# taz.de -- Abberufung von Spitzenbeamten in Ukraine: Rätselhafte Suspendierungen in Kiew
       
       > Der ukrainische Präsident stellt den Chef des Inlandsgeheimdienstes und
       > die Generalstaatsanwältin des Landes frei. Die Vorgänge geben Rätsel auf.
       
 (IMG) Bild: Iryna Wenediktowa und Iwan Bakanow während einer Pressekonferenz in Kiew
       
       Kiew taz | Es ist ein Paukenschlag: Der ukrainische Präsident Wolodimir
       Selenski hat mit sofortiger Wirkung die Generalstaatsanwältin des Landes,
       Iryna Wenediktowa, und den Chef des Inlandsgeheimdienstes SBU, Iwan
       Bakanow, von ihren Pflichten entbunden. Selenski begründete die Abberufung
       des Geheimdienstchefs mit Fällen von Verrat in der Behörde. Die Gründe für
       die Freistellung der Generalstaatsanwältin blieben zunächst unklar. Formal
       behalten Wenediktowa und Bakanow ihre Posten, solange interne
       Untersuchungen laufen.
       
       Andrij Smirnow, stellvertretender Chef der Präsidialadministration,
       erklärte am Montag: Der Präsident und die ukrainische Gesellschaft hätten
       nun „lange genug auf konkretere und möglicherweise radikale Ergebnisse der
       Leiter dieser Behörden gewartet, um die Gesellschaft von Kollaborateuren
       und Staatsverrätern zu säubern“.
       
       Zuvor hatte Präsident Selenski erklärt, dass man beim Inlandsgeheimdienst
       viele Verräter, die mit dem Feind zusammenarbeiten, enttarnt habe. So sei
       vor wenigen Tagen der ehemalige Leiter der für die Krim zuständigen
       Abteilung des SBU, Oleh Kulinych, verhaftet worden. Man habe
       herausgefunden, dass dieser Staatsgeheimnisse an Russland weitergegeben
       habe.
       
       Nach Angaben ukrainischer Offizieller konnten russische Truppen nur
       deswegen [1][die Stadt Cherson im Süden des Landes einnehmen], weil der
       Inlandsgeheimdienst dort wichtige Aufgaben nicht wahrgenommen habe. So sei
       es versäumt worden, die Antonowsky-Brücke über den Fluss Dnipro zu
       sprengen. In der Folge sei es für die russischen Truppen ein Leichtes
       gewesen, in die Stadt einzudringen.
       
       Am 31. März hatte Selenski den Leiter des SBU in der Region Cherson, Serhiy
       Kryvoruchko, entlassen und ihm den Generalstitel aberkannt. „Derzeit habe
       ich nicht die Zeit, mich mit all den Verrätern abzugeben“, zitiert das
       Portal liga.net den Präsidenten. Und weiter: „Aber mit der Zeit werden alle
       bestraft werden.“
       
       ## 651 Strafverfahren wegen Staatsverrats
       
       Nach Angaben von Selenski wurden inzwischen 651 Strafverfahren wegen
       Staatsverrats und Zusammenarbeit mit dem Feind eingeleitet. Die Verfahren
       laufen demnach unter anderem gegen Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft, der
       Ermittlungsbehörden und anderer Strafverfolgungsbehörden.
       
       Weniger eindeutig sind die Beweggründe Selenskis für die Suspendierung von
       Generalstaatsanwältin Wenediktowa. Die Zeitung Ukrajinska Prawda will von
       einem „angespannten Verhältnis zum Präsidenten“ erfahren haben. Im Umfeld
       von Selenski, so die Ukrajinska Prawda, sei man unzufrieden mit der
       Öffentlichkeitsarbeit der Generalstaatsanwältin gewesen. Kritisiert worden
       sei auch ihre Entscheidung, die Verfahren gegen russische Kriegsgefangene
       zu beschleunigen. Dadurch hätte sie ukrainische Kriegsgefangene in Russland
       und auch geplante Gefangenenaustauschaktionen gefährdet.
       
       Das Portal liga.net schreibt, dass der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft
       auf Haft für [2][Ex-Präsident Petro Poroschenko] im Dezember 2021 nicht von
       Wenediktowa, sondern ihrem Stellvertreter Oleksij Simonenko unterschrieben
       worden war. Und ausgerechnet Simonenko wurde nun, nach Wenediktowas
       Freistellung, zum geschäftsführenden Generalstaatsanwalt ernannt.
       
       „Alle hässlichen Entscheidungen der Generalstaatsanwaltschaft wurden in den
       vergangenen Jahren von Simonenko unterzeichnet“, sagte Vitaliy Shabunin,
       Leiter des Antikorruptionszentrums, gegenüber liga.net. „Der eigentliche
       Grund für die Entlassung Wenediktowas ist, die eigenen Leute vor einer
       möglichen Bestrafung zu schützen“, so Schabunin.“
       
       Der Chefredakteur des Portals Censor.net, Jurij Butusow, glaubt, dass mit
       der faktischen Entlassung der beiden Behördenchefs die Macht von Andrij
       Yermak, dem Chef der Präsidialadministration, noch weiter zugenommen hat.
       Nun habe der Kampf um die Wiederwahl von Präsident Selenski begonnen, so
       Butusow. Der Politologe Wolodimir Fesenko glaubt unterdessen, dass noch
       weitere Abberufungen hoher Beamter ins Haus stehen werden.
       
       18 Jul 2022
       
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