# taz.de -- Musk kauft Twitter: Wer hat den Vogel?
       
       > Um Hetze und Hass im Internet zu stoppen, braucht es einen digitalen
       > Masterplan. Wer die Demokratie schützen will, muss für klare Regeln
       > sorgen.
       
 (IMG) Bild: Was ist der digitale Masterplan für die Demokratie? Gibt es Regeln die unsere Demokratien schützen?
       
       Es gibt eine Kolumnistin, ohne die mich das Kolumnieren wohl nie
       interessiert hätte: Maureen Dowd von der New York Times. Immer bissig,
       meistens bösartig und viel zu klug, um die Welt sehr ernst zu nehmen.
       Ausgerechnet diese anbetungswürdig respektlose Maureen Dowd schreibt zu
       Halloween, wie wenig sie dieses Jahr den Grusel braucht, weil die Welt
       selbst ein gruseliger Ort geworden ist. Maureen: Welcome to the world of
       the sad and scared.
       
       Ihre ungewohnte Verzweiflung rührt von der Lage der Nation. Die
       US-amerikanische Wirklichkeit ist zum Horror geworden, lakonisch ironisch
       geht nicht mehr. Dowd schreibt fassungslos über den Anschlag auf die
       Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi: Ein Mann war mit dem
       Vorhaben in ihr Haus eingedrungen, Nancy zu entführen und ihr die
       Kniescheiben einzuschlagen. Er fand nur ihren Mann vor, dem schlug er mit
       einem Hammer direkt auf den Schädel.
       
       [1][Paul Pelosi] liegt im Krankenhaus. Es heißt, er werde sich gut erholen
       von dem Schlag. Maureed Dowd treibt die Normalisierung des Schreckens um,
       die Alltäglichkeit des Unerhörten. Kaum ein Medienportal griff den Angriff
       als Mordversuch auf, man berichtete von einem verrückt Gewordenen,
       entpolitisiert in Teilen das zutiefst Politische: Der Hass ist tief in die
       Köpfe der Menschen gedrungen. Der Wahnsinn, der beim [2][Sturm auf das
       Capitol] am 6. Januar letzten Jahres zu sehen war, könnte nur der Anfang
       gewesen sein.
       
       Damals schrien einige der Besetzer: „Where are you, Nancy?“ und stürmten
       ihr Büro, in dem sie sich zum Glück nicht mehr befand. Jagd auf
       Repräsentanten der Demokratie, brachiale Gewalt. Donald Trump brachte den
       aufgebrachten Hass ins Weiße Haus, er trieb die Nation und die Welt vor
       sich her mittels eines vermeintlich kleinen, blauen Vogels: Twitter.
       Desinformationskampagnen vom mächtigsten Mann der Welt gab es damals
       täglich.
       
       ## Eine überdimensionale Stimme
       
       Nach dem Sturm auf das Capitol twitterte Trump über die Wahl, die im
       angeblich geklaut worden war, darüber, dass seine
       MAKE-AMERICA-GREAT-AGAIN-Anhänger „a GIANT VOICE long into the future“
       haben würden, eine überdimensionierte Stimme weit bis in die Zukunft
       hinein. [3][Am 8. Januar sperrte Twitter Trump.]
       
       Doch jetzt gehört [4][Twitter bekanntlich Elon Musk]. Als Hillary Clinton
       einen solidarischen Tweet für die Familie Pelosi postete, verlinkte „Chief
       Twit“ Musk den Link zu einer üblen Verschwörungstheorie. Demnach sei Paul
       Pelosi zum Zeitpunkt des Überfalls angetrunken gewesen und habe mit einem
       männlichen Prostituierten gestritten. Musk löschte den Link nach heftiger
       Kritik, der Teufel war jedoch längst in der Welt.
       
       Es scheint keine Grundregeln des demokratischen Zusammenspiels mehr zu
       geben, der noch diskursive Krieg um die Deutungshoheit wird vor allem auch
       auf Twitter geführt, doch immer öfter schlägt er, wie im Fall Pelosi, um in
       rohe Gewalt. Haben wir das Ausmaß der Macht, die diese digitalen
       Plattformen über unsere Demokratien haben, wirklich verstanden?
       
       Einer wie Musk hätte auch, wie Milliardäre das bisher taten, einen
       Präsidentschaftskandidaten seiner Wahl mit viel Geld unterstützen und seine
       Interessen nach der Wahl durchsetzen können. Es wird nur immer deutlicher,
       dass ohne digitale Netzwerke kaum mehr eine Wahl zu gewinnen ist. In
       Brasilien wurden unter anderem über Whatsapp massiv
       Desinformationskampagnen über Lula da Silva gestreut.
       
       ## Das gefährliche vermeintlich Seriöse
       
       [5][Lula hat nun zwar knapp gewonnen], aber der direkte Zugang zu den
       Handys der Wählerinnen und Wähler bestimmt zunehmend, wie Menschen sich die
       Welt erklären. Während Corona haben wir in Deutschland viele Bürgerinnen an
       Verschwörungsmythen verloren, seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine
       verbreiten die russischen Desinformationskampagnen ihre Lügen und bringen
       Bürgerinnen im Westen gegen den Westen auf.
       
