# taz.de -- tazđŸŸthema: Ein Geysir neuer Bilderwelten
       
       > Kunst im Herbst: WÀhrend sich das Museum Ludwig in Köln auf Pflanzen
       > kapriziert, ist im Kunsthaus ZĂŒrich das Werk von Niki de Saint Phalle zu
       > sehen. Die Berlin Art Week zieht es in die Peripherie
       
 (IMG) Bild: Otto Feldmann, Park mit Palme und Herr in Blau, 1911/1913, aus der Ausstellung „GrĂŒne Moderne“ im Museum Ludwig, Köln
       
       Von Jana Janika Bach
       
       Bloß nicht wieder zusperren, lautet die Botschaft an die Kultur, einhellig
       zu vernehmen von Bayern bis Berlin. Das wolle wirklich keiner. Eigentlich.
       Sinistres braut sich zusammen, und der Ausblick auf die kĂŒhlere Jahreszeit
       bietet kaum Anlass zur Freude. GĂ€be es da nicht die Kunst selbst, als
       hellen Streif, Tor und Fenster in andere Welten.
       
       In Köln wirkt sie wie ein VergrĂ¶ĂŸerungsglas. Mikro statt Makro heißt es
       beim Besuch im Museums Ludwig, mit dem sich sogar der Sommer ein wenig
       verlĂ€ngern lĂ€sst. „GrĂŒne Moderne. Eine neue Sicht auf Pflanzen“ (17. 9.
       22–22. 1. 23), so der zugkrĂ€ftige Titel der Ausstellung, die nicht die
       Natur im großen Maßstab meint, sondern das einzelne GewĂ€chs und ins frĂŒhe
       20. Jahrhundert fĂŒhrt.
       
       In eine Zeit, als der Stummfilm „Das Blumenwunder“ Menschen mit
       Zeitrafferaufnahmen begeisterte – wie den jĂŒdischen Philosophen Walter
       Benjamin, allgemein ein Verehrer des PhÀnomens passagerer ZustÀnde. Angetan
       von den vor Augen gefĂŒhrten technischen Neuerungen, schrieb er zwei Jahre
       nach UrauffĂŒhrung des cineastischen Wunderwerks im Piccadilly 1926 quasi
       eine Ode. Ob nun die Pflanzen beim Wachsen beschleunigt oder um ein
       Vierzigfaches vergrĂ¶ĂŸert wĂŒrden, heißt es etwa im Text, „in beiden FĂ€llen
       zischt an Stellen des Daseins [
] ein Geysir neuer Bilderwelten auf“.
       
       Mit einem Superlativ lockt indes die Royal Academy of Arts in London, sie
       bietet das immersive Kunsterlebnis des Jahres. Nach Anish Kapoor und Antony
       Gormley wird der namhafte William Kentridge die Akademie bespielen (24. 9.
       22–11. 12. 22). Mit seinem poetischen Schwarzweiß-Miniaturtheater, in denen
       er Schattenrisse und Frottagen durch Stop-Motion-Technik zum TĂ€nzeln
       bringt, und als Gegner des Apartheidregimes erlangte der SĂŒdafrikaner
       Weltruhm. Meterhoch wurden die WĂ€nde fĂŒr seine gewaltige Installation
       tapeziert. Den magischen mit Holzkohle gezeichneten Wald sollen skurrilen
       Figuren bevölkern, etwa ein Purzelbaum schlagendes Rhinozeros mit Megafon.
       
       Wer sich einmal in ihren intimen PortrÀts verloren und wiedergefunden hat,
       wird der Malerei von Alice Neel fĂŒr immer verfallen sein. Über Jahrzehnte
       schuf sie ein malerisches ƒuvre von singulĂ€rer Kraft und ließ im Leben kaum
       etwas aus – Nervenzusammenbruch, Tod der kleinen Tochter, Kubareisen, Söhne
       von zwei weiteren VĂ€tern. Doch tragischerweise blieb ihr die Anerkennung
       lange verwehrt.
       
       Im Jahr 1900 geboren passte Neel – Kommunistin, Frauenrechtlerin,
       alleinerziehend – nicht zur mondĂ€nen Art-Szene Downtown Manhattans. Mit
       ihren „pictures of people“, schonungslosen „Seelenbildern“ von Nachbarn,
       Prominenten, den eigenen Kindern, ließ sie sich schwer oder allenfalls
       irgendwo zwischen Neuer Sachlichkeit und ExpressivitÀt verorten. Auch nach
       der Retrospektive im Whitney Museum in New York, die das Werk der damals
       74-JĂ€hrigen erstmals einer Öffentlichkeit bekannt machte, galt Neel weithin
       als berĂŒhmte Unbekannte. Vor einer Leinwand sitzend sei sie frei gewesen
       und glĂŒcklich, sagte die KĂŒnstlerin vor ihrem Tod 1984. Dass sich ihre
       Geschichte auf vielerlei Arten erzĂ€hlen lĂ€sst, bestĂ€tigt auch „Un regard
       engagĂ©â€œ im Centre Pompidou in Paris (5. 10. 22–2. 1. 23). Eine Ausstellung,
       die FrĂŒhes aus den 1920ern bis zum SpĂ€twerk hinsichtlich des
       sozialpolitischen Engagements Neels neu sortiert.
       
