# taz.de -- Die Wahrheit: Was kommt nach Omikron?
       
       > Von Sachsen bis nach Krasnojarsk: Sperrangelweit sind sie offen, die
       > gigantischen Pandorabüchsen der Geheimlabore. Hier die nächsten
       > Varianten.
       
       Auch das neue Jahr steht im Zeichen des Virus. Immer neue Varianten des
       wendigen Erregers trudeln aus den ungeimpften Ecken der Welt in heimische
       Atemwege. Ob die aktuelle Abräumervariante „Omikron“ aus Südafrika, der
       geheimnisvolle Herausforderer „Mu“ aus Kolumbien oder Newcomer „Nu!“ aus
       Sachsen, immer wieder schüttelt der Verwandlungskünstler Sars-CoV-2
       atemberaubende Kreationen aus seiner hauchdünnen Proteinhülle.
       
       Die ganze Welt ist seine Petrischale, die gesamte Menschheit modelt in
       einer infektiösen Prêt-à-porter-Schau, die einfach kein Ende findet. Kaum
       ist eine Variante in ihre Schranken geimpft, reckt der nächste Krankmacher
       seine mutierten Stachel. Kein Wunder, dass nicht nur der Normalbürger die
       Nase voll von immer neuen Teststäbchen hat. Jetzt zieht auch die
       Wissenschaft nach.
       
       „Ich habe die Faxen dicke“, bekennt ein Virologe, der für die glücklose
       Pharmafirma CureVac mehrfach Corona-Impfstoffe in den Sand gesetzt hat.
       „Warum soll ich mir weiter Mühe geben, wenn sich diese Covid-Idioten nicht
       einmal nachweislich wirksame Impfseren verabreichen lassen?“ Dazu kommt,
       dass vielen Virus-Endverbrauchern nicht begreiflich zu machen ist, dass es
       sich bei Corona keineswegs um ein fehlgeschlagenes Experiment aus der
       Hexenküche der Wissenschaft, sondern um ein reines Naturprodukt handelt, um
       eine Bastelarbeit von Pachamama für ihre Kinder.
       
       „Wenn wir ohnehin für die Pandemie verantwortlich gemacht werden, drehen
       wir den Spieß doch einfach um“, mault der bitter enttäuschte Virologe. „Wir
       Wissenschaftler designen ab jetzt die Viren-Varianten und die Natur muss
       sich Heilmittel dazu einfallen lassen.“ Es scheint, als müsse sich die Welt
       auf noch grässlichere Geschöpfe als die Scheinbedrohung „Deltacron“ oder
       die Grippe-Covid-Chimäre „Flurona“ vorbereiten, denn 2022 werden die
       Pandorabüchsen der Geheimlabore geöffnet.
       
       Mariacron-Variante: Auf dem Scheitelpunkt der Omikron-Welle platzt Ende
       Januar die feuchtfröhliche Jägerbombe. Im berühmten Reagenzfass von
       Rüdesheim gelingt es den Forschern der Asbach-Universität, die
       promillestarke „Mariacron-Variante“ aus einzelsträngiger Fusel-RNA und
       einem Fuder Moseldeltaviren auf einer Nährlösung von restspeichelgetränkten
       Riesling-Neigen zu destillieren. Das Ergebnis ist ein vollmundiger
       Omikrognac mit einem Aminosäuregehalt von 12,9 Giga-Oechsle, der sogar
       booster-resistente Boomer von der Weinbrand-Fraktion überzeugt. Die
       Symptome der hochinfektiösen Variante, die eisgekühlt im Virenschwenker aus
       Bleikristall serviert wird, ähneln einem mittelschweren Kater, nachdem er
       unter einen Sechzehntonner geraten ist.
       
