# taz.de -- Impfpflicht in Österreich: Folge des Versagens
       
       > Die Impfpflicht will man in Österreich mit dem Einsatz von polizeilichen
       > Kontrollen durchsetzen. Das dürfte Impfgegner wie Befürworter brüskieren.
       
 (IMG) Bild: Trommeln gegen die Impfpflicht: Kundgebung in Wien gegen den Mehrheitsbeschluß des Nationalrates
       
       Österreich ist nun Labor für eine Verstärkung des repressiven
       Staatsapparats. Das ist eine andere Formulierung für: In Österreich wurde
       eine allgemeine Corona-Impfpflicht beschlossen. Zum eingangs erwähnten
       „Labor“ wird es, weil dies der europaweit erste Versuch einer solchen
       allgemeinen Impfpflicht (ab 18 Jahren) ist. Als repressiver Staatsapparat
       wird in der Theorie jener Teil des Staates bezeichnet, der vorwiegend durch
       Zwang funktioniert – also etwa die Polizei.
       
       Bei der österreichischen Impfpflicht ist es nun so, dass vergessen wurde,
       deren technische Machbarkeit im Vorfeld zu prüfen. Es gibt zwar – anders
       als in Deutschland – ein zentrales Impfregister. Das wäre eigentlich eine
       gute Voraussetzung für eine Impfpflicht. Leider aber wurde übersehen, dass
       diesem die technischen Kapazitäten für solch ein Unterfangen fehlen.
       
       Zumindest derzeit noch. Und in den nächsten Monaten. Sodass die
       österreichische Regierung, um den Termin der Einführung der Impfpflicht mit
       Anfang Februar einhalten zu können, auf die Polizei setzt – eben den
       repressiven Staatsapparat. Diese soll nun – bis man technisch nachgerüstet
       haben wird – die Einhaltung der Impfpflicht überprüfen. Sozusagen händisch.
       Die Polizei soll bei jeder Amtshandlung auch den Impfstatus kontrollieren.
       
       Das mag eine Notlösung sein, bringt aber ein verstärktes Gefühl der
       Überwachung mit sich: Nicht nur kann jetzt überall und jederzeit der
       Impfstatus überprüft werden. Damit wird unausgesprochen auch eine
       verstärkte Ausweispflicht eingeführt. Denn der Impfnachweis gilt natürlich
       nur in Verbindung mit einem Identitätsnachweis.
       
       ## Gibt es wirklich eine Impfscham?
       
       Solcherart erweist sich die Realisierung dieser Pflicht ganz anderer Art,
       als sie etwa Andreas Reckwitz in der Zeit skizziert hat. Unter expliziter
       Berufung auf Österreich und dessen Impfpflicht spricht der Soziologe da von
       einem Paradigmenwechsel: ein Wertewandel, der weg von den individuellen
       Werten – wie etwa jenen der Selbstverwirklichung – und hin zu einer neuen
       Pflichtethik führe.
       
       Pflicht als Pflichtbewusstsein, als gesellschaftliche Verpflichtung, ein
       Dem-anderen-gegenüber-in-der-Pflicht-Stehen. So würde man sich impfen, um
       andere zu schützen – würde also die eigenen Interessen dem kollektiven Wohl
       unterordnen. Was sich umgekehrt als Impfscham äußern würde.
       
       Aber gibt es wirklich eine Impfscham? Gibt es nicht vielmehr jene, die sich
       aus Selbstschutz, aus Selbstsorge impfen lassen? Und dann gibt es noch
       jene, die bewusst ungeimpft sind. Ganz schamlos. Für Letztere – auf die sie
       ja abzielt – ist die Impfpflicht nicht Teil einer inneren Verpflichtung,
       sondern eines äußeren Zwangs. Egal wie diese argumentiert wird. Damit sind
       wir wieder bei Österreich.
       
       Halten wir fest: Es gibt zur Impfpflicht zwei Haltungen, pro und contra,
       die beide gut begründet und argumentierbar sein können. Man kann gegen die
       Verpflichtung zur Impfung sein, weil man gegen den Zwang ist – und
       stattdessen auf Kampagnen, Information, Werbung setzen. Und man kann dafür
       sein, weil es anders eben nicht funktioniert hat – Zustimmung aus Gründen
       der Effizienz also.
       
