# taz.de -- Corona-Tagebuch 2021: Wie ich zum Staatsbürger wurde
       
       > Seit Beginn der Pandemie führt unser Autor Tagebuch. Ausgewählte Einträge
       > zu Lockerungen im Lockdown und einem Brezendramolett.
       
 (IMG) Bild: Unterwegs zwischen Weimar und Nürnberg hielt unser Autor fest, was 2021 alles scheiterte
       
       Montag, 4. Januar 
       
       Silvester war so lala, habe nur acht Biere geschafft. Trotz
       Pyro-Verkaufsverbot gab es eine Knallerei in der Weimarer Nordvorstadt,
       aber nach 20 Minuten ging den Böllermännern die Munition aus. Hier werden
       heute wieder die [1][Unmaskierten für die Freiheit aufmarschieren] und die
       Polizei unseres feigen Innenministers wird darauf aufpassen, dass ihnen
       nichts passiert.
       
       Samstag, 20. Februar 
       
       Zehn Wochen Lockdown, leichte Abwärtstendenz. Ich muss mich mit
       Staatsbürgertum infiziert haben. Jedes Mal, wenn ich im Supermarkt einen
       sehe, der die Nase raushängen lässt, kriege ich die Wut.
       
       Samstag, 27. Februar 
       
       Die Infektionszahlen steigen wieder, jeden Tag sterben Hunderte von
       Menschen, doch die Dämme bröckeln. Die Verantwortlichen werden nervös,
       alles motzt, das letzte Vertrauen in die kopflosen Maßnahmen der Politik
       ist weg. Erst fehlten die Vakzine. Dann wurden mehr als 1,4 Millionen
       Impfdosen AstraZeneca nach Deutschland geliefert, aber nur rund 240.000
       verimpft.
       
       Dienstag, 16. März 
       
       Die CDU verliert die Wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg und
       zeigt sich plötzlich zerknirscht, weil ihre Abgeordneten mit
       Seuchenbückware gedealt haben oder auf der Payroll einer vorderasiatischen
       Bananenrepublik standen. Wie süß. Drei Drittel ihrer Wähler erwarten doch
       nichts anderes.
       
       Dienstag, 23. März 
       
       Der international beachtete deutsche Zickzackkurs bei der Coronabekämpfung
       ist in dieser Woche konsequent fortgesetzt worden. Beim Bund-Länder-Gipfel
       am Dienstag wurde ein harter Lockdown über Ostern beschlossen und am
       Mittwoch wieder abgeblasen. Für nächste Woche wird angestrebt, die
       ausgesetzte Aussetzung der Impfung mit AstraZeneca vorübergehend
       auszusetzen.
       
       Derweil hat die Gefangenenhilfsorganisation der Union viel zu tun. In den
       vergangenen zwei Jahren sind gegen 21 Politiker von CDU und CSU
       schwerwiegende Vorwürfe erhoben worden. Es geht um Aktienoptionen,
       Aufsichtsratsposten, Berateraffären, Briefkastenfirmen, Erpressung,
       Kungelei beim Hauskauf, Lobbyismus, [2][Millionendeals mit Masken],
       [3][Schmiergeld aus Aserbaidschan], Steuerhinterziehung, Vetternwirtschaft
       und Werbung im Amt.
       
       Die Delinquenten verbüßen ihre Bewährungsstrafen als EU-Kommissionschefin,
       Ministerpräsident, Bundesminister und Bundestags- oder Europaabgeordnete.
       Die ganz schweren Jungs müssen ihre Zeit im Bayerischen Landtag absitzen.
       
       Dienstag, 27. April 
       
       Ich habe vorgestern meine Erstimpfung erhalten, in einer Nürnberger Praxis,
       dauerte keine fünf Minuten. Rein, Test, Gespräch, Piks, fertig. Ich sollte
       noch eine Viertelstunde dableiben, um auszuschließen, dass mir ein drittes
       Ohr wächst. Ist nicht passiert, danach keine Beschwerden außer
       Pferdekussgefühl unterm Pflaster.
       
