# taz.de -- Expansion von Russland, China, Serbien: Der Unruhesommer 2022
       
       > Im Krieg Russland–Ukraine ist kein Ende in Sicht. Dafür findet er
       > Nachahmer in den Konflikten China–Taiwan und Serbien–Kosovo.
       
 (IMG) Bild: Der Sommer 2022 ist besonders stürmisch, und das nicht nur wegen des andauernden russischen Krieges in der Ukraine
       
       Sommerzeit ist Unruhezeit. Der Erste Weltkrieg begann am 28. Juli 1914 mit
       der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien, der Zweite Weltkrieg am
       1. September 1939 mit Deutschlands Einmarsch in Polen. In den August fallen
       [1][Iraks Überfall auf Kuwait 1990] und [2][Russlands Einmarsch in Georgien
       2008]. Jedes Mal hielt eine sich stark fühlende Macht den Zeitpunkt für
       geboten, einen Nachbarn zu zertreten.
       
       Der Sommer 2022 ist besonders stürmisch, und das nicht nur wegen des
       andauernden russischen Krieges in der Ukraine. In der Nacht zum 1. August
       [3][gerieten Serbien und Kosovo an den Rand einer bewaffneten
       Auseinandersetzung]: Es gab Schüsse an der Grenze, Serbiens Präsident Vučić
       ließ Truppen aufmarschieren und rief in einer Rede: „Serbien wird siegen“,
       Grund war eine neue kosovarische Einreiseregel. Am 2. August [4][drohte
       China gegenüber Taiwan mit militärischer Gewalt] und hält seitdem Manöver
       ab, bei denen Kriegsschiffe vor Taiwans Küste steuern und Raketen über die
       Insel fliegen – Grund war der Taiwan-Besuch von Nancy Pelosi, Vorsitzende
       des US-Repräsentantenhauses.
       
       Noch sind daraus keine offenen Kriege geworden wie Russland – Ukraine, aber
       die Muskelspiele vor allem in Peking ähneln denen in Moskau vor dem
       Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar. Und in der Wahrnehmung der
       Beteiligten hängen alle Konflikte zusammen. Taiwanesen begrüßten Pelosi mit
       Coronaschutzmasken in Blau-Gelb, den ukrainischen Nationalfarben. Serbische
       Soldaten an der Grenze zu Kosovo trugen Helme mit aufgemaltem [5][Z, das
       Symbol der russischen Aggression in der Ukraine]. Russlands Regierung hat
       sich öffentlich hinter China und Serbien gestellt.
       
       Von Stellvertreterkriegen kann man nicht sprechen, denn jeder Gewaltakteur
       handelt autonom. Es sind Verbündete. Aber auch wieder nicht verbündet
       genug, damit Entspannung an einer Front auch die anderen befrieden könnte.
       Zu beobachten ist eine blutige Mimikry der Gewaltanwendung quer um den
       Globus, in der scheinbarer Erfolg Nachahmern als Vorbild dient.
       
       ## „Heim ins Reich“
       
       Das geht weit über die Konflikte Russland gegen Ukraine, China gegen Taiwan
       und Serbien gegen Kosovo hinaus, aber diese drei Konflikte haben etwas
       gemeinsam. Ukraine, Taiwan und Kosovo werden sämtlich von den großen
       Nachbarn nicht als souveräne Staaten anerkannt, sie sollen geschluckt
       werden, „heim ins Reich“ sozusagen. Russland, China und Serbien werden von
       Revanchisten regiert, die verlorene Territorien zurückholen wollen und dies
       zu ihrem Lebenswerk erklärt haben; sie mobilisieren einen aggressiven
       Nationalismus, der der eigenen Nation eine besondere Einzigartigkeit
       zuschreibt. Sollte dies auch nur in einem einzigen der drei Fälle Erfolg
       haben, würde es die anderen beiden erst recht ermutigen und wohl auch
       zahlreiche andere auf der Welt, von deren Revanchegelüsten man noch gar
       nichts weiß.
       
       Weltweit schlummern ungelöste Konflikte um Grenzen und Territorien, um
       Selbstbestimmung und Zugehörigkeit. Man kann sie reaktivieren oder notfalls
       erfinden. Definieren, wer Freund ist und wer Feind; diese Definition
       anderen aufzwingen und am Ende den Feind vernichten – das ist das
       ursprüngliche Wesen von Herrschaft. Wer das einmal geschafft hat, macht
       immer weiter, schürt neuen Hass und neuen Stolz und schafft neue
       Abhängigkeiten, um die eigene Legitimität zu bewahren. Das begründet
       Herrschaft von Dauer, ganz anders als der permanente institutionalisierte
       Selbstzweifel moderner Demokratien.
       
       Damit diese archaische Herrschaftsform, in der sich Russland und China
       gerade einrichten, nicht die Zukunft der ganzen Welt darstellt, ist
       Beistand für die Ukraine, Taiwan und Kosovo überlebenswichtig für die
       Menschheit. Doch zugleich wollen immer mehr Mächtige des sogenannten
       „freien Westens“ Teil dieser düsteren neuen Welt von Putin und Xi werden.
       Im September könnten die Neofaschisten in Italien an die Macht kommen, im
       Oktober Netanjahus Rechte in Israel zurückkehren und im November
       Trump-Republikaner die US-Kongresswahlen gewinnen. Der Unruhesommer 2022
       bringt einen Vorgeschmack darauf, was der Welt dann blühen könnte.
       
       6 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
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