# taz.de -- StudiVZ wird abgeschaltet: Gruschel mich ein letztes Mal
       
       > Nach 16 Jahren soll das Netzwerk StudiVZ am 31. März endgültig schließen.
       > Ein Nachruf und ein Streifzug durch ein soziales Brachland.
       
 (IMG) Bild: Damals, als Slogan T-Shirts noch cool waren: Die StudiVZ-Gründer 2006 in – natürlich – Berlin-Mitte
       
       „Juliane, ich war ein Idiot und es tut mir leid!“ Wir haben uns damals im
       Zivildienst kennengelernt, ich stand kurz vor der Immatrikulation. 2010
       hattest du mir eine sehr persönliche Nachricht geschickt, ich war
       überfordert und habe einfach nicht geantwortet. Ich hatte sie also
       geghostet, noch bevor irgendjemand diesen Begriff kannte. Auf StudiVZ.
       
       Das kann ich alles nachlesen, heute, satte zwölf Jahre nach unserer letzten
       Konversation. So wie 80 Prozent meiner Freunde in diesem digitalen Nirwana
       ist Juliane unterdessen eine „Gelöschte Person“ ohne Bild und weitere Info.
       Aber dieser kleine Nachrichtenwechsel, der ist noch da, und ich erinnere
       mich. Nicht mehr lang, dann geht auch das nicht mehr, dann ist alles weg,
       für immer: Am 31. März soll das „Studiverzeichnis“ schließen.
       
       [1][Der Tod von StudiVZ], er wurde oft herbeigeschrieben, angekündigt,
       eingeleitet und dann doch wieder verzögert. Schon vor Jahren sah es in dem
       Netzwerk so aus, als seien Massen lebenslustiger junger Menschen übereilt
       geflohen, als sei ein großes Unglück passiert. Niemand schickt mehr
       Vorlesungsfolien herum, lädt zu seinem 20. Geburtstag, Verzeihung,
       „Burzeltag“ ein, keiner gründet lustige Gruppen, schreibt auf Pinnwände,
       flirtet, schäkert, „gruschelt“. Nur noch ein paar eingefrorene Profile sind
       zu sehen, Bilder und Fragmente aus einem anderen Jahrzehnt, verwaist,
       liegen gelassen in einem prähistorischen, pinkfarbenen Webdesign.
       
       Geflohen ist niemand, aber [2][das große Unglück hatte einen Namen:
       Facebook]. 2011 ermittelte ein Marktforschungsinstitut höhere Nutzerzahlen
       bei dem amerikanischen Netzwerk, dem StudiVZ nachempfunden wurde. 16
       Millionen Menschen waren da bei StudiVZ registriert – ein Vielfaches mehr,
       als es überhaupt Student*innen in Deutschland gab. Aktiv waren aber nur
       noch etwa 6 Millionen. StudiVZ und die anderen VZ-Netzwerke (schülerVZ,
       meinVZ) stürzten rasant ab. Mit dem Innovationstempo des Zuckerberg’schen
       Netzwerkes konnte kein deutscher Ableger – auch nicht das ebenfalls
       populäre „Wer-kennt-wen“ oder die „Lokalisten“ – mithalten.
       
       ## Es sah mal vielversprechend aus
       
       Im Jahr 2013 schloss das schülerVZ. 2017 meldete der Eigentümer der
       VZ-Netzwerke – Poolworks, ein Tochterunternehmen der
       Georg-von-Holtzbrinck-Verlagsgruppe – Insolvenz an. 2020 wurde ein
       Nachfolger gegründet, der schlicht „VZ“ hieß und sich als Gaming-Plattform
       etablieren sollte, was ebenfalls scheiterte. Spiele waren es bis zuletzt,
       die einige wenige in den VZ-Netzwerken hielten und den Betrieb
       finanzierten.
       
       Aufgrund des Protests der Gaming-Community wurde das ursprünglich geplante
       Ende 2021 noch einmal verschoben. Nun meldet der Betreiber: „studiVZ und
       meinVZ werden zum 31.03.2022 abgeschaltet.“ Die Netzwerke seien technisch
       so veraltet, dass eine Modernisierung unwirtschaftlich sei, sagte die
       Chefin der VZ-Netzwerke, Agneta Binniger, dem Spiegel.
       
       Dabei sah einst alles vielversprechend aus: 2005 wurde StudiVZ von zwei
       pfiffigen Studenten, Ehssan Dariani und Dennis Bemmann, gegründet. Erste
       Skandale ließen nicht lang auf sich warten: 2006 fanden sich 700 Männer in
       einer Gruppe zusammen, die „wirklich fotogene Frauen“ gemeinschaftlich
       bewerteten und ihre eigene „Miss-Wahl“ abhielten – kollektive sexuelle
       Belästigung inklusive. Zuvor stand das Netzwerk wegen der Verbreitung von
       „Nazi-Witzen“ in der Kritik. 2007 kritisierte der damalige
       Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, dass StudiVZ personalisierte
       Werbung auf Grundlage der angegebenen Daten schalten will – ein Prinzip,
       das heute allgegenwärtig ist.
       
