# taz.de -- Frankreich im Halb-Finale der EM: Daphne hält nur fast alles
       
       > 1:0 durch Elfmeter in der Verlängerung. So kämpfte sich Frankreich ins
       > Halbfinale gegen Deutschland. Niederlandes Torfrau konnte es nicht
       > verhindern.
       
 (IMG) Bild: Da staunen die eigenen Verteidigerinnen: Torhüterin Daphne van Domselaar rettet mal wieder
       
       Die besondere Pointe des Abends war der völlig berechtigte Elfmeterpiff von
       Schiedsrichterin Ivana Martincic. Unzählige Gelegenheiten hatten sich diese
       irre schnellen Französinnen gekonnt vor allem in der ersten Halbzeit
       kreiert, um gut und gern drei oder vier Tore zu erzielen. Entschieden wurde
       die Partie in der Verlängerung aber schnöde vom Strafstoßpunkt von einer
       Außenverteidigerin. Eve Perisset behielt in der 102. Minute die Nerven.
       
       Die [1][Französinnen] beherrschen eine sehr spezielle Kunst: Nach ihrem
       eindrucksvollen 5:1-Triumph gegen Italien zu Beginn dieses Turniers fällt
       ihnen das Toreschießen von Spiel zu Spiel schwerer und sie stehen trotzdem
       im Halbfinale. Eine Turniermannschaft mit rückläufigen Leistungsdaten, das
       hat man selten gesehen.
       
       So machte sich die französische Presse dann doch Sorgen, ob das weiter gut
       gehen kann. Wie sie denn das Offensivproblem gegen Deutschland nächsten
       Mittwoch lösen wolle, wurde die Trainerin Corinne Diacre gefragt. „Ich
       werde in den nächsten drei Tagen keine Lösung finden – ich habe keinen
       Zauberstab“, antwortete sie gewohnt patzig, wenn Schwachstellen ihres Teams
       angesprochen werden. Weil der Sieg sie aber gnädiger stimmte, schob sie
       hinterher, im Spiel gegen Italien sei man sehr souverän gewesen, sie hoffe,
       man werde das auch im nächsten Spiel sein. Das klang wiederum zumindest
       nach magischer Vorstellungskraft.
       
       Einen magischen Abend hatte in Rotherham die Niederländerin [2][Daphne van
       Domselaar]. Sie war gewissermaßen auch eine Art Alibi für Corinne Diacre.
       Mit einer „außergewöhnlichen Torhüterin“ habe es ihr Team zu tun gehabt,
       gab sie zu bedenken. Und der niederländische Coach Mark Parsons schwärmte
       von der besten Turnierleistung einer Torhüterin bei einer EM seit Nadine
       Angerer 2013. Die Deutsche, erinnerte er, habe in dem Jahr den Ballon d’Or
       gewonnen. Die 22-Jährige van Domselaar hat, das lässt sich schon eine Woche
       vor dem Finale sagen, eine der ganz großen Geschichten des Turniers
       geschrieben. In der ersten Partie musste sie nach gut 20 Minuten mit Sari
       van Veenendaal die Stammtorhüterin und Kapitänin ersetzen – in ihrem
       zweiten Länderspiel. Vier Begegnungen später wird die noch in der
       niederländischen Liga aktive van Domselaar zu den ganz Großen ihres Fachs
       gezählt.
       
       ## „Fantastische Einzelspielerinnen“
       
       Mit ihren unzähligen Paraden nahm sie den Französinnen zuweilen den Glauben
       an sich selbst. Als sie in der Nachspielzeit einen eigentlich wunderbar
       getimten Kopfball von Wendie Renard noch aus dem Winkel klatschen konnte,
       schickte die Verteidigerin gestenreich ein Stoßgebet gen Himmel. Vielleicht
       hatte Renard ja um einen Elfmeterpfiff gefleht.
       
       Selma Bacha, die nach ihrer Einwechslung noch einmal Schwung in das
       erlahmte Offensivspiel Frankreichs brachte, sah dagegen gerade die eigene
       Mentalität als entscheidenden Grund für den Einzug ins Halbfinale an. Aus
       dieser Perspektive könnte man auch sagen: Frankreichs Stärke war es, sich
       letztlich von ihrem Versagen vor dem Tor nicht beeindrucken zu lassen.
       
       Die Fähigkeiten dieses Teams stehen ohnehin außer Frage. Spektakulär war
       wieder einmal das Flügelspiel von Kadidiatou Diani und dieses Mal vor allem
       von Delphine Cascarino. Diese Flexibilität, auf beiden Seiten extreme
       Unruhe produzieren zu können, machen es jeder Defensive dieser Welt enorm
       schwer. Die deutsche Bundestrainerin sagte wenige Minuten nach dem Abpfiff
       im Londoner Quartier: „Wir wissen, dass Frankreich eine enorme Qualität in
       den Umschaltmomenten, fantastische Einzelspielerinnen mit ganz viel Tempo
       hat.“
       
       Fehlende Frische könnte am Mittwoch ein Problem sein, sorgen sich die
       französischen Journalisten. Ob es nicht unfair sei, dass man zwei Tage
       weniger Erholungszeit als Deutschland hat, wollte man von Diacre wissen.
       Die 47-Jährige antwortete gewohnt nüchtern: „Wenn man gewinnt, erholt man
       sich immer schneller. Das ist der Zeitplan, das wussten wir von Anfang an.“
       Die große Anzahl ihrer Optionen trägt gewiss zu ihrer Unerschütterlichkeit
       bei. „Wir haben viele Spielerinnen, die heute hätten starten können.“
       
       Dem [3][ausgeschiedenen Titelverteidiger] blieb der Trost, dass zumindest
       die Fans in der Stadt Rotherham immer und überall Überzahlsituationen
       herstellen konnten. Die orange gewandete Anhängerschaft zählte mal wieder
       zu den aktivsten dieser EM. Und Europas derzeit beste Torhüterin haben sie
       mit Daphne van Domselaar nun auch.
       
       24 Jul 2022
       
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