisch die Situation ist. Die Vergangenheit können wir aber nicht
       ändern. Ich verstehe meinen Job so, alles dafür zu tun, damit wir es in
       Zukunft besser machen, und zwar so schnell wie möglich. Ehrlich gesagt ist
       offen, wie das bei dieser COP gelingt, denn ob es einem gefällt oder nicht:
       Die Realität ist, dass wir uns mit über 190 Staaten einigen müssen, wenn
       wir Ergebnisse wollen. Und wenn man nicht bereit ist, darüber zu reden,
       werden wir auch niemals Beschlüsse fassen.
       
       Was haben die betroffenen Länder von einer Tagesordnung?
       
       Ich habe bei meinem Besuch auf Palau eine Erfahrung gemacht: Wenn wir als
       Industriestaaten endlich sagen, wir tragen eine Verantwortung für diese
       Krise und wir sehen unsere Verpflichtung, finanzielle Mittel
       bereitzustellen, um auf kleinen Inselstaaten Dörfer umzusiedeln, dann
       können wir zugleich darüber sprechen, dass das neue Dorf klimaneutral
       aufgebaut wird: Keine Dieselgeneratoren mehr, sondern erneuerbare Energien.
       Endlich können wir die Finanzfragen mit den Minderungszielen verbinden. Wir
       haben gesehen, wie aus Tagesordnungspunkten ganz konkrete Projekte
       entstehen. Das ist der Sinn von internationalen Konferenzen. Deshalb tun
       wir uns auf der COP parallel zu den Textverhandlungen mit Staaten zusammen,
       die konkret sagen: Wir fangen jetzt mit diesen Projekten an und warten
       nicht darauf, bis formal alle mehr als 190 Staaten einen neuen Text
       zustande gebracht haben.
       
       Andere Länder des Globalen Südens fordern einen Schuldenerlass.
       Unterstützen Sie die Idee? 
       
       Wir haben gerade erstmalig als G7-Außenminister*innen mit
       Finanzakteur*innen darüber gesprochen, wie wir mit diesen massiven
       Schuldenständen umgehen können. Diese Schulden tragen dazu bei, dass Länder
       nicht in Zukunftsprojekte des Klimaschutzes investieren können, genauso
       wenig wie in Bildung. Entsprechend wird die Schuldenfrage auch eine Rolle
       bei der COP spielen. Allerdings wird es nicht einfach, zu einer gerechten
       Lösung zu kommen. Wir dürfen nicht vergessen, dass seit der letzten
       größeren Entschuldung mit China und privaten Fonds oder Banken neue
       Gläubiger dazugekommen sind.
       
       Ist ein Schuldenerlass derzeit überhaupt denkbar? Das würde die Inflation
       noch höher treiben. 
       
       Für die globale Klimatransformation brauchen wir Billionen. In der jetzigen
       Situation müssen wir daher unterschiedliche Dinge tun. Zum einen die schon
       2009 versprochenen 100 Milliarden Dollar jährlich endlich für Klimaprojekte
       bereitstellen. Aber zugleich haben die Pandemie und der russische Krieg die
       Situation massiv verschärft. Daher müssen wir auch bei den globalen
       Finanzbeziehungen etwas tun. Zwischen einem harten Schnitt und Maßnahmen
       zur Umschuldung, zur Restrukturierung von Schulden gibt es sehr viele
       Möglichkeiten. Viele Länder haben sich bei China verschuldet, um ihre
       Infrastruktur zu finanzieren. Wir können nicht mehr darüber hinweggehen,
       dass gewisse Länder inzwischen handlungsunfähig sind, weil sie ihre
       Schulden nicht tragen können.
       
       Die 100 Milliarden Dollar, von denen die Rede ist, sind ja fast Peanuts.
       Wenn die Welt auf einen 1,5-Grad-Pfad kommen soll, geht es um
       Billionen-Dollar-Programme. Die Premierministerin von Barbados tritt dafür
       an, das gesamte Bretton-Woods-System, das Finanzsystem einschließlich der
       Weltbank, auf den Prüfstand zu stellen. 
       
