# taz.de -- Härte im Alltagsleben: Der Tonfall wird rauer
       
       > Es gibt mehr Regeln – und mit den Regeln immer mehr Härte im Alltag. Die
       > Freundlichkeit bleibt auf der Strecke. Muss das so sein?
       
 (IMG) Bild: Raues Klima, gesellschaftlich gesehen: Maskentrage-Befehl in der Münchner U-Bahn
       
       Unter der U-Bahn-Brücke Schanzenstraße ist die Luft diesig und kalt. Schon
       aus der Ferne sehe ich eine Krähe, die unter der Brücke neben dem Radweg
       sitzt. Sie pickt. Sie stößt mit ihrem Schnabel immer wieder in etwas Graues
       hinein. Es muss eine riesige Kartoffel sein. Ein weggeworfener Kumpir, ein
       überfahrener Döner, vielleicht auch ein Stück Obst. Die Krähe pickt. Ich
       komme näher. Und obwohl ich auf alles gefasst bin, obwohl ich intuitiv
       ahne, dass es kein Döner und keine Kartoffel sein werden, blicke ich weiter
       auf die Krähe. Dann bin ich nah genug, um es zu sehen. In diesem Moment
       scheint alles um die Krähe herum zu verschwimmen, der Straßenlärm
       verklingt.
       
       Es ist, als könnte ich das Picken der Krähe hören. Mir wird übel. Die Krähe
       hackt in einer Taube herum. Einer toten Taube. Mit offenem Bauch liegt sie
       auf dem Gehsteig. Ich muss würgen. Ich huste laut. Die Leute sehen sich
       nach mir um. Auf dem Weg nach Hause und den ganzen Tag hindurch lässt mich
       dieses Bild nicht los: das von der Krähe und der Taube.
       
       „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.“ Ich muss an diese Redewendung
       denken. Krähen sollen untereinander sehr kollegial sein. Sie verhalten sich
       so, damit sie überleben. Ich lese nach, was Krähen fressen. Tatsächlich
       essen Krähen in der Natur auch kleine Tiere und Aas. Ich hatte also etwas
       ganz Natürliches gesehen. Vielleicht hätte ich mich auch nicht so geekelt,
       wenn ich diese Szene im Wald beobachtet hätte. Doch da, unter der Brücke im
       Schmutz, war es wie ein Bild dafür, dass die Stadt auch hart sein kann.
       Dass sie frisst, was stirbt. Dass in ihr die Stärkeren überleben.
       
       Das Leben kann unendlich zärtliche Momente enthalten, aber in letzter Zeit
       kommt es mir vor, als würde ich zunehmend harte Szenen erleben. Die Zeiten
       sind rau. Aber müssen wir deswegen rau sein?
       
       Letztens, im ICE, habe ich etwa zum ersten Mal erlebt, wie ein Mann
       rausgeschmissen worden ist, weil er seine [1][Maske abgesetzt hat].
       Natürlich war das für die Zugbegleiterin und die anderen Reisenden nervig,
       beunruhigend, auch mich hat es gestört. Doch nach fast zwei Jahren Pandemie
       schaue ich manchmal immer noch wie aus einem großen Abstand auf uns alle,
       auf das, was sich geändert hat.
       
       „Nee jetzt“, hat die Zugbegleiterin laut zu dem Mann gerufen, der
       anscheinend schon häufiger seine Maske abgenommen hatte.
       
       „Raus. In Würzburg sind Sie raus!“ Würzburg war der nächste Halt in einer
       halben Stunde. Die Zugbegleiterin rief einen Kollegen und einen Polizisten,
       der im Zug war.
       
       Sie kamen hinzu, der Polizist blieb die ganze Zeit bis Würzburg neben dem
       Mann stehen.
       
       Die anderen Zugreisenden im Großraumabteil feixten still. Laut sagt niemand
       etwas. Und dann verließ der Mann in Würzburg in der Dunkelheit den Zug,
       eskortiert von einem Polizisten. Der Mann war nicht laut, er polterte
       nicht.
       
       Ich habe mich gefragt, wie er wohl weiter an sein Ziel gelangen würde in
       dieser Nacht. Die Schaffnerin hat sich den Regeln gemäß verhalten und für
       den Schutz aller Zugreisenden gesorgt. Doch ich habe die Szene auch als
       hart empfunden. Es war keine Diskussion mehr möglich. Es gab keinen
       Aufschub mehr. Der Mann sollte weg. Raus. Verschwinden. Nun gibt es für
       alles Gründe. Es kann sein, dass die Zugbegleitern aus Erfahrung in einem
       harten Tonfall spricht, weil sie sich nur so durchsetzen kann. Was müssen
       sich Menschen in Supermärkten und in Zügen, die die [2][Maskenpflicht]
       durchsetzen, gerade oft alles anhören.
       
       Und doch frage ich mich, ob alle Härte sein muss. Nur weil es mehr Regeln
       gibt, muss doch nicht alle Wärme verschwinden. Der freundliche Ton, der es
       uns erlaubt, gut durch diese Zeit zu kommen. Ich weiß nicht, warum mich die
       Krähe an den Zug erinnert. Die Krähen, die angeblich untereinander so
       kollegial sind.
       
       7 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Mund-und-Nasenbedeckung/!5827755
 (DIR) [2] /Maskenpflicht/!t5681349
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christa Pfafferott
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kolumne Zwischen Menschen
 (DIR) Zusammenleben
 (DIR) Deutsche Bahn
 (DIR) Maskenpflicht
 (DIR) Hamburg
 (DIR) IG
 (DIR) Covid-19
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Nach Mord in Idar-Oberstein: Das Gefühl der Bedrohung
       
       Seit dem Tankstellenmord durch einen Querdenker macht sich die
       Tankstellenmitarbeiterin Emma Sorgen um ihre Sicherheit. Ein Besuch zur
       Nachtschicht.
       
 (DIR) Mund und Nasenbedeckung: Klappe auf oder besser Maul halten?
       
       Was tun, wenn sich jemand in der Bahn oder im Taxi weigert, die Maske zu
       tragen? In Berlin kam es am Wochenende zu zwei Gewaltvorfällen.