       Donnerstag, 3. Juni 
       
       Es ist wohl vorbei. Die dritte Coronawelle verebbt, die mühsam
       zusammengeschusterten Pandemieregeln werden hektisch außer Kraft gesetzt,
       fast überall kann man schon einkaufen, ohne dabei in der Nase bohren zu
       müssen. Bald dürfen wir Restaurants, Kinos und Theater besuchen und sogar
       hineingehen, wenn es regnet.
       
       Mittwoch, 7. Juni 
       
       Nürnberg Hauptbahnhof, Brezen Kolb 
       
       Mann mit Aktentasche: Ich kriege das Angebot, Butterbreze mit Kaffee.
       
       Brezenverkäuferin: Mechten Sie hier trinken oder tu go?
       
       Mann: Hier, wenn das jetzt geht?
       
       Verkäuferin: Nein, tut mir sehr leid, wegen Corona nur außer Haus.
       
       Mann: Was soll das? Warum fragen Sie dann?
       
       Verkäuferin: Hat Chef gesagt.
       
       Mann: Ihr Chef ist ein Idiot!
       
       Verkäuferin: Nein, ich Idiot. Arbeite ich für zehn Euro pro Stunde
       Scheißjob mit viele dumme Kunden.
       
       Mann: Meinen Sie mich damit?
       
       Verkäuferin: Nein, Sie nicht dumm. Sie Arschloch. 2,90 bittä.
       
       Mann: Das ist ja wohl die Höhe!
       
       Verkäuferin: Nein, 2,90 sehr billig für Kaffee und Breze, mein Härr. Sie
       vielleicht doch dumm.
       
       Kunde weiter hinten in der Schlange: Gehts do erchendwann amol waider?
       
       Verkäuferin: Tut mir leid, diese Mann hier dumm und Arschloch, vielleicht
       auch Idiot.
       
       Mann mit Aktentasche: Jetzt reicht’s aber!
       
       Er sieht sich um und winkt einen Polizisten herbei: Diese Frau hier hat
       mich mehrfach beleidigt! Ich möchte Anzeige erstatten!
       
       Polizist: Mooment. Erscht amol des: Wo hams denn Ihre Masken?
       
       Mann: Ach lecken Sie mich doch -
       
       Polizist: Pass amol auf, dou, des wörd etz deuer!
       
       Verkäuferin: Sag ich doch: Kunde dumm!
       
       Polizist: Können Sie sich ausweisen?
       
       Mann: Ich -
       
       Polizist: A ned? Dann kommers amol bidde mit.
       
       Mann: Aber -
       
       Verkäuferin: Der Nexte bittä.
       
       Nächster in der Schlange: Na endlich! Eine Emmentaler-Brezn.
       
       Verkäuferin: Für hier oder tu go?
       
       Donnerstag, 10. Juni 
       
       Impfung Nummer zwei, wieder keine Beschwerden.
       
       Juli bis September 
       
       Die Politik macht Sommerferien und nimmt danach den Wahlkampf auf.
       Inzwischen breitet sich die Seuche wieder aus.
       
       Sonntag, 26. September 
       
       Die CDU verliert die Bundestagswahl, die langweiligste Partei mit der am
       wenigsten peinlichen Witzfigur gewinnt sie, und die Seuche breitet sich
       weiter aus.
       
       Anfang Oktober 
       
       CDU, SPD, Grüne und FDP beschließen zu sondieren, mit wem über
       Sondierungsgespräche sondiert werden könnte, und die Seuche …
       
       Mitte Oktober bis 18. November 
       
       SPD, Grüne und FDP beschließen, miteinander zu sondieren, ob über einen
       Koalitionsvertrag verhandelt werden könnte, beschließen nebenher auf Wunsch
       einer einzelnen liberalen Partei, die epidemische Lage auslaufen zu lassen,
       während die Inzidenzwerte explodieren, die Todeszahlen wieder dreistellig
       werden, die Klimakonferenz scheitert und ein umherirrendes
       [4][Coronavirus] heimlich bei einer Freundin von mir einzieht. Irgendwann
       danach besuche ich sie, einen Tag später kann sie nichts mehr riechen und
       geht zum Arzt, heute, zwei Tage später, kommt die Nachricht, dass sie
       positiv ist, ich informiere erst meine Kontakte, lasse mich schnell
       (negativ) und PCR (mal sehen) testen und veranlasse dann alles Nötige für
       die Quarantäne: Ich bitte die vortrefflichen Genossen M. und F. J., mir
       eine Kiste Weißenoher Kloster Hell vorbeizubringen. Da schau her! Endlich
       mal einer, der sofort weiß, was zu tun ist!
       