       Das globale Finanzsystem muss dringend so umgebaut werden, dass die
       globalen Finanzströme in klimafreundliche Investitionen geleitet werden.
       Ein Instrument könnten Klimakredite der Weltbank mit besseren Konditionen
       sein. Und schon heute bietet die Weltbank Regierungen Budgetfinanzierungen
       an, die an die Umsetzung von Politikreformen geknüpft sind. Warum sollte
       es so etwas nicht für die Umsetzung von nationalen Klimastrategien geben?
       
       Würden Sie in dem Zusammenhang gern den Weltbank-Chef David Malpass
       loswerden, der vor Kurzem erst wieder den menschengemachten Klimawandel in
       Frage gestellt hat? 
       
       Unser Fokus ist, die Reform der Weltbank insgesamt gemeinsam zu gestalten.
       Als ein Land, das leider lange gebraucht hat, endlich mit Verve den
       1,5-Grad-Pfad anzupeilen, sollte man sich nicht prioritär an anderen Leuten
       abarbeiten, sondern zuerst vor seiner eigenen Haustür kehren. Dabei ist
       zentral, dass man die Augen nicht vor der Realität verschließt. Das
       beinhaltet den menschengemachten Klimawandel.
       
       Aber mit einem Klimaleugner an der Spitze der Weltbank? 
       
       (Schweigen) 
       
       Okay, keine Antwort. Für Sie ist Klimapolitik die neue Geopolitik. Von
       Kooperation ist in der Geopolitik derzeit wenig übrig. Im vergangenen Jahr
       gab es bei der COP in Glasgow den Vorstoß, das Thema Klima aus den
       weltpolitischen Spannungen herauszuhalten. Geht das? 
       
       Gerade wegen der weltpolitischen Spannungen braucht es umso mehr
       Klimadiplomatie. Alles andere wäre Selbstmord für jeden einzelnen der 190
       Staaten. Schließlich macht die Klimakrise wegen Russlands brutalem
       Angriffskrieg keine Pause. Staaten wie Äthiopien und Somalia leiden nun
       mehr als doppelt so stark unter Ernteausfällen. Nach vier Jahren ohne Regen
       kommt die Inflation und Lebensmittelknappheit durch Russlands Kornkrieg
       hinzu.
       
       Sie würden über das Klima auch mit Russland verhandeln? 
       
       Als G7-Präsidentin habe ich dafür geworben, dass wir beim G20-Treffen in
       Indonesien gemeinsam mit unseren indonesischen, mexikanischen,
       südkoreanischen Partnern gegenüber dem russischen Außenminister, der
       ebenfalls am Tisch saß, deutlich machen, welche fatalen Folgen der
       russische Angriffskrieg auf die ganze Welt hat. So ist es auch mit Blick
       auf die Klimafragen. Die Dramatik dieses Jahres erhöht vielleicht sogar die
       Chancen auf eine Einigung, weil sie allen ihre Verwundbarkeiten gezeigt
       hat: Es ist unübersehbar, dass wir globale Probleme nicht alleine lösen
       können. Und wenn in Zukunft ganze Regionen durch Klimaschäden dysfunktional
       werden, können Lieferketten ausfallen und die Weltwirtschaft ins Chaos
       gestürzt werden. Das Gleiche gilt, wenn Regionen unbewohnbar werden. Dann
       werden die Migrationsbewegungen massive Auswirkungen haben.
       
       Viele Länder, die bei der Klimakonferenz verhandeln, sind keine lupenreinen
       Demokratien. Welche dreckigen Deals muss man eingehen? 
       
       Was heißt lupenrein? Demokratie ist nie am Ziel, Gesellschaften sind immer
       im Wandel. Daher halte ich auch nichts von solchen plakativen
       Zuschreibungen. Zugleich ist bekannt, dass die Welt nicht nur aus
       Demokratien besteht. Aufgabe von Außenpolitik ist, zu definieren, wie wir
       unsere bilateralen Partnerschaften verantwortungsvoll gestalten. Das ist
       fast nie schwarz-weiß, aber auch nie ein „dreckiger Deal“, sondern
       verantwortungsbewusstes Abwägen: Die meisten Länder teilen trotz aller
       Probleme eine gemeinsame Basis, auf der man reden kann und muss: die
       Anerkennung des internationalen Rechts, das Bekenntnis zur globalen
       Zusammenarbeit und im Fall der Klimaverhandlungen vor allem auch das klare
       Eigeninteresse jedes Landes, seine natürlichen Lebensgrundlagen zu retten.
       Die allermeisten sind auf der COP nicht auf der Suche nach Kuhhandeln.
       
