# taz.de -- Erdgaspipelines in Deutschland: Unter Druck
       
       > Ein Rohr-Geflecht zwischen Kiefern: Hier in Brandenburg sollte das Gas
       > aus der Nord Stream 2 verdichtet werden. Eigentlich.
       
 (IMG) Bild: Gas-Verdichter der Anlage für Nord Stream 2
       
       Es ist so still, dass man die Vögel zwitschern hört. Eine Brise streicht
       über die Verdichterstation Radeland 2 und die Sonne lässt das Geflecht aus
       Gasrohren gleißen. Ringsum brandenburgische Kiefern, unterbrochen nur von
       dünnen Schotterwegen. Direkt neben dem umzäunten Gelände zieht sich eine
       etwa einhundert Meter breite Schneise dahin. Dass dies mehr ist als eine
       Wüstenei, lassen nur die gelben Pfähle erahnen, die in Abständen aus dem
       Boden ragen. Im Sand verborgen liegen Deutschlands wichtigste Leitungen für
       Gas aus Russland. Eine von ihnen verlässt an dieser menschenleeren Stelle
       kurz das Erdreich. Ihr Inhalt braucht neuen Schwung. Aber die Ruhe passt
       nicht dazu.
       
       Sechzig Kilometer südlich der Berliner Stadtgrenze müssten mächtige
       Kompressoren den Druck in der Eugal-Pipeline wieder auf Norm bringen, 100
       Bar. Die Gascade Gastransport GmbH aus Kassel ist die Besitzerin des
       Karrees und Mehrheitseignerin der 480 Kilometer langen Eugal, die das
       russische Gas bei Lubmin von Nord Stream 2 aufnehmen, verteilen und bis an
       die tschechische Grenze leiten sollte. So war der Plan bis zum 22. Februar.
       Dann stoppte Olaf Scholz Nord Stream 2. Die Zertifizierung der Pipeline
       nach deutschem Recht steht seitdem in den Sternen. Die Leitung in der
       Ostsee ist leer.
       
       Und damit auch die Eugal samt ihrer Verdichterstation Radeland 2? Seit
       einem Jahr ist die Anlage betriebsbereit. Die Pipeline wurde binnen zweier
       Jahre in einem Tempo verlegt, über das Planer von Hochspannungstrassen nur
       staunen. Genutzt hat es nichts. „Aktuell laufen keine Verdichter“, sagt
       Matthias Maiwald, angesprochen auf die Ruhe ringsherum. „Es muss jetzt
       nicht verdichtet werden.“ Der Maschinenbauingenieur, 39 Jahre alt, ist ein
       sportlicher Typ in Jeans und der Herr über das Meisterwerk der
       Ingenieurskunst.
       
       Im Besprechungsraum trägt Maiwald mit Lust Wissenswertes zu Gas und
       Kompression zusammen. Es geht um Drücke, Temperaturen und Durchlaufmengen.
       Wenn die Station auf Hochtouren liefe, könnten 5,5 Millionen Kubikmeter Gas
       pro Stunde verdichtet werden. Die gesamte Transportleistung der Eugal
       belaufe sich auf 55 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Das entspricht exakt
       der Kapazität von Nord Stream 2. Und das Gas, sein Hauptbestandteil ist
       Methan, werde nicht nur verdichtet, sondern auch gefiltert, um es von
       Feststoffen und Flüssigkeiten zu reinigen. Das allerdings scheint kaum
       nötig. „Das Gas aus Russland ist sauber“, lobt Maiwald. Wenn es denn käme.
       
       Der Ingenieur wird wortkarg, als es um die Leere in den Rohren geht. Wobei
       Leere nicht das richtige Wort ist. „Die Eugal ist in Betrieb“, betont er,
       „aber nicht voll.“ Gas sei in der Leitung vorhanden, jedoch nicht genug,
       dass man es verdichten müsste. Erst ab einer Auslastung von 60 Prozent
       werden die Kompressoren gestartet. Wenn aber Nord Stream 2 nicht liefert,
       woher kommt dann das Gas? Für Uta Kull, Gascade-Pressesprecherin aus
       Kassel, ist das der Moment, in das komplizierte Reich der Gascade
       einzuführen. Es handelt sich um ein Netz von 3.200 Kilometern Länge, die
       Namen der Leitungen klingen wie Figuren aus einem russischen Märchen:
       Jagal, Midal, Wedal, Stegal und eben Eugal. Wobei das Kürzel Eugal nur ganz
       prosaisch für „Europäische Gas-Anbindungsleitung“ steht.
       
       Die Pipelines gehören zu einem unterirdischen Organismus mit Einspeise- und
       Ausspeisepunkten, Abzweigungen und Messstellen. Es gleicht einem
       Pilzgeflecht, das selten das Tageslicht erblickt, so wie hier im Wald als
       Radeland 2. Das deutsche Gasnetz hat eine Länge von etwa 480.000
       Kilometern. Dazu gehören armdünne Leitungen, die unter Bürgersteigen
       verlaufen und Gasherde versorgen. Die Hauptschlagadern sind die etwa 40.000
       Kilometer Fernleitungen, die große Mengen transportieren, zu den
       Kraftwerken, Hochöfen, den Betrieben der chemischen Industrie, der Papier-,
       Glas- und Keramikindustrie, den Speichern und zu den europäischen Nachbarn.
       16 Unternehmen besorgen das Geschäft, eines ist Gascade.
       
