# taz.de -- Umgang mit Stammgästen: Eine spezielle Spezies
       
       > Stammgäste zu haben ist eine Freude – man kennt ihre Angewohnheiten und
       > Vorlieben. Schwieriger wird es, wenn der Gast daraus Sonderrechte
       > ableitet.
       
 (IMG) Bild: „Übrigens, wir kommen schon seit Jahren“: Stammtisch mit Aschenbecher und Bierdeckeln
       
       Es gibt einen Satz, mit dem ich nichts anfangen kann. Der Inhalt bleibt mir
       auch verschlossen, egal, mit welchem Unterton er gesprochen wird. Manchmal
       freundlich, manchmal neutral feststellend, bisweilen fast drohend, meist
       höre ich ihn bei der Reservierung oder der Ankunft der Gäste: „Übrigens,
       wir kommen schon seit Jahren in [1][den Schwan].“ Der Versuch, diese
       Information zu verarbeiten, führt bei mir regelmäßig zu einer kritischen
       Systemüberlastung.
       
       Dieser Satz kann so ziemlich alles bedeuten, zum Beispiel: Schön, dass das
       Haus weitergeführt wird. Oder: Mal sehen, ob die eine Stufe auf der Treppe
       in den 2. Stock noch genauso quietscht wie vor drei Jahren. Nur sehr selten
       kommt ein Nachsatz, das hilft dann etwas: Beispielsweise: „Wir übernachten
       immer in Zimmer Nr. 5!“ Oder: „Sie haben doch hoffentlich noch Bacchus auf
       der Weinkarte?“ Das kann ich wenigstens konkret beantworten: Bacchus gibt
       es keinen. Und wenn Zimmer 5 belegt ist, dann ist Zimmer 5 eben belegt.
       
       Stammgäste sind eine spezielle Spezies. Das wusste ich schon, bevor ich
       Wirt wurde. Aber wie bizarr die Situationen mit ihnen werden können, die
       nicht die eigenen, sondern gewissermaßen hinzugepachtet sind, das habe ich
       mir nicht ausmalen können. Zum Beispiel die Herrschaften mit Zimmer Nr. 5.
       Der Mann erzählte, in seinem Büro hingen inzwischen dieselben Bilder wie
       dort. Es sind Aquarelle von Paul Klee.
       
       Bitte nicht falsch verstehen. Es ist selbstverständlich angenehm, bekannte
       Menschen begrüßen zu dürfen. Man kennt ein paar Angewohnheiten, vielleicht
       sogar ein paar Details aus dem Leben, da ist man schneller im Gespräch und
       es fällt leichter, es den Menschen heimelig zu machen. Doch es wird zur
       Prüfung für die gastronomische Beziehung, wenn der Gast daraus
       Gewohnheitsrechte ableitet oder sich sogar vorkommt wie im eigenen
       Besitzstand – erst recht dann, wenn die neuen Wirtsleute keinen Schimmer
       haben, wie sich das alles entwickelt haben könnte. Inzwischen antworte ich,
       wenn sich jemand als Stammgast identifiziert: „Dann bin ich gespannt, ob
       Sie entdecken, was wir hier alles verändert haben.“
       
       Neulich hatte ich wieder so einen Fall. Da sagte ich genau diesen Satz zu
       der alten Dame, die sich an der Rezeption so vorstellte: „Wir waren hier
       das erste Mal 1972.“ Sie antwortete flott: „Oh, es hat sich wahrscheinlich
       alles verändert.“ Am Abend stellte sich heraus, 1972 waren sie zuletzt zu
       Besuch gewesen, Anlass war die Heirat. Die Dame hatte genau zu ihrem 50.
       Hochzeitstag gebucht. Bei Tisch packte sie mit ihrem Mann einen Karton mit
       Fotos und Einladungskarten von damals aus, sie hatten sie seit Jahrzehnten
       nicht mehr angesehen. Wir fanden einen passenden Wein, arrangierten schnell
       ein Candle-Light-Dinner. Beim Abschied sagte die alte Dame, es wäre
       wahrscheinlich eine gute Idee, nun öfters zu kommen.
       
       17 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Wie-man-Wirt-wird/!5856397
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jörn Kabisch
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kolumne Der Wirt
 (DIR) Gastronomie
 (DIR) Bayern
 (DIR) Kolumne Der Wirt
 (DIR) Kolumne Der Wirt
 (DIR) Kolumne Der Wirt
 (DIR) Kolumne Der Wirt
 (DIR) Kolumne Der Wirt
 (DIR) Kolumne Der Wirt
 (DIR) Reisen in Europa
 (DIR) Reisen in Europa
 (DIR) Deutsche
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Der Gasthof als Sozialstation: Diese Tür ist niemals zu
       
       In den Gasthof unseres Autoren kommen immer wieder Überraschungsbesucher.
       Manche suchen Hilfe, manche nur eine Toilette. Willkommen sind sie alle.
       
 (DIR) Überpünktliche Hotelgäste: Der frühe Vogel nervt den Wirt
       
       Check-out-Zeiten stecken im Biorhythmus jedes Hotelgastes, hat unser Autor
       festgestellt. Bei Check-in-Zeiten aber, da herrscht Anarchie.
       
 (DIR) In der Spülküche: Mr Hobart und der eingebrannte Topf
       
       Die beiden „Mitarbeiter des Monats“ sind ein Mensch und eine Maschine. Ohne
       dieses Dreamteam würde unser Gastwirt in schmutzigem Geschirr versinken.
       
 (DIR) Fränkische Esskultur: Hier geht es immer um die Woorschd
       
       Ob dick oder dünn, ob grob gewolft oder fein gekuttert: Gebratene Wurst ist
       in Franken ein Grundnahrungsmittel. Doch woran erkennt man eine gute?
       
 (DIR) Beerdigung in Castell: Abschied vom Willi
       
       Zeit seines Lebens hatte Willibald Lösch lange Tage, arbeitete im Gasthaus,
       auf dem Feld und im Weinberg. Und nicht nur dort. Nun ist er gestorben.
       
 (DIR) Reservierung im Gasthaus: „Aber das steht im Internet“
       
       Finden sich einmal Öffnungszeiten auf einer Webseite, ist das in Stein
       gemeißelt. Als Gastwirt kann man davon ein Lied singen.
       
 (DIR) Osteuropa mit dem Rad: Die Rad-Nomadin
       
       2.000 Kilometer auf dem Donauradweg. Allein und mit eigenem Rhythmus durch
       eine postsozialistische Landschaft.
       
 (DIR) „Alberghi diffusi“ in der Schweiz: Still und fast vergessen
       
       Das italienische Konzept, einsame Orte durch „verstreute Hotels“
       wiederzubeleben, ist in der Schweiz angekommen. In Corippo soll bald wieder
       was los sein.
       
 (DIR) Urlaub mit Hans in der Türkei: Der Kartoffelfresser
       
       Mit meinem Freund Hans besuchte ich ein Restaurant an einer staubigen
       Landstraße. Leider setzte sich der Wirt zu uns und fing an, über Hans zu
       reden.