# taz.de -- Der Hausbesuch: Mit dem Faden verwoben
       
       > In ihrem Holzener Haus beherbergt Birgit Götz ein Webatelier. Sie
       > verbindet als Handweberin die Techniken des Handwerks mit Heilpädagogik.
       
 (IMG) Bild: Die Webmeisterin Birgit Götz in ihrem Atelier in Holzen
       
       So ein Leben kann eine Fülle von Zufällen sein. Ohne diese wäre [1][Birgit
       Götz] nie Weberin geworden.
       
       Draußen: Alte Bäume säumen die Straßen in [2][Holzen], einem Dorf im
       Markgräflerland unweit zur Schweiz und Frankreich. Rosenbüsche wachsen
       neben Brunnen, wilder Wein rankt Scheunen hoch. Es gibt Bauerngärten, in
       denen Blumen blühen – und anders als in vielen Gemeinden schotten sich
       Anwesen nicht mit geschlossenen Hoftoren von der Welt ab. Auch der Hof vor
       Birgit Götz’ gelborange gestrichenem Fachwerkhaus, rosenumrankt, ist offen.
       Im gegenüberliegenden Haus singt eine Frau am Fenster.
       
       Drinnen: Die Sonne gibt den Farben Kraft, unter Flieder und Rosenbögen ist
       es draußen einladender als drinnen. Gern zeigt Birgit Götz aber das
       verwinkelte Haus mit den unebenen Böden. Alles ist bedächtig restauriert.
       Das Alte wurde hoch geschätzt, Neues nicht verworfen. Da sind Holz und
       Stoffe und Dinge des Lebens. In einer Ecke der Wohnküche steht ein Klavier.
       Vor dem bodentiefen Fenster, das den Essplatz von der Küchenzeile trennt,
       verhindern große Pflanzen, Hibiskus und Grünlilien in Tontöpfen, dass
       jemand herausfällt. Der Balkon wurde abgerissen, weil er baufällig war, der
       neue ist noch nicht da. Die Kacheln des runden Ofens hat Götz’ Ex-Mann
       gemacht. Er ist Keramiker.
       
       Das Haus: Birgit Götz hat sehr darum gekämpft, dass sie bleiben kann,
       nachdem die Ehe scheiterte. 31 Jahre lebt sie jetzt da, zeitweise war das
       Haus voll. Die Kinder, deren Freunde, ihr dementer Vater, Handwerker – ein
       Ein und Aus. Heute ist es ruhiger. Im ehemaligen Stall hatte der Mann sein
       Keramikatelier; sie hat, wo einst der Heuboden war, ein Webatelier. Acht
       Webstühle stehen darin.
       
       Weben: „Eigentlich wollte ich Sozialpädagogik studieren, aber eben nicht
       sofort nach dem Abi.“ Das hat sie 1981 in Tuttlingen gemacht. Damals
       entdeckte sie den Webstuhl, den ihre Mutter hatte. „Der lag nur rum.“ Sie
       probiert es aus und fängt Feuer: „Ich will das können.“ In Sindelfingen
       gibt es das Haus der Handweberei; sie will Kurse machen, aber der erste
       Zufall aus einer Reihe von Zufällen will es, dass sie dort stattdessen
       einen Job im Büro bekommt und so nebenher weben lernen kann.
       
       Zufälle: Das hätte es dann sein können mit dem Handwerk, aber damals lernte
       sie einen Heilpädagogen aus Filderstadt kennen, der mit behinderten
       Erwachsenen arbeitete und der Weben lernen wollte. Sie bringt es ihm bei
       und macht umgekehrt an der Einrichtung ein Praktikum. „Wir haben gut
       miteinander harmoniert.“ Die Arbeit gefällt ihr und sie entscheidet, dass
       sie Heilpädagogin werden will. „Ich bin aber an ein anthroposophisches
       Heilpädagogikinstitut geraten; das war mir zu streng.“ Als ihr dann jedoch
       eine Weblehre in der Einrichtung in Filderstadt, wo sie das Praktikum
       gemacht hatte, angeboten wird, sagt sie zu und wird Handweberin.
       
       Die Werksiedlung: Als Götz ihre Weberlehre machte, wurde in Kandern im
       Markgräflerland eine Werksiedlung für Menschen mit Behinderung von der
       anthroposophisch ausgerichteten Christophorus-Gemeinschaft gegründet. Da
       sollte auch eine Weberei integriert sein. Deshalb fragten sie in
       Filderstadt an, ob die nicht jemanden schicken könnten. „Birgit, du
       vielleicht?“ Und sie dachte: „Ach, warum nicht, warum nicht drei
       Gesellenjahre in Frankreichnähe?“ In ihrer Vorstellung herrscht im
       Markgräflerland Savoir-vivre. Ganz unrecht hat sie nicht. Aber wie hätte
       sie wissen können, dass sie hängen bleibt und seither in der Werksiedlung –
       unterbrochen nur durch Mutterschaft – arbeitet.
       
