# taz.de -- Unterricht an Schulen in Katalonien: Politisch heikle Sprache
       
       > Sollen Kinder in Katalonien auf Spanisch oder Katalanisch unterrichtet
       > werden? Ein Gerichtsurteil erregt die katalanischen Gemüter.
       
 (IMG) Bild: Barcelona am 18.12.2021: Zehntausende fordern, Katalanisch als Unterrichtssprache zu behalten
       
       Madrid taz | „Ara i sempre, l’escola en català“ (Jetzt und immer, Schule
       auf Katalanisch) stand auf dem Transparent zu lesen, hinter dem am
       vergangenen Samstag Eltern und Kinder durch Barcelona marschierten. Rund
       35.000 waren dem Aufruf von „Som escola“ (Wir sind Schule) gefolgt.
       
       Der Grund für den Protestmarsch: Der Oberste Gerichtshof Spaniens hatte
       Ende November ein Urteil der katalanischen Justiz bestätigt, das festlegt,
       dass künftig 25 Prozent des Schulunterrichts in Katalonien auf Kastilisch –
       die Sprache, die allgemein als Spanisch bekannt ist – abgehalten werden
       müssen.
       
       Die Eltern, die jetzt auf die Straße gingen, sehen darin eine Gefahr für
       das bisherige Schulmodell. Und das ist einzigartig für Spanien: In
       Katalonien wird nämlich an den meisten Schulen, bis auf den
       Spanischunterricht als solchen, der gesamte Unterricht auf Katalanisch
       abgehalten. „Inmersión“ wird das Konzept genannt, sprachliches Eintauchen.
       
       Das fördere den Spracherwerb auch derer, die zu Hause Spanisch sprechen,
       und helfe der beruflichen Integration, lautet die Begründung. In der Region
       Katalonien, in der etwas mehr als 7 Millionen Menschen wohnen, nutzen laut
       einer offiziellen Umfrage 36,1 Prozent üblicherweise das Katalanisch, 48,6
       Prozent das Kastilisch und 7,4 Prozent beide Sprachen.
       
       ## Empörung in Katalonien
       
       Regionalregierungschef Pere Aragonès von der Republikanischen Linken
       Kataloniens (ERC) bezeichnete das Urteil des Gerichtshofs als Teil einer
       „Offensive des spanischen Nationalismus“ gegen Katalonien. Andere Redner
       forderten die katalanische Autonomieregierung auf, das Gerichtsurteil nicht
       zu befolgen. Ob die Regionalregierung die Vorgaben aus Madrid nun umsetzen
       möchte oder bei ihrem Unterrichtsmodell bleibt, ließ Aragonès bislang
       offen.
       
       Der Streit um die Sprache wird vor allem von der Rechten im restlichen
       Spanien geschürt. Im Jahr 2015 klagte der damalige spanische
       Bildungsminister aus den Reihen der konservativen Partido Popular (PP),
       Iñigo Méndez Vigo, vor der katalanischen Justiz für einen höheren Anteil an
       Spanisch an den Schulen in Katalonien. Diese Klage nahm ihren Weg durch die
       richterliche Instanzen, bis jetzt der Oberste Gerichtshof endgültig
       entschied. In jenen Jahren sprach die Regierung von der „Kastillianisierung
       Kataloniens“ und warf den Katalanen vor, die Sprache an den Schulen zu
       nutzen, um die Kinder zu indoktrinieren.
       
       Auch jetzt macht Spaniens Rechte erneut Politik mit dem Thema. PP-Chef
       Pablo Casado forderte die Linksregierung aus der sozialistischen PSOE und
       Unidas Podemos unter Pedro Sánchez in Madrid auf, zu intervenieren. Laut
       Verfassungsparagraf 155 kann Madrid die Regionalregierung des Amtes
       entheben, wenn sie gegen die staatliche Ordnung verstößt. In Katalonien
       weckt das böse Erinnerungen, [1][nach dem Unabhängigkeitsreferendum in
       Katalonien] im Oktober 2017 machte Madrid Gebrauch vom Artikel 155 und
       setzte die Regionalregierung ab.
       
