# taz.de -- Rassismus auf der Flucht: Flüchtende zweiter Klasse
       
       > Für die Flüchtenden, die nach Deutschland und Österreich kommen, gilt
       > zweierlei Maß. Für Menschen aus Afghanistan und Syrien ist das bitter.
       
 (IMG) Bild: Ein aus Kabul evakuierter Afghane im August 2021 bei einer Zwischenlandung in Ramstein
       
       Kurz bevor im vergangenen August das [1][Chaos am Kabuler Flughafen]
       ausbrach, schickte mir ein Freund von dort einen Brief, den er den
       deutschen Behörden vorlegen wollte. Er hatte als [2][Ortskraft] jahrelang
       mit der Nato und der Bundeswehr zusammengearbeitet, wollte klarmachen, dass
       er in Deutschland keine Integrationsprobleme haben werde und man ihm
       deshalb helfen solle, das Land zu verlassen.
       
       Er sei finanziell abgesichert und habe genug Freunde und Verwandte, die
       sich um ihn und seine Familie kümmern würden. Sprachliche Hürden würde er
       ebenso meistern, unter anderem etwa, weil seine Muttersprache Paschto dem
       Deutschen ähnlich sei: „Stern“ heißt „Stori“, „drei“ heißt „dre“ und so
       weiter. Tatsächlich ist es so, dass Paschto und auch Farsi indogermanische
       Sprachen sind und viele Gemeinsamkeiten mit der deutschen Sprache
       aufweisen.
       
       Als ich die Zeilen meines Freundes las, musste ich anfangs schmunzeln.
       Mittlerweile bin ich traurig, unter anderem auch, weil sich niemand in
       Deutschland für sein Engagement interessierte und er bis heute – versteckt
       vor den Taliban – in Kabul ausharrt. Er und seine Sprache gelten trotz der
       zahlreichen Gemeinsamkeiten hierzulande als „fremd“, „anders“ oder
       „barbarisch“.
       
       Dank diverser Boulevardmedien werden Afghan:innen nämlich seit Jahren
       mit diesen Adjektiven versehen wie auch von weiten Teilen der autochthonen
       Mehrheitsgesellschaft. Gleichzeitig ist der Umgang mit ukrainischen
       Geflüchteten ein gänzlich anderer. Im Gegensatz zu Afghan:innen,
       Syrer:innen oder Somalier:innen sind sie nicht dem Druck ausgesetzt,
       die deutsche Sprache zu lernen. Stattdessen sind es nun sogar die
       Deutschen, die Ukrainisch lernen.
       
       Und es kommt noch besser: [3][Ukrainer:innen ohne Schulabschluss können
       demnächst deutsche Universitäten besuchen]. Der unterschiedliche Umgang mit
       den Geflüchteten ist haarsträubend. Vor gut 30 Jahren kam meine Mutter nach
       Österreich. Sie hatte einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften und war
       in Afghanistan als Beamtin tätig. Aufgrund der Repressalien des damals
       herrschenden, kommunistischen Regimes musste sie mit ihrer Familie fliehen.
       
       ## Promovierter Ökonom als Taxifahrer
       
       In Österreich, wo ich auf die Welt kam, wurden ihre Dokumente nicht
       anerkannt – bis heute. Meine Mutter brachte mir die persische Schrift bei
       und half mir und meinen Geschwistern bei unseren Hausaufgaben. Ohne sie
       hätte wohl niemand von uns die Universität besucht, doch ihr eigener
       akademischer Hintergrund galt nichts. Andere Verwandte, Ärzte und
       promovierte Ökonomen wurden in Deutschland oder Österreich zum Taxifahren
       oder Kloputzen verdammt.
       
       Oft werden auch ausländische Schulabschlüsse ignoriert. Viele meiner
       geflüchteten Freunde, die ihren Bildungsweg fortsetzen wollten, mussten
       sich immensen bürokratischen Hürden stellen oder mit einer Rückversetzung
       in die Hauptschule abfinden. Hinzu kamen in nahezu allen Fällen erheblicher
       finanzieller Druck sowie Kriegstraumata, um die sich niemand kümmerte. Dass
       bei einer Flucht Dokumente verloren gehen können, interessierte kaum
       jemanden.
       