       Und da die Fernleitungen miteinander verbunden seien, um die Gasströme auch
       zu lenken, wie es etwa hier in Radeland 2 möglich ist, ströme auch durch
       alle Leitungen Gas, wenn auch in unterschiedlichen Mengen. Mag Nord Stream
       2 still am Meeresgrund liegen, Nord Stream 1 beliefert Opal, die
       Ostsee-Pipeline-Anbindungsleitung, mit Gas. Und unter der Oder hindurch
       kommt die Pipeline „Jamal-Europa“ aus dem Osten, die in Deutschland unter
       dem Namen Jagal weiterläuft. Zwei von diesen drei Leitungen versorgen
       Deutschland mit russischem Gas. Noch, muss man hinzufügen. Alle drei
       verlaufen hier im Sandboden.
       
       Ob Eugal, Opal oder Jagal – Matthias Maiwald kennt sie alle. Er ist nicht
       nur der Chef der Verdichterstation Radeland 2, sondern auch von Radeland 1,
       der Anlage, die Opal neuen Druck verleiht und hinter einem Kiefernhain
       liegt. Und er ist verantwortlich für die dritte Station Mallnow nahe
       Frankfurt (Oder), wo das Gas verdichtet wird, das über „Jamal-Europa“ nach
       Deutschland kommt, seit 23 Jahren in Betrieb ist und zu einem
       Leitungssystem gehört, das 1970 mit dem Erdgas-Röhren-Geschäft zwischen der
       Sowjetunion und der Bundesrepublik seinen Anfang nahm.
       
       Moskau ist in der Folge zur Gas-Supermacht aufgestiegen, Deutschland zum
       Gas-Großabnehmer, und das einstige sowjetische Ministerium der Gasindustrie
       häutete sich zum Staatskonzern Gazprom, der inzwischen an fast jeder
       Aktivität in der deutschen Gaswirtschaft beteiligt ist. Auch bei allem, was
       hier verbaut ist, den Leitungen im Boden und den Verdichterstationen im
       Wald. Knapp die Hälfte an Gascade hält Gazprom über seine deutsche Tochter.
       
       ## Kompressoren sorgen für fließendes Gas
       
       Matthias Maiwald hat auf das Gelände geführt, die Tür zu einer Halle ist
       geöffnet. Drinnen liegt unter Schallschutzgehäuse die Gasturbine verborgen.
       Schiffsmotoren haben solche Ausmaße. Gespeist mit Erdgas aus der Pipeline
       treibt sie den Kompressor an, der nebenan montiert ist und der wie ein
       stählernes Herz mit Leitungen verbunden ist. Maiwald erzählt, dass das Gas
       unter der Erde meist mit etwa fünf Grad ströme, die Temperatur sich bei der
       Verdichtung aber auf über 40 Grad erhöhe, sodass es gekühlt werden muss,
       bevor es seine Reise fortsetzt. Die Kühler, groß wie Einfamilienhäuser,
       stehen zwischen den Turbinenhallen.
       
       Wärmeres Gas würde die Effizienz ebenso verringern wie Leitungen mit
       geringerem Durchmesser. Je mächtiger eine Röhre, desto kleiner sei der
       Druckverlust. Die Leitungen im Boden haben einen Durchmesser von 1,42
       Meter. Doch auch in solchen Dimensionen lasse der Druck allmählich nach,
       sodass nach etwa 280 Kilometern verdichtet werden muss. Jedenfalls, wenn
       die Leitungen an Land verlaufen. Unter Wasser muss der Druck bei der
       Einspeisung so mächtig sein, dass das Gas am anderen Ende noch ordentlich
       strömt. Die russischen Kompressoren verdichten das Gas von Nord Stream 2
       auf über 200 Bar, sodass es nach gut 1.200 Kilometern in Lubmin noch immer
       kräftig strömt. Wenn es denn strömt.
       
       Für Gascade ist der gegenwärtige Zustand übrigens kein Verlustgeschäft,
       betont Pressesprecherin Uta Kull. Das Unternehmen stelle die Infrastruktur
       und biete Transportkapazitäten, die langfristig versteigert würden. Bei der
       Eugal seien die Verträge längst unterschrieben, die Pipeline bereits bis
       2035 weitgehend ausgebucht. Ob dann tatsächlich Gas fließt, ist Sache der
       Gashändler. Uta Kull seien keine Händler bekannt, die ihre Eugal-Verträge
       rückabwickeln möchten. Die Kapazitäten würden schließlich benötigt – ganz
       gleich, ob der Inhalt aus Russland komme, von Flüssiggas-Terminals, aus
       Norwegen oder den Niederlanden, ob Erdgas fließe oder Wasserstoff.
       
       Uta Kull klingt erstaunlich zuversichtlich. Sie steht draußen auf einer der
       Brücken, die über das silbrige Gewirr führen. Unten liegt der Rohrgraben,
       oben gleißt die Sonne. Anspannung ist nicht zu spüren.
       
       Und wie verhält es sich beim Miteigentümer Gazprom Germania? Der Ortstermin
       liegt inzwischen zehn Tage zurück, die Gazprom-Tochter steht jetzt unter
       der Kuratel der Bundesnetzagentur und Uta Kull ist an ihrem Schreibtisch in
       Kassel zurückgekehrt. Die staatliche Kontrolle ändere nichts, ist sie
       überzeugt. Der Gasmarkt sei seit Langem reguliert. „Wir werden sowieso
       beaufsichtigt“, sagt sie und zählt auf: Ob Preise, Bauprojekte, jede
       strategische Entscheidung – die Netzagentur überprüft alle Aktivitäten. Das
       war vor dem 4. April so und werde danach so bleiben. „Wir gehen nicht davon
       aus, dass sich etwas ändert“, sagt sie.
       
       Vorausgesetzt, die Gazprom-Tochter bleibt zahlungsfähig. Die
       Bundesnetzagentur fürchtet inzwischen deren Insolvenz und warnt vor Folgen
       für die Energieversorgung. Dann wäre es nicht nur in Radeland 2 auffallend
       still.
       
       13 Apr 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Gerlach
       
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