# taz.de -- Gespräch zwischen Steinmeier und Selenski: Ausgegrollt
       
       > Bundespräsident Steinmeier und sein ukrainischer Amtskollege Selenski
       > haben sich telefonisch versöhnt. Gut so. Berlin und Kiew müssen
       > zusammenhalten.
       
 (IMG) Bild: Sie reden wieder miteinander: Bundespräsident Steinmeier und Präsident Selenski
       
       [1][Der diplomatische Kleinkrieg darum, wer darf, wer soll in die Ukraine
       reisen, am Rande des großen Kriegs gegen die Ukraine, ist beendet.] Das ist
       gut und wichtig. Denn er drohte den Blick zu vernebeln, wer hier der
       eigentliche Aggressor ist – Wladimir Putin nämlich und seine Getreuen. Und
       er nagte am wichtigsten Pfeiler, auf den sich die deutsche Ukraine-Politik
       gerade stützt: die Solidarität der Deutschen mit der Ukraine und ihre
       Bereitschaft, auch schmerzhafte Sanktionen gegen Russland mitzutragen.
       
       Wenn demnächst im Osten Deutschlands das Benzin knapp werden sollte,
       könnten fortgesetzte Attacken der Ukraine auf die deutschen
       „Putin-Versteher“ schnell zum Stimmungskiller werden. Bundespräsident
       Frank-Walter Steinmeier und der ukrainische Präsident Wolodomir Selenski
       haben am Donnerstag telefoniert, wobei offen ist wer, wen angerufen hat.
       Doch entscheidend ist, dass beide am Ende verkündeten, die Irritationen
       seien beigelegt.
       
       Dass die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock demnächst nach Kiew
       reisen wird, ist ein starkes Signal und kann als Ouvertüre zu einem Besuch
       des Kanzlers verstanden werde. Olaf Scholz hatte Baerbock auch zu
       Jahresbeginn den Vortritt gelassen, als diese Besuche noch Antrittsbesuche
       in Friedenszeiten waren.
       
       Begonnen hatte der Streit mit einer Ausladung: Bundespräsident Steinmeier,
       der Mitte April zusammen mit seinen polnischen und baltischen Kollegen nach
       Kiew reisen wollte, [2][war dort nicht erwünscht]. Steinmeier steht in der
       Ukraine wegen seiner russlandfreundlichen Politik zu seiner Zeit als
       Außenminister in der Kritik.
       
       ## Baerbock will nach Kiew reisen
       
       Dass statt seiner der Bundeskanzler herbeizitiert wurde und, als der sich
       zurecht sperrte, vom ukrainischen Botschafter in Berlin als [3][„beleidigte
       Leberwurst“] verspottet wurde, machte die Sache nicht besser. In
       Leserbriefen und an Küchentischen regten sich die Leute nun mehr über den
       Ukrainer auf, als über denjenigen, der sein Land gerade bombardieren lässt,
       den russischen Präsidenten. Klar, man kann verstehen, dass die Nerven im
       Kiewer Präsidentenpalast und in der ukrainischen Botschaft blank liegen.
       
       Berechtigt ist auch die Kritik an der deutschen Rolle in der Vergangenheit,
       die den Wandel beim Handel längst in Klammern schrieb und stattdessen auf
       eine Handelspolitik mit satten Profiten und billiger Energie setzte, blind
       für die Bedenken schwächerer Länder und der geopolitischen Risiken, die die
       enge Anbindung an Autokratien wie Russland mit sich brachte.
       
       Aber so verständlich die Emotionen der Ukrainer:innen sind – ihre
       Frustration, ihre Wut, ihre Verletztheit dürfen nicht die Politik
       bestimmen. Denn auch das gehört zum Bild: Deutschland leistet längst
       Abbitte. Bereits vor dem Krieg war die Bundesrepublik der größte bilaterale
       Unterstützer der Ukraine im zivilen Bereich mit fast zwei Milliarden Euro
       für Entwicklungszusammenarbeit und Hilfe.
       
       Nach dem russischen Einmarsch trennte man sich hierzulande unprätentiös von
       Grundüberzeugungen, die jahrelang sakrosant waren. Von Nordstream 2 als
       „privatwirtschaftliches Projekt“ zu „Panzerhaubitzen in ein Kriegsgebiet“
       in knapp drei Monaten – besonders die Sozialdemokrat:innen
       vollziehen hier einen Gesinnungswandel im Raketentempo.
       
       Dass der Kanzler das Tempo mitunter bremst, dass er abwägt ist im Grunde
       richtig, auch wenn er den Bürger:innen seine Gedankensprünge besser
       erklären sollte. Denn die müssen mitgenommen werden auf einem Weg, der noch
       steiniger wird. Der Krieg zieht sich, die Ukraine braucht weiterhin
       deutsches Geld und deutsche Waffen und die Ukrainer:innen auch
       Deutschland als Zufluchtsort.
       
       Und hier werden die Auswirkungen dieses Krieges und die Sanktionen gegen
       Russland immer deutlicher: Die Preise steigen, Benzin wird teurer und die
       Heizkostenabrechnung am Jahresende dürfte viele den Jahresurlaub kosten.
       Solidarität kostet. Und Russland übt bereits für den Atomkrieg und offen
       ist, wie lange das russische Gas noch nach Deutschland fließt. Die deutsche
       Regierung braucht die Zustimmung der Bevölkerung bei dieser Gratwanderung.
       Sollte sie kippen, wäre das auch für die Ukraine eine schlechte Nachricht.
       
       6 May 2022
       
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