# taz.de -- Türkische Außenpolitik: Gefällige Vermittlerrolle
       
       > Vor der türkischen Wahl im kommenden Juni setzt Recep Tayyip Erdoğan vor
       > allem auf Deeskalation. Damit will er bei der Bevölkerung punkten.
       
 (IMG) Bild: Begrüßungzeremoniell in Astana, Kasachstan am 12. Oktober: Erdoğan und Präsident Tokajew
       
       Istanbul taz | Am Donnerstag will sich der türkische Präsident Recep Tayyip
       Erdoğan mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in der kasachischen
       Hauptstadt Astana treffen. Erneut wollen die beiden über Russlands Krieg in
       der Ukraine sprechen und unter welchen Voraussetzungen Verhandlungen
       zwischen Putin und der Ukraine möglich sind. Am Dienstag sagte der
       russische Außenminister Sergei Lawrow zudem, dass er im Rahmen des
       G20-Gipfes Mitte November auch zu einem Gespräch mit Washington bereit sei.
       In einem [1][Interview mit dem US-Sender CNN] am Dienstagabend antwortete
       Joe Biden ausweichend: Es käme darauf an, worüber Russland bei einem
       solchen Treffen konkret sprechen wollen würde, um auf das Angebot
       einzugehen.
       
       Erdoğan wiederum wird nicht müde zu betonen, dass dieser Konflikt durch
       Diplomatie gelöst werden muss. Zwar betonte sein Außenminister vor zwei
       Tagen noch einmal, dass auch die Türkei erwarte, dass sich Russland aus den
       besetzten Gebieten in der Ukraine zurückzieht, doch zunächst will Erdoğan
       einen Waffenstillstand erreichen. Erdoğan hat sich den westlichen
       Sanktionen gegen Russland nicht angeschlossen und ist deshalb sowohl für
       Russland wie für die Ukraine ein akzeptabler Gesprächspartner.
       
       Den meisten TürkInnen gefällt das, als international gefragter
       Gesprächspartner kann er auch innenpolitisch wieder punkten. Dass durch
       seine Haltung zu Russland die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden
       Ländern florieren und die Türkei nach wie vor billiges Gas und Öl aus
       Russland bekommt, tut seiner Popularität natürlich auch keinen Abbruch.
       Insgesamt setzt Erdoğan im Vorfeld der Wahlen mit einer Ausnahme auf
       Deeskalation. Im Kaukasus will er, nachdem die Türkei Aserbaidschan im
       Krieg gegen Armenien unterstützt hatte, jetzt helfen, einen Frieden zu
       vermitteln.
       
       Am Rande des erweiterten EU-Treffens in Prag traf er sich nicht nur mit
       seinem Partner Ilham Alijew, sondern auch mit dem armenischen
       Regierungschef Nikol Paschinjan. In Israel hat die Türkei in dieser Woche
       nach einer jahrelangen Eiszeit wieder einen Botschafter eingesetzt, und
       auch im kriegsgeplagten Syrien könnte es demnächst zu einem Treffen mit
       Diktator Baschar al-Assad kommen. Zwar greift die türkische Armee seit
       Wochen fast jeden Tag in Nordsyrien Führer der kurdischen YPG-Miliz [2][mit
       Drohnen] an, doch der zunächst angekündigte große militärische Einmarsch
       ist auf Druck aus den USA, Russlands und der EU wohl vom Tisch.
       
       Konflikt mit Griechenland 
       
       Als letzter Konfliktpunkt in der unmittelbaren Nachbarschaft bleibt
       Griechenland. Gegenüber Griechenland und den griechischen Zyprioten setzt
       Erdoğan auf Eskalation statt Diplomatie. Im Streit um die Hoheits- und
       Schürfrechte in der Ägäis drohte Erdoğan zuletzt ziemlich unverhohlen mit
       einem Angriff auf die griechischen Inseln vor der türkischen Küste.
       
       Vielleicht nur, um den Nationalisten in der Türkei vor den Wahlen zu
       zeigen, dass er nach wie vor den starken Mann markieren kann, vielleicht
       aber auch, um tatsächlich einen Coup zu landen. An der Grenze zu
       Griechenland vertieft sich in diesen Wochen nicht nur [3][der Konflikt]
       zwischen den beiden Nachbarn, sondern es zeichnet sich auch ein immer
       tieferer Graben zwischen der Türkei und dem Westen insgesamt ab.
       
       Die EU setzt im Streit zwischen den beiden Ländern mittlerweile auf ihr
       Mitgliedsland Griechenland und fällt deshalb als Vermittler aus. Das hatte
       jahrzehntelang die Nato-Vormacht USA getan, aber unter Präsident Joe Biden
       setzen jetzt auch die USA ganz auf Griechenland. Athen wird von Washington
       hochgerüstet, und die US-Armee baut in Griechenland Stützpunkte aus oder
       legt noch neue an.
       
       Das führt nicht nur zu den Konflikten in der Ägäis, sondern heizt auch neue
       Spannungen auf Zypern an. So wie die griechische Regierung Truppen auf die
       Ägäis-Inseln verlegt, wird in der Türkei diskutiert, mehr Truppen in
       Nordzypern zu stationieren. Eins ist sicher: Ein Zwischenfall mit
       Griechenland würde Erdoğan bei den Wahlen mehr nützen als schaden.
       
       12 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://edition.cnn.com/2022/10/11/politics/joe-biden-interview-cnntv/index.html
 (DIR) [2] /Angriffe-in-Nord--und-Ostsyrien/!5870762
 (DIR) [3] /Tuerkei-Griechenland-Konflikt/!5880406
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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