# taz.de -- Turnerinnen wollen Geld vom FBI: Ignorant gegenüber sexueller Gewalt
       
       > US-Turnerinnen fordern über eine Milliarde Dollar vom FBI. Der Grund: Die
       > Behörde hatte Hinweise zu sexuellem Missbrauch durch einen Arzt
       > ignoriert.
       
 (IMG) Bild: US-Turnerin Simone Biles ist für viele auch wegen ihrer Auftritte vor Gericht ein Vorbild
       
       Mehr als vier Jahre ist es schon her, dass Larry Nassar, der ehemalige Arzt
       des US-Turnverbands, im US-Bundesstaat Michigan zu insgesamt 175 Jahren
       Haft verurteilt wurde. Über 250 Mädchen und Frauen hatte er sexuell
       missbraucht. Den Prozess damals haben viele als ein wichtiges Stück
       Aufarbeitung erachtet, auch weil 156 Betroffene Zeugnis von den Verbrechen
       ablegten.
       
       [1][Die systemischen Bedingungen], die diese Taten möglich gemacht haben,
       sind allerdings bis heute noch nicht aufgearbeitet. Vergangenen September
       sprach die erfolgreichste US-Turnerin [2][Simone Biles bei einer Anhörung
       vor dem Senat] vom Versagen der untätigen Bundespolizei FBI. Diese
       Sichtweise wird vom obersten Chef der Behörde, dem FBI-Direktor Chris Wray,
       durchaus geteilt. Vor dem Senat bekannte er sich zur Mitverantwortung
       seiner Behörde, die auch aufgrund interner Untersuchungen gar nicht erst
       geleugnet werden konnte. Wray nannte das „unentschuldbar“.
       
       Nun streben 90 betroffene Turnerinnen, wie am Mittwoch bekannt wurde, eine
       Schadensersatzforderung von über einer Milliarde US-Dollar an das FBI an.
       Im Mai hatte das Justizministerium, das für das FBI zuständig ist, noch
       erklärt, nicht gegen ehemalige FBI-Agenten vorzugehen, die 2015 nicht auf
       Hinweise des Missbrauchs reagiert hatten. Einen Monat zuvor war bereits
       eine Entschädigungsforderung gegenüber dem FBI über 130 Millionen US-Dollar
       von 13 Opfern gestellt worden.
       
       „Wenn das FBI einfach seinen Job gemacht hätte, hätte Nassar gestoppt
       werden können, bevor er jemals die Chance hatte, Hunderte Mädchen inklusive
       mir zu missbrauchen“, sagte diese Woche Samantha Roy, eine ehemalige
       Turnerin der Michigan State University. Diese Lehreinrichtung übernahm 2018
       bereits Verantwortung für ihr Versagen, und sagte eine Entschädigung von
       500 Millionen Dollar zu. Nassar soll dort, wo er auch als Dozent tätig war,
       die meisten seiner Verbrechen begangen haben.
       
       ## Fast anderthalb Jahre untätig
       
       Eine Entschädigung von 380 Millionen Dollar wurde den Nassar-Opfern nach
       mehreren Jahren Rechtsstreit im November 2021 von einem Gericht in
       Indianapolis zugesprochen. Die Beklagten waren der US-Turnverband sowie das
       Nationale Olympische und Paralympische Komitee.
       
       Das FBI hat von den ersten Hinweisen im Juli 2015 bis zur Festnahme von
       Nassar im Dezember 2016 reichlich Zeit verstreichen lassen, in der es dem
       Täter ermöglicht wurde, mindestens 70 Athletinnen sexuelle Gewalt anzutun,
       wie in Dokumenten eines Zivilgerichts nachzulesen ist.
       
       Die Aussicht, dass [3][die Kultur des teils gar bewussten Wegschauens] die
       staatlichen Behörden sehr viel Geld kosten könnte, dürfte hilfreich dafür
       sein, ein anderes Bewusstsein zu etablieren. Ein FBI-Mitarbeiter hatte 2015
       gar aktiv Details der Aussagen der Turnerin McKayla Maroney verfälscht, um
       der Behörde eine passive Haltung zu ermöglichen.
       
       „Ist das alles?“ Das soll der FBI-Beamte damals gefragt haben, dem Maroney
       davon erzählte, wie Nassar sie mit einer Schlaftablette außer Gefecht
       gesetzt hatte und bei ihrem Erwachen über ihr lag und sie vergewaltigte.
       Maroney erzählte, dass dies in den letzten Jahren einer der schlimmsten
       Momente war, als ihr bewusst wurde, „dass mein Missbrauch von den Leuten,
       die mich beschützen sollten, bagatellisiert und ignoriert wurde“.
       
       Das FBI hat sechs Monate Zeit, um auf die Schadensersatzforderungen der 90
       Turnerinnen zu reagieren, bevor sie gegebenenfalls vor Gericht verhandelt
       werden.
       
       9 Jun 2022
       
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