# taz.de -- Arbeitskampf in Frankreich: Tank leer, Schnauze voll
       
       > Der Tarifkonflikt in der Ölindustrie hat in Frankreich zu drastischem
       > Treibstoffmangel geführt. Die Regierung will die Streikenden
       > zwangsverpflichten.
       
 (IMG) Bild: Lange Warteschlange an einer Tankstelle in Lille am 6. Oktober
       
       Paris taz | Ein vor drei Wochen ausgerufener Streik in den französischen
       Erdölraffinerien wird zu einer Kraftprobe zwischen den Gewerkschaften, die
       angesichts der [1][Riesenprofite der Konzerne] – und der steigenden
       Inflation – berechtigte Lohnforderungen stellen, und der Regierung, die
       wegen des Treibstoffmangels unter Druck geraten ist.
       
       Da am Mittwoch sechs von acht französische Raffinerien wegen des
       anhaltenden Konflikts weiterhin blockiert waren und da die Gewerkschaften
       von TotalEnergies und Esso-Exxonmobil am frühen Vormittag die
       [2][Fortsetzung ihres Streiks beschlossen] haben, will die Regierung nun
       Ernst machen mit der Drohung, das für die Sicherheit und den Betrieb
       erforderliche Personal zu requirieren.
       
       Für die Gewerkschaften bedeutet dies, dass ihr Streikrecht frontal
       attackiert wird. Wer dem Aufgebot der Behörden, trotz Streik zu arbeiten,
       nicht Folge leistet, dem droht im Prinzip eine Geldbuße von 10.000 Euro.
       Bei der ersten von der Requisition betroffenen Raffinerie in
       Gravenchon-Port-Jérôme in der Normandie wollen es die Streikenden auf die
       Kraftprobe ankommen lassen.
       
       Präsident Emmanuel Macron wollte sich bisher aus dem Konflikt heraushalten,
       indem er erklärte, es sei nicht am Staat, sich in Verhandlungen zwischen
       den Arbeitgebern und Arbeitnehmerverbänden einzumischen. Trotzdem war er am
       Montag ziemlich ungehalten über die sich in die Länge ziehende Krise der
       Versorgung mit Benzin und Diesel. „Blockieren ist keine
       Verhandlungsmethode“, teilte er den Gewerkschaften mit.
       
       ## Lohnerhöhung um 10 Prozent gefordert
       
       Die wiederum antworteten, sie hätten kein anderes Mittel als den Streik, um
       ihren Anteil an den Gewinnen einzufordern. Allein der französische Konzern
       Total hat mehr als 10 Milliarden Euro Gewinn erzielt. Die in diesem
       Arbeitskampf federführende Gewerkschaft CGT fordert über die von der
       Direktion in Aussicht gestellte Gewinnbeteiligung hinaus eine per 1. Januar
       rückwirkende Lohnerhöhung um 10 Prozent.
       
       Die Regierung ist wegen des frappierenden Treibstoffmangels für die
       privaten Konsumenten und zahlreiche Unternehmen politisch unter Druck
       geraten. Der Arbeitsalltag ist vor allem in Nordfrankreich, in Paris und
       der weiteren Umgebung der Hauptstadt sowie im Osten bis an die Grenzen von
       Deutschland und der Schweiz wegen der komplizierten und oft vergeblichen
       Suche nach „Sprit“ zunehmend gestört.
       
       Nachschubprobleme machten sich bereits bei der Lebensmittelversorgung
       bemerkbar, Fahrschulen sind vorübergehend geschlossen. Wer kann, arbeitet
       im Homeoffice. Jetzt heißt es, seit der Krise im Mai 68 habe Frankreich
       keine vergleichbaren Engpässe bei der Versorgung mit Treibstoff wegen
       Streiks erlebt. Nur die Bretagne und der Südwesten sind bisher weitgehend
       verschont geblieben.
       
       ## Treibstoffrationierung als letztes Mittel
       
       Offiziell sind zwar in ganz Frankreich nur ein Drittel der Tankstellen
       wegen leeren Reservoirs geschlossen, doch die Realität im Straßenverkehr
       ist eine andere: Sobald an einem Ort Treibstoff vorhanden ist, bilden sich
       Warteschlangen. Oft liegen die Nerven blank. „C’est la galère!“ („So ein
       Schlamassel!“), schimpfen viele. Der Tank ist leer, aber die Schnauze voll
       nach stundenlanger Suche, während andere „vorsorglich“ ganze Kanister
       füllen.
       
       Auch die Hamsterkäufe mehren sich, angeblich soll in den letzten Tagen die
       Verkaufsmenge um 30 Prozent gestiegen sein. Viele der auf ihren Pkw
       angewiesenen Automobilisten sitzen auf dem Trockenen und können nicht mehr
       zur Arbeit fahren. Für die öffentlichen Dienste oder Berufstätige im
       Sozial- und Gesundheitsdienst, die Hausbesuche machen müssen, sind
       exklusive Zapfsäulen eingerichtet worden. Falls sich kein Ende des
       Konflikts abzeichnet, [3][muss der Treibstoff bald rationiert werden].
       
       12 Oct 2022
       
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