# taz.de -- Ukrainer*innen trotzen dem Krieg: Der Ofen bleibt warm
       
       > Slowjansk im Gebiet Donezk ist hart umkämpft. Doch die Menschen lassen
       > sich davon nicht unterkriegen – wie der Besuch in einer Backstube zeigt.
       
 (IMG) Bild: Die Satellitenaufnahme zeigt Krater von Artilleriegeschossen im Nordwesten von Slowjansk
       
       Slowjansk taz | Sie lassen sich nicht unterkriegen, die
       Mitarbeiter*innen der kleinen privaten Bäckerei in Slowjansk, die den
       Namen „Die Schöne“ trägt. Krieg hin oder her, immer weitermachen, laute die
       Devise, erzählt die Verkäuferin Sonja, die hier hinter der Verkaufstheke
       steht.
       
       Die Stadt Slowjansk im Donezker Gebiet befindet sich mitten im Epizentrum
       des Angriffskrieges, den Russland seit dem 24. Februar gegen die Ukraine
       führt. Mit jedem Tag wird die Lage bedrohlicher. Jetzt, nachdem russische
       Truppen die Nachbarregion [1][Luhansk vollständig besetzt haben], bereiten
       sich die Menschen hier auf noch intensivere Angriffe vor. Auch werden
       Erinnerungen an 2014 wach, als Slowjansk schon einmal, wenn auch nur kurz,
       von russischen Truppen besetzt war.
       
       Seit gut vier Monaten probieren die Ukrainer*innen alles, um sich den
       russischen Besatzern entgegenzustellen. Doch der Kampf wird nicht nur mit
       Waffen auf dem Schlachtfeld oder an der „Informationsfront“ ausgetragen.
       Jede/r versucht einen Beitrag zu leisten: [2][Einige engagieren sich als
       Freiwillige], kümmern sich um Kranke, nähen Kleidung oder backen Brot.
       
       Die Bäckerei im Zentrum von Slowjansk wurde vor einigen Jahren eröffnet.
       Seitdem ist die Schewtschenko-Straße, in der sie sich befindet, immer vom
       Duft frischen Backwerks erfüllt. Daran hat auch der Krieg nichts geändert.
       Ständig sind Explosionen zu hören, das Gebiet um die Stadt herum ist
       dauernd unter Beschuss. Auch Slowjansk selbst war bereits mehrfach Ziel von
       Luftangriffen russischer Truppen. Doch ungeachtet aller Risiken und
       Gefahren, die dieser Krieg mit sich bringt, wird der Ofen in der Bäckerei
       nicht kalt.
       
       ## Evakuierung nur bei Besetzung der Stadt
       
       Schon vor Kriegsbeginn sei allen in der Bäckerei klar gewesen, dass man mit
       einer Evakuierung bis zum letzten Moment warten würde, sagen Verkäuferin
       Sonja und ihre Kollegin, Bäckerin Susana. Am 24. Februar hätten sie alle
       unter Schock gestanden, weil niemand habe glauben können, dass der Krieg
       begonnen habe. Doch dann habe es geheißen: weitermachen. Eine Evakuierung
       wurde nur für den Fall erwogen, dass die Besatzer in die Stadt kommen
       sollten. Die Geräte in der Backstube hätten sie natürlich mitgenommen, sagt
       Susana.
       
       Seit dem 24. Februar wird nur bis 16 Uhr gearbeitet, damit alle rechtzeitig
       nach Hause gehen können. Auch die Logistik, um die Zutaten für die Bäckerei
       zu beschaffen, hat sich verändert. Alles ist schwieriger geworden und
       dauert länger. Trotzdem versuchen die Chefs, die Zutaten in verschiedenen
       Städten der Ukraine zu beschaffen. Noch gelingt das.
       
       Doch niemand schließt die Möglichkeit aus, dass die Lieferungen ausbleiben.
       Das könnte dann bedeuten, dass die Bäckerei schließen und evakuiert werden
       muss. Doch noch glaubt die Belegschaft nicht daran, dass es so weit kommen
       wird. Dabei will der Luftalarm in Slowjansk seit zwei Monaten nicht
       verstummen. Er ist nicht nur ein monotones Signal, das einem die Ohren
       klingeln lässt. Er ist eine unmissverständliche Warnung vor Angriffen aus
       der Luft. Doch das ficht die Bäckerei nicht an.
       
       Dorthin kommen jetzt vor allem Bewohner von Slowjansk, die geblieben sind,
       sowie Soldaten, die den Streitkräften der Ukraine (WSU) oder der
       Territorialverteidigung angehören. Vor allem sie motivieren die
       Mitarbeiter*innen der Bäckerei weiter ihre Arbeit zu tun. Verkäuferin
       Sonja sieht darin auch eine echte Unterstützung der Bewohner*innen. Denn es
       ist nicht lange her, dass in Slowjansk kein Brot zu finden war. Jetzt gibt
       es im Sortiment der „Schönen“ sogar eine Sorte namens „Sozialbrot“.
       
       ## Für die Verteidiger wird auf Bestellung gebacken
       
       Die ukrainischen Verteidiger müssen vor der Bäckerei nicht Schlange stehen,
       sie werden sofort bedient. Für die WSU und die Territorialverteidigung wird
       auf Bestellung gebacken.
       
       Über Slowjansk hinaus bekannt wurde die Bäckerei, nachdem ihr der Sänger
       der populären ukrainischen Rockband [3][Okean Elzi], Swatoslaw Wakartschuk,
       einen Besuch abgestattet hatte. Er war gekommen, um ein
       Wohltätigkeitskonzert zu geben. In der Bäckerei machte er ein kurzes Video,
       das vielfach auf Instagram geteilt wurde. Von diesem Tag an kamen auch
       viele Neugierige, die sich erkundigten, ob dies wirklich der Ort sei, den
       auch Wakartschuk besucht habe.
       
       Solange der Krieg andauert, rechnet eigentlich niemand in Slowjansk mit
       vielen auswärtigen Gästen, auch die Bäckerei nicht. Vielmehr geht es ihnen
       um gegenseitige Hilfe – und die brauchen alle – mehr denn je.
       
       Aus dem Russischen: Barbara Oertel
       
       4 Jul 2022
       
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