       ## Präsenz des repressiven Staatsapparats
       
       Österreichs Regierung – die kampagnenmäßig völlig versagt hat – greift auf
       die Pflicht als Folge dieses Versagens zurück. Und nun führt sie vor, wie
       man beide Positionen gleichzeitig enttäuschen kann. Die unguten Kontrollen,
       die nicht von den Gesundheitsämtern, sondern von der Polizei durchgeführt
       werden sollen, machen den repressiven Staatsapparat nicht nur präsent,
       sondern erweitern dessen Befugnisse auch.
       
       [1][Damit werden die Gegner der Impfpflicht bestätigt.] Und zugleich ist
       klar, dass dieses Vorgehen eines nicht ist: nämlich effizient. Was die
       Befürworter zu Recht verstimmt. So sind alle Seiten zugleich düpiert.
       
       Wenn man schon den Unbill vieler auf sich zieht, sollte es wenigstens etwas
       nützen. Eine Zwangsverordnung aber, die so nicht durchsetzbar ist, ist
       fatal. So ist der Staat zugleich verschärft – durch die Kontrollen – und
       geschwächt durch die zweifelhaften Erfolgsaussichten ebendieser
       Verschärfung. Das muss man erst mal schaffen.
       
       27 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Impfgegner-gegen-die-Demokratie/!5814064
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Isolde Charim
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Knapp überm Boulevard
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Polizei
 (DIR) Österreich
 (DIR) Impfung
 (DIR) Knapp überm Boulevard
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Lesestück Recherche und Reportage
 (DIR) Pflegekräftemangel
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Knapp überm Boulevard
 (DIR) Gelbwesten
 (DIR) Knapp überm Boulevard
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Weltbild eines Autokraten: Putins Spiel mit dem Westen
       
       Putin bespielt verschiedene Diskurse und nutzt ganz verschiedene mit ihnen
       verbundene Emotionen für sich. Das beherrscht er gut.
       
 (DIR) Corona-Schutzimpfung in Österreich: Jetzt doch keine Impfpflicht
       
       Wien setzt die Pflicht zur Impfung aus – noch bevor deren Durchsetzung
       überhaupt versucht wird. Zuletzt ließen sich weniger Menschen immunisieren.
       
 (DIR) Datenschützer über Impfen: „Kein pauschales Register“
       
       Österreich hat ein Impfregister, in Deutschland wird darüber diskutiert.
       Der Datenschützer Thomas Lohninger über Risiken und die Vertrauensfrage in
       der Gesellschaft.
       
 (DIR) Im Gespräch mit einer Impfgegnerin: Sabine hofft auf Omikron
       
       Die Impffrage spaltet. Umso mehr gilt es, im Gespräch zu bleiben, findet
       unsere Autorin. Sie traf Sabine – die ist ungeimpft und will es bleiben.
       
 (DIR) Gesundheitssystem in der Coronakrise: Fake-Anzeigen, echter Notstand
       
       Impfgegner*innen haben sich dazu verabredet, falsche Inserate von
       ungeimpften Pfleger*innen zu schalten. Das Problem könnte dennoch real
       sein.
       
 (DIR) Bundestag debattiert über Impfpflicht: „Alle sind mit allen solidarisch“
       
       Dagmar Schmidt von der SPD unterstützt eine allgemeine Impfpflicht ab 18.
       Denn diese führe zur Grundimmunisierung und damit aus der Pandemie.
       
 (DIR) Impfgegner gegen die Demokratie: Freiheit als Ersatzmythos
       
       Impfgegner pochen auf individuelle Freiheit und wähnen die Demokratie am
       Ende. Doch nebst der Irrationalität sind sie auch ein Symptom für etwas.
       
 (DIR) Proteste gegen Coronamaßnahmen: Die Usurpation der Aufklärung
       
       International wird weiterhin gegen Coronamaßnahmen demonstriert. Verstörend
       ist, wie sich dabei Vernunft mit Unvernunft paart.
       
 (DIR) Angst und Wut in der Pandemie: Affekte beherrschen unsere Zeit
       
       Es sind nicht Überzeugungen, sondern Emotionen, die uns aktuell spalten.
       Für eine Gesellschaft ist die Vorherrschaft der Affekte höchst
       problematisch.