       Ich habe keine Sorgen mehr wegen den Hassreden der Trolle, die lassen sich
       immerhin blocken. Wirklich Sorge macht das vermeintlich Seriöse, die
       vermeintliche „andere Geschichte“, die in Umlauf kommt, so wie der
       betrunkene Streit zwischen Paul Pelosi und dem männlichen Prostituierten im
       Haus. Es ist viel Arbeit, Unsinn aus der Welt zu schaffen. Mitunter schafft
       man nichts anderes mehr. Das scheint die platte Strategie jener, die
       verwirrte Demokratien wollen, um ihr autoritäres Handeln zu rechtfertigen.
       
       Viele Republikaner mobilisieren gerade auf der Basis dieser Kampagne ihre
       Wählerinnen und Wähler für die Zwischenwahlen. Liest man einige der Tweets
       seit dem Angriff auf Pelosi, wird klar, weshalb Maureen Dowd kein Halloween
       braucht: groteske, gruslige Realitätsverdrehung, Horror, ja, welche Fratzen
       Politiker aufsetzen, wie sie mit der Wirklichkeit spielen und auf die
       Überforderung der Wählerinnen setzen.
       
       [6][„The bird is freed“], twitterte Musk, als er das Haus übernahm. Der
       Vogel ist frei. „In Europe, the bird will fly by our european rules“,
       twitterte daraufhin der Europäische Kommissar Thierry Breton. Das klingt
       selbstbewusst, und doch weiß jeder, dass es so gut wie nichts bedeutet.
       Seit Jahren setzt die EU den jungen weißen Männern von Silicon Valley viel
       zu wenig entgegen. Im Gegenteil: Die EU plant selbst Maßnahmen, die
       demokratische Grundrechte der Bürger aushöhlen würden, wie etwa die
       Chatkontrolle.
       
       Was ist der digitale Masterplan für die Demokratie? Gibt es Regeln für die
       Inhaber der Plattformen, die unsere Demokratien vor ihrem Einfluß schützen,
       oder fürchten sich zu viele vor der Rache der Inhaber? Mark Zuckerberg
       zeigte zuletzt bei den Protesten in Iran, dass die Besitzer der Plattformen
       meinen, keine Ethik haben zu müssen.
       
       Bei Musk läuft diese angebliche Neutralität unter einem demokratischen
       Kampfbegriff: „Free speech.“ Es ist die Tragik der Gegenwart, dass die
       Feinde der Freiheit sich so leidenschaftlich als Freiheitsfreunde tarnen.
       Wer dem etwas entgegensetzen will, sollte das bald tun.
       
       1 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Prominente-US-Demokratin-als-Angriffsziel/!5891377
 (DIR) [2] /Sturm-auf-US-Kapitol/!5823638
 (DIR) [3] /Twitter-und-Facebook-sperren-Trump/!5738817
 (DIR) [4] /Elon-Musks-Kauf-von-Twitter/!5882485
 (DIR) [5] /Lula-gewinnt-die-Stichwahl-in-Brasilien/!5891471
 (DIR) [6] https://twitter.com/elonmusk/status/1585841080431321088
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jagoda Marinić
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schlagloch
 (DIR) Twitter / X
 (DIR) Elon Musk
 (DIR) Demokratie
 (DIR) Donald Trump
 (DIR) Hacking
 (DIR) Kolumne Diskurspogo
 (DIR) Twitter / X
 (DIR) Twitter / X
 (DIR) GNS
 (DIR) US-Justizministerium
 (DIR) Unternehmen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Chaos Computer Club: Nicht jammern, hacken!
       
       Der weltweit größte Hacker*innen-Kongress fand an vielen Orten gleichzeitig
       statt. Es ging um Kunst, Privatsphäre – und ein Datenleck des US-Militärs.
       
 (DIR) Nach Musks Twitter-Übernahme: Nicht immer im Kampfmodus
       
       Twitter droht der Rechtsruck. Muss man bleiben, um die Plattform nicht den
       Rechten zu überlassen? Mitnichten.
       
 (DIR) Entlassungen bei Twitter: Ciao per Mail
       
       Twitter-Chef Elon Musk spart ein: Per Mail will das Unternehmen am Freitag
       Tausende Mitarbeitende entlassen. Sie sollen auch ihre Spam-Ordner checken.
       
 (DIR) Nach der Übernahme durch Elon Musk: Twitter bittet zur Kasse
       
       Der kleine Haken, der Accounts Echtheit attestiert, soll acht Euro
       monatlich kosten. Es ist die erste große Neuerung nach der Übernahme durch
       Musk.
       
 (DIR) Elon Musk hat Twitter gekauft: Musk überweist die 44 Milliarden
       
       Twitter hat die Übernahme bestätigt und den Kurznachrichtendienst von der
       Börse genommen. Den Chefposten will Elon Musk haben.
       
 (DIR) Sturm auf das Kapitol: Trump soll aussagen
       
       Ex-Präsident Trump soll vor dem Untersuchungsausschuss zu den Ereignissen
       am 6. Januar 2021 aussagen. Gegen ihn laufen bereits mehrere Verfahren.
       
 (DIR) Wirtschaftsweise über Pläne von Elon Musk: „Twitter beeinflusst Politik“
       
       Monika Schnitzer warnt vor der Übernahme von Twitter durch den Tesla-Chef.
       Dahinter stecke eine gefährliche politische Agenda, sagt die Ökonomin.