       Freitag, 19. November 
       
       Heute bekomme ich das Testergebnis, haben sie gestern gesagt. Ab halb neun
       habe ich die Praxis zurückgerufen, 19-mal, dann war die Schwester in der
       Leitung: „Das Testergebnis ist noch nicht da. – Sobald wir das Ergebnis
       haben, rufen wir an. – Nein, erst am Montag, vielleicht. – Sie bleiben so
       lange zu Hause.“ (Tuut.)
       
       Montag, 22. November 
       
       Fünfter Tag in Quarantäne. Am Nachmittag der Befund: negativ. Ich hebe den
       Hausarrest auf und gehe einkaufen.
       
       Mittwoch, 24. November 
       
       Weil ich seit Mitte Oktober mehrfach erfolglos meine Nürnberger
       Hausarztpraxis um einen Booster-Termin bat, habe ich heute Morgen die
       Telefonnummer der Thüringer Kassenärztlichen Vereinigung gewählt. Um 8.15
       Uhr schon überlastet. Ich werde mir einen funktionierenden Hausarzt suchen
       müssen. Schwierig in einem Bundesland, in dem nichts funktioniert außer die
       Erfurter Filialen der kalabrischen ’Ndrangheta. Wie finde ich heraus, in
       welcher Pizzeria ich den Briefumschlag abgeben muss?
       
       Sonntag, 28. November 
       
       Erster Advent in Nürnberg, leise nieselt der Matsch, am Münchner Flughafen
       sind die ersten Omikron-Viren eingereist.
       
       Donnerstag, 2. Dezember 
       
       Ich nehme es auf mit der neuen Mutante und habe mir den dritten Stich
       abgeholt. Die Sieben-Tage-Inzidenz in Weimar ist erneut um fast 50 Punkte
       gestiegen auf 873, bis Nikolaus könnten wir unseren ersten Eintausender
       schaffen. In Österreich sind Entwurmungsmittel für Pferde ausverkauft.
       Warum nicht. Auch wer ein Zyankalizuckerl schluckt, wird auf keinen Fall an
       Corona sterben.
       
       Samstag, 4. Dezember 
       
       Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat „Wellenbrecher“ zum „Wort des
       Jahres“ erklärt. Favorit für den „Witz des Jahres“ ist: Der Bundestag hat
       das Auslaufen der epidemischen Lage beschlossen.
       
       Montag, 6. Dezember 
       
       Bergfest in Weimar, wir haben bei den Sieben-Tage-Inzidenzen wie
       versprochen zum Nikolaustag den Eintausender erklommen: 1.035! Der
       Bundestag hat in erster Lesung über eine Impfpflicht für Beschäftigte in
       Kliniken und Pflegeheimen ab März debattiert, damit die Helfer die
       freiwillig ungeimpften Kranken nicht anstecken, wenn sie sie an die
       Beatmungsmaschine anschließen. 527 Tote seit gestern, so viele wie seit
       Februar nicht mehr.
       
       Montag, 20. Dezember 
       
       Einen Lockdown noch vor Weihnachten wird es nicht geben. Geht nach dem
       Gutes-Pandemie-vorbei-Gesetz nicht mehr, merkt Karl Lauterbach leise an.
       Die Wettervorhersage: Heiligabend wird’s regnen wie sonst auch. Das ist
       wichtig, in der Krise braucht man Verlässlichkeit. Die Ergebnisse des
       gestrigen Bund-Länder-Gipfels: Für Genesene und Geimpfte bleibt fast alles
       offen außer Bars, Clubs, Kinos und Theater, erst nach Weihnachten soll es
       Kontaktbeschränkungen geben, die keiner kontrollieren kann. Die Länderchefs
       und der Neubundeskanzler machen keine halben Sachen mehr. Sie vierteln
       jetzt.
       
       14 Jan 2022
       
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