       Heute wird Niki de Saint Phalle zu den populÀrsten, immer öfter zu den
       innovativsten KĂŒnstlerinnen des 20. Jahrhunderts gezĂ€hlt. Ihre ĂŒppigen
       Frauenfiguren, die Ende der 60er Jahre einen Nerv trafen, stehen an Orten
       in aller Welt. Lange unterschÀtzt indes wurde, welche Bedeutung die 1930
       geborene Französin fĂŒr die Kunstgeschichte hat. Die gigantisch Liegende –
       in den BrĂŒsten eingerichtet eine Milchbar, im Unterleib ein Eingang –, die
       sie fĂŒr das Stockholmer Moderna Museet entwarf, wurde als „grĂ¶ĂŸte Hure der
       Welt“ betitelt. Dabei markierten die „Nana“-Skulpturen einen Wendepunkt in
       de Saint Phalles von Krisen geprÀgtem Werk und Leben.
       
       Arbeitete sie zunĂ€chst als Model fĂŒr Zeitschriften wie Vogue oder Elle,
       beschloss sie 1953 in einer Psychiatrie KĂŒnstlerin zu werden. Sie begann
       mit den „Schießbildern“, ein performativ-martialischer Akt und
       feministischer Befreiungsschlag in einem. In weißem Hosenanzug legte sie
       das Gewehr an, die Farbbeutel in den Gipsreliefs zerplatzten – ein
       Aufbegehren gegen die Herkunft, das Patriarchat, gegen den missbrauchenden
       Vater. SpĂ€t formt sie mit ihrem zweiten Mann Jean Tinguely Großformatiges,
       wie den Strawinski-Brunnen.
       
       Über zehn Jahre gestaltet sie mit Tinguely und Freunden ihren Tarot-Garten
       in der Toskana, bevor sie 2002 in San Diego, Kalifornien, stirbt.
       Hinterlassen hat sie ein Gesamtwerk, das in seiner VielfÀltigkeit
       ĂŒberrascht, wie im Kunsthaus ZĂŒrich (2. 9. 22–8. 1. 23), danach in der
       Frankfurter Schirn (3. 2. 23– 31. 5. 23) zu sehen sein wird. Ausgestellt
       werden dort frĂŒhe Assemblagen, Aktionskunst und Grafik, die Nanas, der
       Tarotgarten und spÀte Plastiken.
       
       In DĂŒsseldorf taucht de Saint Phalle in diesem Herbst ebenfalls auf, als
       WeggefÀhrtin von Christo und Jeanne-Claude. Eine Schau im Kunstpalast (7.
       9. 22–22. 1. 23), der letzten, die Christo kurz vor seinem Tod im Mai 2020
       noch absegnete, kontextualisiert das kĂŒnstlerische Erbe des umtriebigen
       KĂŒnstlerpaares, etwa mit GemĂ€lden von Lucio Fontana oder Yves Klein. Zudem
       gibt sie Einblick in sÀmtliche von Christo und Jeanne-Claude realisierten
       Projekte seit „Wrapped Coast“ von 1968/69.
       
       Wie viel mÀnnlicher Chauvinismus steckt in Mies van der Rohes Museumsbau?
       Eine das Fundament erschĂŒtternd berechtigte Frage, der Monica Bonvicini
       passenderweise in der Neuen Nationalgalerie auf den Grund geht. Die in
       Berlin lebende Italienerin ĂŒbt, wenn auch lustige, doch handfeste
       Institutionskritik. Auch hinter den Fassaden der architektonisch aalglatten
       Ikonen der Moderne verbergen sich verkrustete Machtstrukturen. „Elegance
       and Crime“ (28. 10. 22– 2. 4. 23) prĂ€sentiert in der oberen Halle Bekanntes
       und neue Produktionen.
       
       In Berlin, „einer im mĂ€rkischen Sand gelegenen Insel“, trifft man sich
       außerdem, kommt dem nichts in die Quere, zur Berlin Art Week (14. 9. 22–18.
       9. 22). Wie so viele, die es wegen der hohen LebensqualitÀt oder Mietpreise
       ins Umland verschlÀgt, zieht das Festival dieses Jahr hinein in die
       Peripherie. Fast seit 25 Jahren ist sie Hauptstadt, fĂŒr die einen noch
       immer magisch, die anderen degradieren sie als in Teilen provinziell oder
       sagen gar, wie der Autor Jens Bisky, sie sei „eine große Stadt“. Ein
       Spannungsfeld, das es im SpeckgĂŒrtel zu untersuchen gilt.
       
       27 Aug 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jana Janika Bach
       
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