       Der Beruf: 1994 macht Götz die Meisterprüfung als Handweberin. Heute ist
       das so nicht mehr möglich. Die Vielfalt des Webens, die Techniken, der
       pädagogische und therapeutische Wert – alles könnte verloren gehen,
       fürchtet Götz. „Weben ist eine rhythmische, gleichmäßige, ruhige Arbeit.“
       Das komme vielen Menschen mit Behinderungen zugute. Einfache Muster seien
       möglich, aber auch sehr komplizierte. „Autisten sind, was das Komplizierte
       angeht, begnadete Weber.“ Außerdem, und das sei nicht unwichtig, böten
       Webstühle Schutz und Halt.
       
       Keine Lust auf Sport: Sie kennt weitere therapeutische Vorteile. Etwa, dass
       mehrere Leute zusammenarbeiten müssen, um einen Webstuhl zu bespannen. Für
       24 Meter Kette bedeutet das, dass je nach Webstuhlbreite bis zu zweitausend
       Mal 24 Meter lange Fäden aufgewickelt und durchgefädelt werden müssen. Eine
       Team- und Geduldsprobe. Und dann noch das: „Ich bewege mich gerne, bin aber
       auch phlegmatisch.“ Beim Weben kann sie sitzen und bewegt sich doch in alle
       Richtungen: Die Füße hoch und runter auf den Tritten; die Hände und den
       Körper nach rechts und links, wenn der Faden beim Einschuss durchgezogen
       wird; den Körper und die Arme nach vorne und hinten, wenn mit der Lade das
       Gewebe festgezurrt wird. Und das über Stunden. Ein Meter Stoff in etwa zwei
       Stunden ist zu schaffen.
       
       Die Liebe: In der Werksiedlung lernt sie ihren Mann, den Töpfer, kennen.
       Der arbeitet nicht mehr lange dort, sondern als Geselle bei einem
       Keramiker, der seine Werkstatt auf dem Bauernhof in Holzen hat. Im
       ehemaligen Wohnhaus kann er auch wohnen. Als Birgit Götz 1991 dann
       schwanger ist, fragen die beiden, ob sie das Gesellenhaus ausbauen könnten.
       „Nö“, sagt der, „ich habe sowieso keine Lust mehr aufs Töpfern, kauft mir
       den Krempel ab.“ Sie tun es. Nach und nach bauen sie das Haus und die
       Keramikwerkstatt aus und eine Familie mit drei Kindern auf.
       
       Der Bausparvertrag: Als Anfang des neuen Jahrhunderts ein Bausparvertrag
       von Götz’ Mutter fällig wird, gibt diese ihrer Tochter das Geld. „Bau dir
       eine eigene Weberei auf“, sagt sie. Und Götz macht es. Es ist ein längerer
       Prozess. Der Mann legt Hand an, Wandergesellen helfen. Aber nachdem es sich
       rumgesprochen habe, dass es eine Weberei geben soll, bekommt sie Webstühle
       auch geschenkt. „Die, die sie mir gaben, waren froh, dass sie wussten, dass
       ich sie wertschätze.“
       
       Der Vater: 2003 beginnt sie nach der Elternpause wieder in der Werksiedlung
       zu arbeiten. Im gleichen Jahr stirbt die Mutter. Da der Vater beginnende
       Demenz hat, zeichnen sich neue Verpflichtungen ab. Erst wohnt er noch
       allein. Als es nicht mehr geht, holt sie ihn zu sich nach Holzen. Acht
       Jahre lebt er mit der Familie. Zwei Jahre pflegt sie ihn. Es sei auch
       spannend gewesen zu sehen, wie sich der Vater veränderte, sagt sie. „Was
       macht den Menschen als Mensch aus?“ Früher eher cholerisch, habe sich in
       der Demenz sein heiteres Gemüt gezeigt. „Vielleicht auch, weil ihm klar
       war: Er ist Gast.“
       
       Gefühle: „Wenn das Kognitive weggeht, wird das Emotionale stärker“, sagt
       Götz. Das verändere auch die, die mit einem dementen Menschen leben. Sie
       habe sich dabei neu entdeckt, habe gesehen, wie sie mit Emotionen umgehe.
       „Er merkte sofort, wenn ich fertig war, und ich habe mich beherrschen
       gelernt, weil er mich gespiegelt hat.“ Gefühle sind den Dementen noch
       zugänglich. Das bringt auch Verdrängtes wieder hoch. Etwa Kriegserlebnisse.
       „Nächtelang hat er geschrien.“
       
       Der Preis: Trotz allem sei es für sie richtig gewesen, den Vater in den
       Alltag zu integrieren. Da waren sie, da waren Kinder, da waren Freunde. Das
       hat ihm Energie gegeben. „Aber“, sagt sie, „die Ehe ging an der Belastung
       kaputt.“ Es habe gedauert, sich anschließend auseinanderzudividieren. „Und
       immer die bange Frage: Kann ich bleiben?“ Ja, jetzt ist klar: Sie kann.
       „Ich bin dankbar und glücklich, dass ich an diesem wunderbaren Ort leben
       darf. Es ist mir wichtig, ihn zu pflegen und zu erhalten“, sagt sie. Sie
       wünscht sich, dass auch andere hier glücklich sind. Sie will die Töpferei
       renovieren. Es soll dort ein Ort entstehen, wo man auch tanzen kann.
       
       26 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://weberei-atelier.de/
 (DIR) [2] http://www.kandern-holzen.info/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Waltraud Schwab
       
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