       Die Handhabe der hiesigen Behörden hat nicht nur viele Afghan:innen in
       die Verzweiflung getrieben, sondern auch viele andere, meist nichtweiße
       Menschen, die aus Konfliktregionen geflohen sind. Menschen mit Migrations-
       und Fluchterfahrung begrüßen den [4][Umgang mit ukrainischen Geflüchteten]
       und die massive Lockerung der berühmt-berüchtigten deutschen Bürokratie aus
       vollem Herzen.
       
       Es ist richtig und wichtig, dass all den Menschen in Not, die von Putins
       Angriffskrieg betroffen sind, so schnell wie möglich geholfen wird. Dennoch
       bleibt ein bitterer Beigeschmack und die Frage, warum nicht dasselbe für
       „uns“ galt. Eine akademische Karriere oder eine Verbeamtung hätte meiner
       Mutter und meiner gesamten Familie Existenzängste erspart, die uns bis
       heute begleiten. Um ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen,
       mussten die Eltern nach der Flucht über ihren Schatten springen. Keine
       Selbstverständlichkeit.
       
       Der Krieg in der Ukraine macht die Heuchelei und den Rassismus hierzulande
       nämlich nur allzu deutlich. Der erleichterte Hochschulzugang für
       Ukrainer:innen ist in diesem Kontext nur die Spitze des Eisbergs. In
       Österreich erhalten geflüchtete Menschen aus der Ukraine mittlerweile einen
       sogenannten Vertriebenenpass (das klingt toll und irgendwie edel), während
       etwa Afghanen (tatsächlich geht es hier nur um Männer) noch im vergangenen
       Jahr [5][unmittelbar vor der Machtübernahme der Taliban brutal abgeschoben]
       wurden.
       
       ## Als sei in Kabul schon alles gut
       
       Unter ihnen befand sich mein Freund Jahanzeb, der nicht nur gut Deutsch
       sprach, sondern fast zehn Jahre lang in meiner Heimatstadt Innsbruck lebte
       und dort einer geregelten Arbeit nachging. In Deutschland mussten in den
       vergangenen Wochen afghanische [6][Geflüchtete ihre Unterkünfte für
       Ukrainer:innern freimachen]. Man könnte fast meinen, dass es den Krieg
       in ihrer Heimat, wo tagtäglich noch immer Afghan:innen getötet werden,
       plötzlich nicht mehr gibt.
       
       Diese Entwicklung war schon in den ersten Tagen des [7][Ukrainekrieges]
       absehbar. Nicht nur in Deutschland lobte man plötzlich die Tapferkeit der
       Ukrainer, deren Frauen und Kinder Unterstützung verdient hätten, während
       man im Mittelmeer weiterhin Geflüchtete ertrinken ließ und Männer aus
       Syrien oder Afghanistan als „feige“ abstempelte.
       
       Der unterschiedliche Umgang Europas mit den weißen und nichtweißen
       Geflüchteten fällt übrigens auch anderswo auf. Als ich im vergangenen März
       in Afghanistan unterwegs war, wurde ich mehrmals darauf angesprochen.
       „Versteht denn niemand bei euch, wie rassistisch das alles ist?“, fragte
       mich ein Freund verwundert. Etwas zynisch brachte es einer meiner Kollegen
       auf den Punkt: „Wir sind einfach weniger wert. Nun haben wir es schwarz auf
       weiß.“
       
       8 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [2] /Verzweifelte-Ortskraefte-in-Afghanistan/!5815312
 (DIR) [3] https://ec.europa.eu/migrant-integration/news/deutschland-fuer-ukrainische-gefluechtete-wird-studium-ohne-schulabschluss-ermoeglicht_de
 (DIR) [4] /Ukrainische-Fluechtlinge-in-Berlin/!5835387
 (DIR) [5] /Abschiebungen-nach-Afghanistan/!5787384
 (DIR) [6] https://foreignpolicy.com/2022/04/20/germany-refugee-policy-afghanistan-ukraine/
 (DIR) [7] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
       
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