       Robotron-Variante: Fremdelten die eigensinnigen Sachsen anfangs mit dem
       Fernost-Import Covid, hat der Freistaat den Erreger mittlerweile fest in
       die Lungen geschlossen. Zwischen die Sachsen und ihr Corona passt einfach
       kein Impfstoff. Längst bestimmen indigene Mutationen wie „Mändi“ und „Maik“
       die pittoresk apokalyptische Seuchenlandschaft zwischen Bad Düben und
       Zittau. Benannt werden die östlichen Virenvarianten nach ihren Wirtstieren
       oder den Buchstaben des sorbischen Alphabets („Nu!“). Doch im Februar macht
       die „Robotron-Variante“ Furore, die aus einem aufgelassenen Sprachlabor der
       NVA bei Zschöbnitz-Zschklopau entwichen sein soll. Die RNA des Sachsenvirus
       besteht aus widerstandsfähiger Plaste und übersteht Systemwechsel und
       oberflächliche Wessifizierung mit der Sprühflasche. Die „Robotron-Variante“
       überträgt sich wie andere Coronaviren über Aerosole, allerdings
       ausschließlich über die sächsischen Zischlaute „zsch“, „tzsch“, „tzschtsch“
       und „tzschtzschitztsch“. Eine Verbreitung über den hermetisch sächselnden
       Sprach- und Kulturraum des Freistaats ist deswegen ausgeschlossen.
       
       Nekronomicon-Variante: Eine namenlose Forschergilde vom abscheulichen
       Lovecraft-Institut der blasphemischen Miskatonic-University in Arkham
       erweckt im bleichen März aus unheiliger, nichteuklidischer Geometrie,
       rassistisch grundiertem Weltekel und den immer gleichen Adjektiven einen
       faszinierenden Homunkulus zum Leben, der als „Nekronomicon-Variante“ ganze
       Leserschichten infiziert und bei allen anderen namenlosen Schrecken
       verbreitet. Die Verbreitung der Variante erfolgt schriftlich über
       langatmige Erzählungen und fiktive Kosmologien. Die Infizierten
       kennzeichnet der Innsmouth Look, das fischähnliche Erscheinungsbild des
       klassischen Nerds mit grauer schuppiger Haut und watschelndem gebeugten
       Gang. Außerdem sind sie in der Lage, stundenlang dem kosmischen Grauen des
       Lovecraft-Pantheons von Azathoth bis Yog-Sothoth ins Auge zu blicken, haben
       aber plötzlich panische Angst, mit Frauen zu sprechen.
       
       Macron-Variante: In pastelligen Frühlingsfarben und mit extra viel
       Puderzucker wird im traditionsreichen Printemps-Warenhaus am Pariser
       Boulevard Haussmann die neue „Macron-Variante“ relauncht, die jedoch bloß
       eine weichgespülte und schöngefönte Version der präsidial grassierenden
       Wildform ist. Die schmierinfektiöse Virusvariante wird über Grinsen und
       Händeschütteln übertragen und soll das unübersichtliche Infektionsgeschehen
       bei unseren westlichen Nachbarn unter liberaler Fuchtel halten. Zur
       Herrschaftsreife an den Grandes Écoles der weltberühmten Laboratoires
       Garnier gezüchtet, soll das elitäre Macron-Virus den zunehmend morosen und
       moribunden Franzosen im Präsidentschaftswahlkampf als non-letale
       Alternative zu immer rechtsdrehenderen Viren präsentiert werden. Zuletzt
       hatte sich das Krankheitsbild der Grande Nation deutlich verschlimmert. Bis
       zu den Wahlen im April soll ganz Gallien mit der „Macron-Variante“
       durchseucht und die Monstermutanten Le Pen und Zemmour aus den
       konkurrierenden Laboratoires Pétain an den rechtsradikalen Rand gedrängt
       werden.
       
       Bombodrom-Variante: Die finale Virusvariante, die dann alle anderen
       Varianten knechtet, wird im Juni entweder in der US-Rüstungsschmiede
       Lockheed-Martin, im russischen Krasnojarsk oder in einem nordkoreanischen
       Untergrundlabor zusammengeschraubt. So genau wird man das nach ihrem
       Ausbruch nicht bestimmen können, weil geografische Anhaltspunkte fehlen.
       Ein einziges Virus dieser „Bombodrom-Variante“ wiegt fünf Tonnen und kann
       eine gesamte Millionenstadt „infizieren“. Die Übertragung der
       „Bombodrom-Variante“ erfolgt ebenfalls über die Atemluft, jedoch durch
       Abwurf in dieselbe. Nach einem gemütlichen Nuklearwinter im Hochsommer wird
       die Restmenschheit aus dem Quarantänebunker wanken und endlich das Ende der
       Coronapandemie, aber auch von Bäumen, Tieren und Nahrungsmitteln ausrufen
       können.
       
       15 Jan 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Bartel
       
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