# taz.de -- Orientalistin über arabische Literatur: „Mehr als nur Liebesgeschichten“
       
       > Die Orientalistin Claudia Ott übersetzte die „Geschichten aus
       > tausendundeiner Nacht“ neu. In Celle stellt sie jetzt „Das Buch der
       > Liebe“ vor.
       
 (IMG) Bild: Ausschnitt aus „Tausendundeine Nacht“ von Gustave Boulanger aus dem Jahr 1873
       
       taz: Frau Ott, den Anfang von „Tausendundeine Nacht“ und „Das glückliche
       Ende“ haben sie bereits publiziert. Was steht nun im „Buch der Liebe“? 
       
       Claudia Ott: Das „Buch der Liebe“ beginnt mit dem unmittelbaren Anschluss
       an das abgebrochene Ende des ersten Buches „Wie alles begann“. Endlich
       erfahren wir aus den ältesten greifbaren Quellen, in welch abgründige
       Liebesgeschichte die Protagonisten rund um König Kamarassaman
       hineinschlittern. Danach folgen im Buch noch drei der großartigsten
       Liebesgeschichten aus den ältesten arabischen Quellen der Tausendundeinen
       Nacht.
       
       Sind dann alle Geschichten aus Tausendundeine Nacht erzählt? 
       
       Nein. Es gibt noch viele Geschichten und es wird auch mehr Bände geben.
       Tausendundeine Nacht ist ein eigener Kosmos. Man kann das in einem Band gar
       nicht erfassen, und das ist auch gut so.
       
       Sie übersetzen aus den ältesten Quellen. Übersetzen heißt auch neu
       interpretieren. Wie treffen Sie Ihre Auswahl? 
       
       Es gibt von dieser alten arabischen Originalfassung von Tausendundeine
       Nacht kein durchgängig überliefertes Exemplar mehr. Wir haben nur Fragmente
       und damit man überhaupt etwas lesen kann, muss man eine Auswahl treffen.
       Ich habe bewusst nach Handschriften gesucht, die vor der europäischen Phase
       der Überlieferung verfasst wurden. Die im Jahr 1704 veröffentlichte
       französische Übersetzung, die einen richtigen Orient-Boom in Europa
       entfacht hat, beeinflusste alle nachfolgenden Fassungen der Tausendundeine
       Nacht. Deshalb suche ich immer die Handschriften, die vor dieser ersten
       Übersetzung vor 1704 geschrieben wurden.
       
       Warum? 
       
       Diese Handschriften sind frei von europäischen Vorstellungen, sodass wir
       durch diese Texte nachvollziehen können, was für arabische Leser*innen
       oder Hörer*innen interessant war. Ich will wissen, wofür sich das
       damalige arabische Publikum begeisterte. Warum haben sie alles stehen und
       liegen gelassen, um sich diese Geschichten vorlesen zu lassen? Warum haben
       sie sich das in den Bücherschrank gestellt? Was fanden sie spannend?
       
       Greifen Sie Elemente auf, die in anderen deutschen Übersetzungen
       weggefallen sind? 
       
       Ja. Dafür gibt es zwei Beispiele: das Erste sind die häufigen
       Unterbrechungen, die Cliffhanger, bevor die Geschichte am nächsten Abend
       weiterging, nämlich die „Nacht-Grenzen“. Normalerweise haben europäische
       Geschichten aus Tausendundeine Nacht einen anderen dramaturgischen Aufbau
       mit einem deutlichen Anfang und Ende. Im Gegensatz dazu teile ich in meiner
       Übersetzung die Geschichten genau so ein, wie sie in den Vorlagen
       strukturiert sind. Jede von diesen Unterbrechungen ist ein Stückchen
       Handarbeit. Aber sie sind auch kleine Beispiele für den Witz im Leben
       dieser Literatur, die man aus meiner Sicht auf gar keinen Fall für
       überflüssig erklären soll.
       
       Und das zweite Element? 
       
       Was bei mir ganz prominent ist, aber in den meisten anderen Übersetzungen
       eben wegfällt, sind die zahlreichen Gedichte. Auf die Gedichte hat das
       arabische Publikum wie auf die Arien in einer Oper gewartet. Eine
       Liebesgeschichte ohne Liebesgedichte war undenkbar. Auf diese elementaren
       Komponenten haben frühere Übersetzer*innen verzichtet. Sie dachten, die
       langwierigen Gedichte bringen den Handlungsstrang gar nicht vorwärts.
       Tatsächlich sind diese Gedichte, auch wenn sie schwer zu übersetzen sind,
       das Feinste am arabischen Text. In der arabischen Sprache haben sie ein
       unglaubliches Niveau von Musikalität, also im Metrum und Reim. Die Aufgabe
       der Übersetzerin ist eben, das so ins Deutsche zu bringen, dass es
       seinen Wert offenbart und nicht nur langatmig wirkt.
       
       Die Veranstaltung am Sonntag hat sowohl musikalische als performative
       Elemente. Warum sind beide Komponenten relevant? 
       
       Tausendundeine Nacht war immer schon ein Werk zum Lesen und Vorlesen.
       Deswegen tragen wir es laut vor, sowohl auf Deutsch als auf Arabisch. Die
       Musik vom Ensemble Ibtahidsch, mit dem ich seit 2015 arbeite, gibt uns
       einen passenden Rahmen dafür. Ich freue mich sehr auf die Mitwirkung des
       Ensembles. Das Publikum soll nachvollziehen können, warum diese Texte mehr
       sind als nur Liebesgeschichten. Sie sind richtige kleine Epen, sie sind
       fast wie Opern.
       
       10 Jul 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Valeria Bajaña Bilbao
       
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