# taz.de -- Die Wahrheit: Der schwule Putin
       
       > Zu quasi-diplomatischen Verwicklungen kann es kommen, wenn man ein Plakat
       > mit dem russischen Präsidenten in eindeutigen Posen produziert.
       
       Jetzt gehen sie aber doch zu weit. Ich stehe im Supermarkt und blicke
       konsterniert auf die Werbetafel: „Putingeschnetzeltes – 500 g, 3,99 €“. Ich
       stutze kurz. Muss man das nicht jetzt in Rubel bezahlen?
       
       Es dauerte tatsächlich einen kurzen Moment, bis mir der Verleser klar
       wurde. Die psychischen Verheerungen, die der Krieg auch bei Unbeteiligten
       anrichtet, sind immens. Besonders betroffen ist der Teil der Linken, der es
       aus unerfindlichen Gründen für links hält, einen offenkundig ultrarechten
       Nationalisten, Revanchisten und Quasifaschisten zu verteidigen oder
       zumindest sehr große Sorge auf seine gekränkte Gefühlslage zu verwenden.
       
       Dabei helfen bei der Beurteilung schon die einfachen Dinge: Jemand, der
       Homosexuelle drangsaliert, ist ein Verbrecher. Das konnte man schon vor
       Jahren wissen. Das ist kein lifestylelinkes Gedöns, wie uns Sahra
       Wagenknecht, die Putina von der Saar, glauben lassen will.
       
       Meine Lesebühne „Brauseboys“ hat bereits zum Jahresrückblick „Auf
       Nimmerwiedersehen 2013“ auf einem Plakat Putins nackten Oberkörper
       homoerotisch umspielt, während einer von uns ihm gerade einen bläst. Es
       hängt wie alle unsere Jahresrückblicksplakate in meinem Flur und hat schon
       vier Mal für quasidiplomatische Verwicklungen gesorgt.
       
       Ein Vater eines Freundes meiner Söhne war zu Besuch. Der Mann ist Russe und
       geriet außer sich. Wie wir dazu kämen, zu unterstellen, Putin sei schwul?
       Das stimme doch gar nicht, das sei eine schlimme Beleidigung! Ich habe ihn
       gefragt, was denn um Himmels willen daran eine Beleidigung sei? Ich glaube,
       er hat nicht verstanden, was ich gemeint habe.
       
       Später war mal ein sehr cis-heteronormativer, aber identitätspolitisch
       bewegter Schwabenmann zu Besuch, der uns vorwarf, wir diskriminierten damit
       Homosexuelle. Ich versprach, es den beiden homosexuellen Kollegen, die das
       Motiv ersonnen hatten, auszurichten.
       
       Auch die Berliner Polizei fand das Plakat später eine Fotodokumentation
       wert. Längere Geschichte, jedenfalls waren die mal bei mir, und da
       fotografierten sie gleich noch zwei unserer Plakate. Nämlich eines, bei dem
       wir als Kopftuchmädchen um einen Sarrazin herumscharwenzeln, und eben das
       mit Putin. Wenn ich sehr schlechte Laune habe, stelle ich mir vor, wie
       ganze Abteilungen des Staatsschutzes mithilfe dieser Bilddokumente
       versuchen, die Richtung unserer staatsfeindlichen Gesinnung zu enträtseln.
       
       Schließlich war neulich ein Paketbote an der Tür, der das Plakat sah.
       „Super“, sagte er begeistert, „die Schwulen nerven ja auch wirklich!“ Ich
       sah ihn verständnislos an. Dann erklärte ich ihm, dass dieses Motiv sich
       nicht gegen Schwule richte, sondern gegen Leute, die sich gegen Schwule
       richten. Woraufhin er mich verständnislos ansah. Jetzt gibt er die Pakete
       für mich immer vorne im Café der christlichen Fundamentalisten ab. Es fügt
       sich eben alles zueinander. Putin und Wagenknecht wären stolz auf ihn.
       
       8 Apr 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heiko Werning
       
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