# taz.de -- Menschenverachtung in Belarus: Erzwungene Geständnisse
       
       > Die Erniedrigung von Inhaftierten geht weiter. Janka Belarus erzählt von
       > stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 110.
       
 (IMG) Bild: Die bekanntesten politischen Gefangenen in Belarus: Maxim Snak und Maria Kolesnikowa
       
       Beamten des Innenministeriums zwingen Inhaftierte dazu, vor laufender
       Kamera Erklärungen zu ihren Taten abzugeben. Anschließend werden diese
       Videos ins Netz gestellt und im Fernsehen gezeigt. An die Richtigkeit
       dieser „Aussagen“ glaubt allerdings niemand. Belarussen agieren in Bezug
       darauf vielmehr wie Internet-Trolle: [1][Sie machen sich ganz offen über
       diese Selbstbezichtigungen lustig.] Und aus den Videos werden virale
       Protest-Memes im Web.
       
       Am 27. Oktober wurde ein Video mit dem verhafteten Mitarbeiter der Firma
       Integral, Sergei Mironowy, veröffentlicht. Besondere Beachtung fand in den
       sozialen Netzwerken, dass der junge Mann im Film nicht deprimiert aussah,
       sondern munter und sogar fröhlich erzählte, dass streiken ein „mühsames
       Geschäft“ sei. Auf die Frage, welche Lektion er für sich selbst gelernt
       habe, antwortete er im Video: „Ich denke, man sollte mit dem Rauchen
       aufhören, womit ich mich in den kommenden 15 Tagen (das ist die Länge
       seiner Haftstrafe, Anm. d. Redaktion) befassen werde. Morgens sollte man
       eine halbe Stunden laufen, und zwar nicht nur so vor sich hin joggen,
       sondern voll Gas geben dabei.“
       
       Das Video mit ihm wurde berühmt, es wurde in den sozialen Netzwerken
       geteilt und es wurde sogar ein Sticker-Pack für Telegram damit gemacht.
       
       Der 65-jährige Ingenieur Anatoli Schelkowitsch wurde am 11. November
       festgenommen, sein „Buße-Video“ mit Originalgeständnis hat einen neuen
       online-Flashmob ausgelöst. Anatoli sagt in dem Video, dass seine Frau
       rothaarig sei und dass er gerne Tomaten mit Sauerrahm esse. [2][Das ist
       eine Kombination aus weiß und rot (die Farben der belarussischen
       Opposition; Anm. der Redaktion).]
       
       Am gleichen Abend explodierten die sozialen Medien vor lauter geposteten
       Bildern: „Heute Abend gab es bei mir Tomatensalat mit Sauerrahm“. An den
       Gemüseregalen der Geschäfte lächelten sich verständige Menschen gegenseitig
       zu, wenn sie an diesem Tag ausgerechnet Tomaten kauften.
       
       Menschenrechtler haben herausgefunden, dass Schelkowitsch zu 15 Tagen Haft
       verurteilt wurde. Nach welchem Artikel er verurteilt wurde, ist bislang
       nicht bekannt. Aus dem belarussischen Innenministerium verlautet, dass „der
       Ingenieur des hauptstädtischen Unternehmens im Keller seines Hause die
       Herstellung von Protestsymbolik organisiert“ habe. Die dort hergestellten
       Flaggen habe der Mann „in die Bäume geworfen“.
       
       Ähnliche Videos wurden auch als Werbung auf YouTube gepostet, was bedeutet,
       dass die Belarussen faktisch gezwungen sind sie anzusehen, völlig
       unabhängig davon, ob sie auf der Suche nach Musik oder Videos waren.
       
       Wie hat Google darauf reagiert? Das Unternehmen hat die Konten und
       YouTube-Kanäle des Untersuchungskomitees der Republik Belarus gesperrt, und
       die fast aller anderen Firmen und Einrichtungen, die auf der gemeinsamen
       Sanktionsliste der USA und Großbritannien stehen. [3][Aber auch das stoppt
       nicht das derzeitige, menschenverachtende Tun der belarussischen Miliz.]
       