       ## Damals war es neu
       
       [3][Bemmann und Dariani verkauften das Netzwerk] im selben Jahr für 85
       Millionen Euro an Holtzbrinck. Die Summe galt als maßlos überhöht, die
       Gründer hätten ihre Frührente einläuten können, entschieden sich aber für
       den natürlichen Lebenszyklus reich gewordener VWL- und
       Informatikstudierender: Dariani gründete die Gruschel GmbH und betätigte
       sich als Investor. Bemmann lernte Esperanto, reiste um die Welt, versuchte
       sich als Fashion-Fotograf und gründete ebenfalls eine Investmentplattform.
       
       Der Einfluss der VZ-Netzwerke, von denen StudiVZ das bekannteste und
       beliebteste blieb, darf nicht unterschätzt werden. An Schulen, in Familien
       und in der deutschen Medienöffentlichkeit wurde über Privatsphäre im Netz
       diskutiert. „Es ist kein Mythos, dass sich Personaler das StudiVZ-Profil
       ausdrucken“, sagte der Kommunikationsberater Klaus Eck noch 2010 der Zeit –
       eine Bemerkung, die heute in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert
       anachronistisch klingt.
       
       Personen nur aufgrund weniger Details „nachschlagen“ zu können, das war
       neu. Wer sich zuvor noch dazu durchringen musste, seinen Schwarm aus der
       Seminargruppe direkt anzusprechen, konnte nun einfach in „Grundlagen der
       Methoden empirischer Sozialforschung I WiSe 09/10“ suchen und fündig
       werden. Saskia war schon mal bei Rock am Ring und mag Mumford & Sons.
       Vielleicht hat sie ja Lust auf einen Kaffee? Oh, ihr Beziehungsstatus ist
       „vergeben“ – dann wohl eher nicht.
       
       StudiVZ zeigte Freundschaften „über zwei“ oder „über drei Ecken“ an. Gut
       vernetzte Personen konnten dadurch wie Mikro-Celebrities (ein Begriff, den
       damals ebenfalls niemand kannte) wirken. Bekanntschaften wurden abstrakter
       und das Profil zum Ausdruck des Lifestyles, vor allem über die Gruppen.
       Einst zur Vernetzung gedacht, signalisierten sie schnell Zugehörigkeit,
       Distinktion, Humor oder das vollständige Gegenteil davon: „Ich glühe härter
       vor, als du Party machst“, „Kniet nieder – Wir haben Abitur in Bayern
       gemacht“, „Ich hab nen Tinnitus im Auge! Ich sehe nur Pfeifen!“. Kurzer
       Blick auf die eigene Seite: „Ich will in meinem Profil bei StudiVz
       möglichst geil rüberkommen“. Selbstironie im Web-2.0-Zeitalter – es war
       nicht alles gut.
       
       ## Auf Nimmerwiedersehen
       
       Geradezu leichtsinnig öffentlich wirkt StudiVZ rückblickend. Wer noch seine
       Zugangsdaten kennt, kann das nachprüfen: Verabredungen zu Partys, gern mit
       konkreter Zeit- und Ortsangabe, wurden öffentlich auf Pinnwänden getroffen.
       Fotos von Partyeskapaden verschiedenster Art waren ordnungsgemäß
       verlinkt, sodass noch der Letzte begriff, welcher Kommilitone auf dem
       verschwommenen Bild in die Spüle kotzt.
       
       Andere soziale Plattformen gab es bei Weitem nicht so viele wie jetzt.
       StudiVZ konnte daher mehr sein. Es war die verlängerte Uni,
       Dating-Plattform, Fotoalbum, WG-Vermittlung, Mitfahrzentrale, Tauschbörse,
       Partykalender. Alles Schlimme und alles Schöne der neuen Normalität digital
       vernetzter Gesellschaften zeichnete sich hier bereits ab. Es war ein Segen
       für jeden, der eine verloren geglaubte Bekanntschaft wiederfand und ein
       Fluch für alle, die hier zum ersten Mal in Kontakt mit Stalking und Mobbing
       kamen. Oder Ghosting.
       
       Von all dem sind nur noch Spuren vorhanden, und die werden nun weggewischt
       – ein Reset, auf den jüngere Generationen, für die Facebook, Twitter und
       TikTok zur Normalität gehören, bis auf Weiteres nicht hoffen können.
       Vielleicht sollten wir dankbar sein. StudiVZ – machs gut, auf
       Nimmerwiedersehen.
       
       30 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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