       Aber ein großer Teil der Solarpaneels kommen aus China. Ein großer Teil der
       Regenwälder befinden sind in Gegenden, in denen die Regierungsführung nicht
       die beste ist. Ägypten ist ein Land, das Menschenrechte mit Füßen tritt.
       Muss man, um beim Klima voranzukommen, bei Menschenrechten Abstriche
       machen? 
       
       Man kann sich die Welt nicht schön zaubern. Es gibt Situationen, in denen
       unsere Werte in Widerspruch zueinander stehen, und Dilemmata, die sich
       nicht auflösen lassen. Aber das heißt nicht, dass ich Abstriche automatisch
       bei Menschenrechten machen muss. Man muss sich bei jeder Entscheidung immer
       wieder ehrlich fragen: Trägt es zum Vertuschen oder Verstärken von
       Menschenrechtsverletzungen mit bei? Die COP in Ägypten hat mich nicht daran
       gehindert, die Menschenrechtslage in jedem Gespräch mit Präsident Sisi
       deutlich anzusprechen. Im Gegenteil: Am Rande des Petersberger Klimadialogs
       in Berlin habe ich die Freilassung der politischen Gefangenen, auch von
       Alaa Abdel Fattah gefordert. Und wir stellen unseren Pavillon bei der COP
       ägyptischen Menschenrechtsgruppen zur Verfügung, die sonst kaum die Chance
       bekommen, sich an die Öffentlichkeit zu wenden.
       
       Beißt sich Klimapolitik nicht doch mit menschenrechtsbasierter
       Außenpolitik, etwa bei Chinas Solarpaneels? 
       
       Würde weniger Klimaschutz zu mehr Menschenrechtsschutz in China oder
       Ägypten führen? Wohl kaum. Ich habe gerade bei meinem Besuch in Kasachstan
       und Usbekistan eine Zusammenarbeit bei erneuerbaren Energien in Aussicht
       gestellt. Ich habe aber überall dazugesagt, dass Voraussetzung für
       langfristige Investitionen die Einhaltung von Regeln ist, und dazu gehört
       auch der Schutz persönlicher Freiheitsrechte. Auf diese Weise könnte
       Klimaschutz dazu beitragen, auch die Bürger- und Menschenrechte zu stärken.
       Aber dafür müssen wir auch unsere eigenen Regeln definieren und nicht wie
       in der Vergangenheit hoffen, dass sich die Menschenrechtslage schon
       irgendwie verbessert – und erst recht vor einer Verschlechterung nicht die
       Augen verschließen. Deshalb planen wir in der EU ein Importverbot für
       Produkte aus Zwangsarbeit – das gilt logischerweise auch für Solarpaneels,
       falls sie durch Zwangsarbeit gefertigt würden.
       
       Was muss rauskommen, dass sie sagen: Diese Weltklimakonferenz wurde nicht
       gegen die Wand gefahren? 
       
       Zur Ehrlichkeit gehört: Diese COP allein wird uns nicht auf den
       1,5-Grad-Pfad bringen. Alle Länder müssten ihre Klimapläne sofort drastisch
       nachschärfen. Das wird bis zum 19. November nicht passieren, so realistisch
       und ehrlich muss man sein. Trotzdem: Jedes in Scharm al-Scheich
       angeschärfte nationale Klimaziel zählt, jedes neue Klimaprojekt, jeder
       Solarpark, jede große Waldinitiative, jedes Land, das wie Kenia mit
       deutscher Unterstützung erklärt, dass es seinen Strom auf 100 Prozent
       Erneuerbare umstellen wird. Denn jede eingesparte Tonne C02 hilft, uns vom
       derzeitigen 2,7-Pfad Richtung 2 und 1,5 Grad zu bringen. Dafür braucht es
       massiven Technologietransfer und auch Technologiesprünge in den nächsten
       Jahren, um schneller aus den Fossilen aussteigen zu können. Die
       geopolitische Lage macht das nicht leichter. Aber wir müssen verhindern,
       dass als Folge des russischen Krieges 2022 ein verlorenes Jahr für die
       Klimaverhandlungen wird.
       