       Am Morgen des 10. November gab es bei Sergei Beljaew aus der Stadt Bobruisk
       eine Hausdurchsuchung. Nach Aussagen seiner Angehörigen wurde dabei nach
       Beweisen gesucht, die den Vorwurf der Beleidigungen eines Mitarbeiters des
       Innenministeriums bestätigen.
       
       Sergei leidet an Parkinson, er lebt mit einem implantierten
       Neurostimulator. Auf der Wache schlug einer der Milizionäre Sergei völlig
       grundlos auf den Kopf. Selbst abrupte Bewegungen sind bei einer solchen
       Krankheitsdiagnose, wie Sergei sie hat, schon kontraindiziert. Wenn der
       Stimulator aus dem Takt gerät, ist das eine Bedrohung für die Gesundheit
       und das Leben des Menschen.
       
       Am 16. November wurde Sergei zu einer Administrativstrafe von 10 Tagen
       verurteilt. Er war davon überzeugt gewesen, dass er statt der Haftstrafe
       eine Geldstrafe erhielte, und war deshalb nicht auf den Gefängnisaufenthalt
       vorbereitet. Angehörige bemerkten, dass er sich nur schlecht bewegen könne.
       Der Akku des Neurostimulator hat eine Ladekapazität von mehreren Tagen.
       Wenn er danach aber nicht wieder neu geladen wird, kann das für Sergei sehr
       schlimm enden.
       
       „Es ist sehr wahrscheinlich, dass Sergei einfach stirbt, wenn der
       Neurostimulator nicht neu geladen werden kann. Außerdem haben sie ihn
       geschlagen. Eine Zeit lang hat er nicht mal diejenigen Menschen erkannt,
       die er kennt“, sagten Beljaews Angehörige.
       
       Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey]
       
       4 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Solidaritaet-in-Belarus/!5768038
 (DIR) [2] /Politische-Willkuer-in-Belarus/!5748145
 (DIR) [3] /Migrationskrise-in-Belarus/!5758666
 (DIR) [4] /Gaby-Coldewey/!a23976/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Janka Belarus
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kolumne Notizen aus Belarus
 (DIR) Belarus
 (DIR) Schwerpunkt Krisenherd Belarus
 (DIR) Weißrussland
 (DIR) Protest
 (DIR) Youtube
 (DIR) Opposition
 (DIR) Belarus
 (DIR) Alexander Lukaschenko
 (DIR) Belarus
 (DIR) Schwerpunkt Krisenherd Belarus
 (DIR) Belarus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Regisseurin über Belarus: „Das Regime kann sie nicht brechen“
       
       In Belarus sind nicht erst seit 2020 Tausende in Haft, darunter viele
       Frauen. Ein Film und Buch von Cordelia Dvorák stellen einige von ihnen vor.
       
 (DIR) Einfuhrstopp für Nahrungsmittel: Lukaschenkos lächerlicher Erlass
       
       Der Importstopp ist eine billige Retourkutsche des Machthabers. Sein
       Vorbild sitzt in Moskau.
       
 (DIR) Pressefreiheit in Belarus: Bürokratische Unterdrückung
       
       Der belarussische Machthaber Lukaschenko geht immer härter gegen
       Journalist:innen vor – mit Gewalt und Gesetzen.
       
 (DIR) Die EU und Belarus: Sanktionen, da wo es wehtut
       
       Die Sanktionen der EU ziehen nicht. Tatsächlich wächst das bilaterale
       Handelsvolumen mit Belarus. Gezielte Sanktionen gegen Lukaschenko müssen
       her.
       
 (DIR) Belarus und EU-Außengrenze: An die Grenze gedrängt
       
       Laut Polen werden Geflüchtete von Belarus bewusst an die Grenze gebracht.
       So soll die Lage pünktlich zur EU-Debatte eskalieren.