# taz.de -- Flucht vor dem Krieg in der Ukraine: Mehr Kriegerin als Katalogbraut
       
       > Menschenhandel-Warnmeldungen erfüllen die Kolumnistin mit Unbehagen. Ihre
       > Freundin Daria schimpft auf die Verzwergung ukrainischer Heldinnen.
       
 (IMG) Bild: Opfer oder Heldinnen? Die Strapazen und Gefahren der Flucht kann man unterschiedlich deuten
       
       Daria spuckt fast vor Empörung: „Das regt mich so auf“, sagt sie. „Das ist
       einfach alles, was ihr in uns seht: Nutten, Katalogbräute, Leihmütter,
       allenfalls noch potenzielles Putz- und Pflegepersonal.“ Mit Daria habe ich
       Germanistik studiert, kennengelernt haben wir uns aber bei einem Job als
       Messehostessen auf der Cebit.
       
       Der Job ist vom Anschaffen nicht weit entfernt: Irre gut bezahlt,
       sexistisch bis ins Mark und voller ekliger Anmachen. Von denen kriegte
       Daria damals schon immer mehr ab als ich. Aber das wird daran liegen, dass
       sie einfach viel schöner ist. Eine klassische slawische Schönheit.
       
       Der Text, über den sie sich jetzt aufregt, ist [1][einer von den dutzenden
       Warnmeldungen vor Zuhältern und Menschenhändlern an der ukrainischen
       Grenze], die mir in den letzten zwei Wochen auf den Tisch geflattert sind.
       
       Sie wecken in mir ein diffuses Unbehagen, weil sie sich alle so ähnlich
       sehen: Viele Andeutungen und Gerüchte, wenig Überprüfbares. Sie erinnern an
       Facebookgeschichten, die im Flüchtlingssommer 2015/16 die Runde machten.
       
       Dieses Mal kommen sie aber aus Ecken, für die ich sonst durchaus was übrig
       habe: Aus feministischen Organisationen, die für das Verbot von Sexarbeit
       oder das nordische Modell kämpfen. Darüber kann man ja durchaus
       diskutieren, aber sind diese Kriegsflüchtlinge der richtige Anlass?
       
       ## Die Frauen sind weder doof noch allein
       
       „Nein, das ist eine Unverschämtheit“, findet Daria, die als gebürtige
       Ukrainerin und eingebürgerte Deutsche gerade im Dauerhilfseinsatz ist. „Das
       sind Heldinnen. Kämpferinnen, die damit beschäftigt sind, ihre Kinder und
       ihre Alten in Sicherheit zu bringen. Die sind doch nicht doof. Und die sind
       auch nicht allein.“
       
       Sie tippt auf ihrem Smartphone herum und hält mir eine Facebookgruppe mit
       Beiträgen in kyrillischer Schrift unter die Nase. „Da ist alles voll von
       Überlebenstipps und rührenden Geschichten. Von Leuten, die sich auf der
       Flucht verloren und wieder gefunden haben. Die passen aufeinander auf. Und
       auch wer selbst keine Verwandten im Ausland hat, der kennt jemanden, der
       jemanden kennt.“
       
       Das, denke ich, ist allerdings eine [2][andere Situation als die der
       Zwangsprostituierten], die ich kennengelernt habe. Die kommen hier an mit
       dem Bewusstsein, unerwünscht zu sein, mit Schulden beim Schlepper und dem
       Erwartungsdruck der Familie im Nacken.
       
       Die waren so mutterseelenallein, wie man es nur sein kann: Im Gepäck eine
       endlose Geschichte von Vernachlässigungen und Misshandlungen, die sie früh
       darauf trainiert hatten, nicht allzu viel Gutes zu erwarten. Mit einer
       Kette von Süchten und Problemen, die einen normalen Job undenkbar zu machen
       schienen. Darauf baut Zwangsprostitution: Ausweglosigkeit, Scham,
       Isolation. Das wirkt stärker als Gewalt und einkassierte Pässe.
       
       „Aber denkst du nicht, dass dieses Chaos auch Abschaum anlockt?“, frage ich
       Daria vorsichtig. „Klar“, sagt sie nüchtern. „Die sind alle da: Die
       Psychos, die sich durchs Helfen selbst stabilisieren, die Grapscher und
       Wichser, die Sektenangehörigen auf Seelenfang. Aber“, schnauft sie, „mit
       denen werden wir auch noch fertig. Unterschätz' uns mal nicht.“
       
       27 Mar 2022
       
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 (DIR) Nadine Conti
       
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