# taz.de -- Arbeitszeitgesetz in Niedersachsen: Bitte mehr schuften
       
       > Niedersachsen verfügt, dass Beschäftigte der „kritischen Infrastruktur“
       > nun bis zu 60 Wochenstunden arbeiten können. Die Betroffenen sind
       > entsetzt.
       
 (IMG) Bild: Wie sagt man es ihnen am besten? Ministerpräsident Stephan Weil, hier im Juni 2021 im Klinikum Leer
       
       Lüneburg taz | Einfach länger arbeiten. So einfach stellt es sich das
       niedersächsische Gesundheitsministerium vor: Es hat [1][nun verfügt], dass
       Beschäftigte in „kritischen Infrastrukturen“, also vor allem in den
       Bereichen Gesundheit, Feuerwehr, Polizei und Grundnahrungsmittel, bis zu
       zwölf Stunden am Tag, 60 Stunden in der Woche, arbeiten können – und
       sollen, wenn durch [2][Corona-Infektionen] bedingte Personalausfälle eine
       längere Arbeitszeit erforderlich machen. Doch dagegen gibt es nun Kritik.
       
       Hans Martin Wollenberg, Landesvorsitzender der Ärztegewerkschaft Marburger
       Bund in Niedersachsen, beklagt: „Die Beschäftigten stehen seit bald zwei
       Jahren unter Dauerbelastung.“ Es brauche kurzfristig Unterstützung in der
       Krankenversorgung, um nicht noch mehr Personal zu verlieren.
       
       „Das ist ein Schlag ins Gesicht“, sagt die Oberärztin eines großen
       niedersächsischen Krankenhauses, die namentlich nicht genannt werden
       möchte. Seit zwölf Jahren arbeitet sie in Krankenhäusern, seit fünf Jahren
       ist sie durchgängig in der Notaufnahme tätig. „So eine Maßnahme kann nach
       zwei Jahren Pandemie nicht mehr als Prävention gesehen werden“, sagt sie.
       Im Kreis der Angestellten, Ärzt:innen wie Pflegekräfte, würden sie sich
       fragen, woher sie jetzt noch die Ressourcen für die Mehrbelastung nehmen
       sollen.
       
       „Man sagt uns: Erhöht jetzt noch eure Arbeitszeit, nachdem ihr euch zwei
       Jahre persönlich und beruflich verausgabt und gekämpft habt“, sagt sie.
       Auch nehme die Fehleranfälligkeit bei der Überschreitung der normalen
       Arbeitszeit deutlich zu.
       
       Auch der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe Nordwest (DBfK Nordwest)
       ist ungehalten, weist aber auch die realen Bedingungen hin: „Faktisch wird
       sich nicht viel ändern“, sagt Katharina von Croy, Sprecherin des DBfK
       Nordwest. „60-Stunden-Wochen waren vorher schon gängig.“ Durch Omikron
       könne diese Praxis nun schlicht flächendeckend stattfinden.
       
       ## Auch Sonntagsarbeit ist vorgesehen
       
       Und der Vorsitzende des DBfK Nordwest, Martin Dichter, beklagt derweil,
       dass Pflegepersonal zur „pandemischen Verfügungsmasse“ werde. Der Verband
       betont, dass familiäre und finanzielle Entschädigungen bisher nicht im
       Gespräch seien.
       
       Die neue Arbeitszeitregelung gilt zunächst bis zum 10. April. Eine ähnliche
       Maßnahme gab es zu Beginn der Coronapandemie, als die Krankenhäuser
       überlastet waren. Da inzwischen laut Landesgesundheitsamt mehr als 85
       Prozent der Coronafälle durch die Omikron-Variante zustande kommen,
       befürchtet das Gesundheitsministerium [3][„kritische Personalengpässe“] in
       diesen wichtigen Branchen.
       
       Auch Sonntagsarbeit ist vorgesehen. Die durchschnittliche wöchentliche
       Arbeitszeit soll sich jedoch nicht verändern, sodass die Mehrstunden später
       an anderer Stelle ausgeglichen werden müssen. Zudem bleibt die
       Arbeitszeitverteilung mitbestimmungspflichtig.
       
       Gesundheitsministerin Daniela Behrens von der SPD sagt: „Damit wollen wir
       Flexibilität auch in den Bereichen ermöglichen, wo unter Umständen viele
       Kolleginnen und Kollegen eine Zeitlang ausfallen.“ In einem Statement
       erklärt Oliver Grimm, Sprecher des Gesundheitsministeriums: „Die
       [4][Belastung der Beschäftigten] vor allem im Krankenhaus- und im
       Pflegebereich ist uns bewusst. Gleichzeitig gehört es aus unserer Sicht zu
       einem vorausschauenden Pandemiemanagement, diese Regelungen für den
       Ernstfall vorzusehen.“
       
       ## Löchrige Personaldecke
       
       Doch die Kritiker:innen können das kaum noch ernst nehmen: Sprecherin
       von Croy vom DBfK Nordwest betont, dass der jetzige Zustand systematisch
       herbeigeführt wurde: „Es werden nur Löcher gestopft.“ Die Oberärztin
       spricht davon, dass die Personaldecke mit einer heißen Nadel gestrickt sei.
       „Es ist alles kaputt gespart.“
       
       Auf Rückfragen, welche Maßnahmen getroffen würden, um die Beschäftigten zu
       entlasten und ob das Ministerium befürchte, dass noch mehr Angestellte aus
       dem Sektor aussteigen würden, antwortet das Gesundheitsministerium der taz
       nicht.
       
       „Wir brauchen eine vernünftige Personalausstattung, sodass solche Maßnahmen
       nicht nötig wären“, sagt von Croy. Die Oberärztin sieht hingegen nicht,
       „dass sich etwas bessert“. Zugleich mahnt der DBfK, dass Pflegefachpersonen
       in Niedersachsen unterdurchschnittlich vergütet würden, die SPD-geführte
       Landesregierung aber „bisher wenig zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen“
       beigetragen habe.
       
       14 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.ms.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/wegen-erwarteter-personalausfalle-durch-omikron-207527.html
 (DIR) [2] /Nachrichten-in-der-Coronakrise/!5828346
 (DIR) [3] /Omikron-Variante-gefaehrdet-Versorgung/!5821243
 (DIR) [4] /Diakonie-Chef-ueber-Pflege-und-Corona/!5823426
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hagen Gersie
       
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