# taz.de -- Aufgehobener Ausbürgerungsbescheid: Doch kein Salafist
       
       > Die Stadt Hildesheim wollte Ahmed R. ausbürgern, weil sie ihn für einen
       > Salafisten hielt. Vor Gericht zog die Stadt den Bescheid dann zurück.
       
 (IMG) Bild: Bis 2014 war Ahmed R. im Vorstand des „Deutschsprachigen Islamkreises“, 2016 kam die Polizei
       
       Hildesheim taz | Der Vorwurf wiegt schwer. Ahmed R. soll die
       radikalislamische salafistische Bewegung unterstützt haben und daher seine
       deutsche Staatsbürgerschaft verlieren. Bei seiner Einbürgerung 2014 hatte
       R. ein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung
       unterschrieben. Diese Erklärung zweifelt die Stadt Hildesheim mittlerweile
       an und hat die Einbürgerung per Bescheid zurückgenommen. Vor dem
       Verwaltungsgericht Hannover setzte sich R. nun mit seinem Anwalt
       erfolgreich gegen seine Ausbürgerung zur Wehr.
       
       Ahmed R. wurde in Deutschland geboren, war dann aber nach Tunesien
       ausgewandert. Nach der 6. Klasse kehrte er nach Deutschland zurück und
       besuchte die Hauptschule. Vor Gericht erzählte R., wie er zuerst die
       Ayasofoa-Moschee in Hildesheim besuchte, dann aber im Streit zusammen mit
       anderen Jugendlichen die Gemeinde verließ. Gemeinsam gründeten sie in einer
       Lagerhalle in einem Hinterhof einen neuen Moscheeverein – den Verein
       Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim.
       
       Von 2011 bis 2014 war R. als Jugendsprecher im Vorstand des Vereins, zu dem
       eine Moschee in der Hildesheimer Nordstadt gehörte. R. gab Nachhilfe und
       organisierte Sportangebote für Jugendliche, hatte als Vorstandsmitglied
       aber auch ein Mitspracherecht, wenn über die Freitagspredigten entschieden
       wurde. Der Verein galt als ein Hotspot der radikalen Salafistenszene und
       wurde 2017 vom niedersächsischen Innenministerium verboten.
       
       Ab 2012 predigte in der Moschee auch [1][Abu Walaa], der mutmaßliche
       Deutschland-Chef der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Neben ihm sollen
       andere Prediger der Salafistenszene wie Sven Lau, Pierre Vogel und Abul
       Baraa in der Moschee Seminare abgehalten und gepredigt haben, berichten
       zwei Mitarbeiter*innen des Verfassungsschutzes im Prozess.
       
       Auch der Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt, Anis Amri, hatte sich
       2016 in der Moschee aufgehalten. Besucher sollen in konspirativer Art und
       Weise indoktriniert und radikalisiert worden sein, um sie dazu zu bewegen,
       in Kriegsgebiete auszureisen und dort für den IS zu kämpfen. Die ersten
       Personen aus dem Umfeld des Vereins waren 2014 nach Syrien und in den Irak
       ausgereist.
       
       R. sagte, Abu Walaa habe eine fesselnde Stimme gehabt und gut aus dem Koran
       rezitieren können. Er sei Anfangs ab und an zu Besuch gewesen. Prediger wie
       Pierre Vogel seien damals wie Rapper gewesen. „Wenn man wollte, dass eine
       Moschee voll wird, hat man die eingeladen“, sagte R. vor Gericht. Abu Walaa
       ist Anfang 2021 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung,
       Terrorismusfinanzierung und Beihilfe zur Vorbereitung einer
       staatsgefährdenden Gewalttat zu einer [2][Haftstrafe von zehn Jahren und
       sechs Monaten verurteilt worden].
       
       Im Prozess merkte der Verteidiger an, dass die Behörde den
       Ausbürgerungsbescheid erlassen habe, ohne R. anzuhören. Vor Gericht galt es
       zu klären, ob R. bereits bei seiner Einbürgerung von den radikalen
       Tendenzen innerhalb der Moschee wusste. Ein Verfassungsschützer versuchte
       dies mit Aussagen aus mehreren Predigten des Jahres 2013 zu belegen.
       Muslime seien als fremd, isoliert und in der Gesellschaft unterdrückt
       dargestellt worden. Der IS habe als Vorbild gegolten, wie man sich in
       dieser Defensivposition wehren und zurückschlagen könne.
       
       Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Vorstand besuchte R. unregelmäßig die
       Moschee. Mittlerweile hatte er seine Hochschulreife nachgeholt und ein
       Studium in einer anderen Stadt begonnen.
       
       R. berichtete von einer Versammlung, bei der Abu Walaa aus der Moschee
       geworfen wurde. Er habe damals dafür gestimmt, Abu Walaa sei aber nach
       wenigen Wochen zurückgekehrt. R. versicherte: „Ich war nie und bin auch
       heute kein Anhänger des Salafismus.“ Er versuche heute, Moscheen komplett
       zu meiden, denn er habe Angst, wieder in eine radikale Moschee zu gehen.
       
       Ein Zeuge schilderte, es sei für ihn ein Schock gewesen, dass Ahmed R. als
       Unterstützer beschuldigt wird. Ab 2015 habe es in der Moschee viele
       Hasspredigten und -botschaften gegeben. Abu Walaas Strategie sei nicht von
       Anfang an offensiv gewesen. „Der hat erst mal versucht, Herzen zu
       gewinnen“, berichtete der Zeuge.
       
       ## Siebenstündige Verhandlung
       
       Mit der Abstimmung gegen Abu Walaa hätten die Beteiligten ihr Leben in
       Gefahr gebracht. Es habe sich eine Gruppe gebildet, die Abu Walaa nicht das
       Feld überlassen wollte und sich ihm wie eine Mauer entgegengestellte. Zu
       der Gruppe soll auch Ahmed R. gehört haben. „Wir wollten unseren Kindern
       den richtigen Islam vermitteln und dann kamen die aus dem Nichts und haben
       Unruhe gestiftet und all unsere Träume kaputt gemacht“, berichtete der
       Zeuge.
       
       Nachdem das Gericht die beiden Zeugen ausführlich befragt hatte, erklärte
       eine Vertreterin der Stadt Hildesheim, sie werde den Bescheid aufheben.
       Offenbar waren auch ihr erhebliche Zweifel an R.s angeblichen
       salafistischen Gesinnung gekommen.
       
       Nach der rund siebenstündigen Verhandlung war Ahmed R. sichtlich
       erleichtert, als die Richterin die Aufhebung des Bescheids in ihr
       Diktiergerät protokollierte. Er ließ seinen Kopf auf die Tischplatte sinken
       und fragte die Richterin: „Ist das jetzt vorbei?“ Die Richterin nickte ihm
       zustimmend zu.
       
       14 Jan 2022
       
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