       Der Konservative Casado fordert, dass die spanische Regierung nun die
       Kontrolle des katalanische Bildungssystem übernimmt. „Kann es toleriert
       werden, dass es Kinder gibt, die, weil sie in der Pause Spanisch sprechen,
       Steine in den Rucksack gelegt bekommen? Kann es toleriert werden, dass es
       Lehrer gibt, die Anweisung haben, Kinder nicht auf die Toilette gehen zu
       lassen, weil sie Spanisch sprechen?“, behauptete er etwa, ohne die schweren
       Vorwürfe belegen zu können. Der kleinere Koalitionspartner in der
       katalanischen Regierung, Junts x Cat (Gemeinsam für Katalonien) zeigte
       Casado jetzt wegen „Verleumdung“ und „Hassverbrechen“ an.
       
       ## Faktenlage eindeutig
       
       Nur wenige hundert Familien verlangten in den letzten Jahren tatsächlich
       mehr Kastilisch im Unterricht – und das bei rund einer Million Schüler und
       Schülerinnen in Katalonien. Die Sorge um die Mehrheitssprache, die
       Politiker in Madrid immer wieder als Argument gegen das aktuelle
       katalanische Schulsystem anführen, ist tatsächlich völlig unbegründet.
       
       Die Pisa-Studie zeigt, dass die Schüler und Schülerinnen in Katalonien bei
       ihren Spanischkenntnissen im Landesschnitt liegen. Im südspanischen
       Andalusien, wo es keine eigene Sprache gibt, schneiden die Kinder erheblich
       schlechter ab als in Katalonien, und die Hauptstadtregion Madrid ist nur um
       wenige Zehntel besser.
       
       „Katalanisch in der Schule ist ein Garant für soziale Integration und für
       viele Kinder und Jugendliche der einzige Ort, wo sie die Möglichkeit haben,
       normal Katalanisch zu lernen und zu leben und sich als Teil derselben
       Gesellschaft zu fühlen“, analysiert Elena Sintes, Projektchefin der
       Stiftung Jaume Bofill, die sich mit Bildung beschäftigt.
       
       „Untersuchungen belegen immer wieder, dass Katalanischkenntnisse von
       Vorteil auf dem Arbeitsmarkt sind“, sagt sie. Tatsächlich wurde das
       Programm des „Eintauchens“ nicht etwa von katalanischen Nationalisten,
       sondern von der katalanischen Linken erdacht, um Kinder von
       Arbeitsimmigranten zu integrieren.
       
       ## Katalanisch wird verdrängt
       
       „Nach den neuesten Daten scheint Spanisch in der Schule nicht in Gefahr zu
       sein“, sagt Sintes. Im Gegenteil, der Gebrauch von Katalanisch in den
       Klassenzimmern sei rückläufig. Laut einer Studie nutzen 28 Prozent der
       Schüler Katalanisch nie oder fast nie an der Schule. Auch im Klassenzimmer
       ist die Verwendung von Katalanisch stark zurückgegangen: Der Anteil derer,
       die bei Gruppenaktivitäten im Unterricht immer Katalanisch sprechen, ist
       von 68 Prozent im Jahr 2006 auf heute knapp über 21 Prozent gefallen.
       
       Im gleichen Zeitraum ging der Anteil der Lehrer und Lehrerinnen, die
       ausschließlich auf Katalanisch mit den Schülern reden von 63,7 auf 46,8
       Prozent zurück. „In 15 Jahren ist Katalanisch zu einer Minderheitssprache
       geworden“, stellt Sintes fest.
       
       Aufgeschreckt von dieser Untersuchung und vom Urteil des Obersten
       Gerichtshofs in Madrid, hat der katalanische Bildungsminister Josep
       Gonzàlez-Cambray in aller Eile einen Plan zur Förderung der katalanischen
       Sprache an den Schulen vorgelegt. 120.000 Lehrer sollen vor Ende 2022 eine
       „Schulung zum Umgang mit Katalanisch im Klassenzimmer“ absolvieren.
       
       „In den letzten Jahren wurde nicht genug getan. Das geben wir zu. Wir
       müssen handeln, um dies zu korrigieren“, erklärt Bildungsminister
       Gonzàlez-Cambray. Rechte Gruppierungen haben ihn mittlerweile angezeigt,
       weil er die 25-Prozent-Regelung des Obersten Gerichtshofs bisher nicht
       umgesetzt hat.
       
       23 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reiner Wandler
       
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