       Sie waren auf vielen Klimakonferenzen, kommen aber zum ersten Mal als
       Vertreterin der Regierung. Was ist das für ein Gefühl? 
       
       2015 war ich mit meiner kleinen Tochter, die ein halbes Jahr alt war, in
       Paris dabei. Ich habe mir vorgestellt: Wenn sie so alt ist wie ich damals –
       35 –, dann werden wir im Jahr 2050 erleben müssen, ob wir das mit der
       Dekarbonisierung der Industriestaaten erreicht haben. Jetzt als Ministerin
       dort zu verhandeln, das ist für mich auch etwas Persönliches.
       
       11 Nov 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Junge
 (DIR) Bernhard Pötter
       
       ## TAGS
       
 (DIR) IG
 (DIR) GNS
 (DIR) Bündnis 90/Die Grünen
 (DIR) Klimakonferenz in Dubai
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Neue Generation
 (DIR) Kasachstan
 (DIR) Klimakonferenz in Dubai
 (DIR) USA
 (DIR) Klimakonferenz in Dubai
 (DIR) Klimakonferenz in Dubai
 (DIR) Klimakonferenz in Dubai
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Globaler Süden und Klimakonferenz: „Das Gefühl, vergessen zu werden“
       
       Palaus Präsident Surangel Whipps Jr. ist enttäuscht von der Klimakonferenz
       in Dubai. Sein Inselstaat ist vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht.
       
 (DIR) Weltbank-Chef kündigt Rücktritt an: Überraschendes Ende der Amtszeit
       
       David Malpass galt als Klimawandelleugner. Jetzt endet die Amtszeit des
       Weltbank-Präsidenten vorzeitig. Er war von US-Präsident Trump berufen
       worden.
       
 (DIR) Radikale Klimaproteste: Dringend benötigte Störenfriede
       
       Die Aktionen der Letzten Generation polarisieren: Sie zwingen uns, die
       Komfortzone zu verlassen. Das tut weh, aber nur so hat Klimaschutz eine
       Chance.
       
 (DIR) Präsidentschaftswahl in Kasachstan: Amtsinhaber Tokajew gewinnt
       
       Bei der Präsidentschaftswahl in Kasachstan hat der Amtsinhaber am Sonntag
       über 80 Prozent der Stimmen geholt. Tokajew kann jetzt bis 2029 regieren.
       
 (DIR) Klimakonferenz in Ägypten: Ein großer Schritt auf der COP
       
       Auf UN-Klimakonferenz zeichnen sich Lösungen zu klimabedingten Schäden ab,
       sagt Außenministerin Baerbock. Aber die COP überzieht erneut.​
       
 (DIR) Biden bei der Klimakonferenz: Die USA punkten beim Klimaschutz
       
       Die USA stellen hohe Summen für Maßnahmen im eigenen Land gegen die
       Erderhitzung zur Verfügung. Aber international engagieren sie sich kaum.
       
 (DIR) Joe Biden bei der COP: USA sollen für das Klima zahlen
       
       Die deutsche Klimabeauftragte Morgan ruft USA zu Entgegenkommen bei
       klimabedingten Schäden auf. US-Präsident Biden spricht bei der COP in
       Ägypten.
       
 (DIR) Eis in Grönland schmilzt: Oh weh, es kippt
       
       Der Eisverlust im Nordosten Grönlands ist sechsmal höher als angenommen.
       Brisant – denn so gerät das Weltklimasystem in Gefahr.
       
 (DIR) Konflikt im Kohlerevier: Lützerath soll weg
       
       RWE will den Ort im rheinischen Kohlerevier noch im Winter räumen, um
       weiter Kohle zu fördern. AktivistInnen behaupten, der Konzern lüge.