# taz.de -- Auf Coronakontrolle in Sachsen: Erbarmen im Edeka
       
       > In Sachsen werden die Querdenker immer aggressiver. Was macht das mit
       > denen, die Coronaregeln kontrollieren? Unterwegs mit einem Team in Pirna.
       
 (IMG) Bild: Kontrolle, Kontrolle, das ist gar nicht mal so aufregend
       
       Pirna taz | Was trinkt ihr da?“, fragt eine Mitarbeiterin des Ordnungsamts
       drei Teenager, die dick angezogen in einer kleinen Parkanlage in Pirna auf
       einer Bank sitzen. „Bier“, antwortet ein Junge. Er ist groß und kräftig,
       seine Wangen sind von der Kälte gerötet, er trägt eine schwarze Kappe und
       eine Hose mit Camouflage-Muster. Heute sei sein 18. Geburtstag, erzählt er,
       er wolle darauf mit seiner Freundin und seinem Kumpel anstoßen.
       
       „Der Konsum von Alkohol in der Öffentlichkeit ist in Sachsen seit dem 12.
       November verboten“, erklärt ihnen freundlich die Beamtin, die selbst erst
       21 Jahre alt ist und ihren Namen aus Angst vor Anfeindungen nicht nennen
       möchte. Sie führt an diesem Dezemberabend Coronakontrollen im sächsischen
       Pirna durch, dabei wird sie von einem Kollegen, zwei Polizisten, der
       taz-Reporterin und [1][einem Kamerateam von Spiegel TV] begleitet.
       
       „Echt jetzt? Das wusste ich nicht“, sagt der Junge. Die anderen beiden
       stimmen ihm zu. Dabei wirken sie so überrascht, dass man ihnen wirklich
       glaubt. „Wo dürfen wir denn noch Alkohol trinken?“, fragt der Junge mit den
       roten Wangen. Dabei klingt er weder schnippisch noch wütend. „Zu Hause“,
       antwortet die Beamtin und nimmt die Personalien der Jugendlichen auf.
       
       Die drei werden Post vom Landratsamt Sächsische Schweiz-Osterzgebirge
       bekommen und höchstwahrscheinlich ein Bußgeld in Höhe von 150 Euro zahlen
       müssen. „Dafür geht mein ganzes Geburtstagsgeld drauf“, sagt der Junge
       bedröppelt. Doch weder er noch die anderen versuchen, mit dem Ordnungsamt
       zu diskutieren. Sie nehmen die Strafe einfach hin.
       
       ## Beschimpft als Merkel-Schergen
       
       Kontrollen wie diese führt die Beamtin jeden Tag acht Stunden lang durch –
       seit dem 9. November. Da hatte die schwarz-rot-grüne Landesregierung gerade
       die 2G-Regel für Kinos, Kneipen, Cafés und Museen eingeführt und härtere
       Kontrollen der Coronaregeln verordnet. Seitdem sind pro Landkreis und
       kreisfreier Stadt jeden Tag mindestens drei Kontrollteams im Einsatz und
       überprüfen, ob die Maßnahmen eingehalten werden. Im Landkreis Sächsische
       Schweiz-Osterzgebirge – einer der von der Pandemie am meisten betroffenen
       Landkreise Deutschlands – sind es derzeit zehn Teams.
       
       In keinem Bundesland [2][sind die Proteste gegen die Coronaregeln so massiv
       wie in Sachsen.] Seit Wochen gehen dort Querdenker*innen auf die
       Straße, teils zu Hunderten. Bei den Demos werden immer wieder
       Polizist*innen und Reporter*innen angegriffen. Anfang Dezember
       protestierten 30 Impfgegner*innen mit Fackeln vor dem Haus der
       sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD), [3][gegen den
       Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) wurden Mordpläne bekannt.] Wie
       geht es den Menschen, die die Coronamaßnahmen in diesem Land täglich
       durchsetzen müssen?
       
       Nicht immer verliefen die Kontrollen so friedlich wie mit den drei
       Jugendlichen im Park, erzählt die Ordnungsamt-Mitarbeiterin. Manchmal werde
       sie auch beleidigt. „Ein Mann hat mich zum Beispiel mal als Merkel-Scherge
       beschimpft. Er war vermutlich ein Reichsbürger“, sagt die Beamtin. Von
       weiteren Situationen möchte sie jedoch nicht erzählen. „Solche
       Schimpfwörter will ich nicht wiederholen.“ Angespuckt oder angegriffen
       wurde die Frau „Gott sei Dank“ noch nicht.
       
       Wie fühlt es sich an, den Frust von Impfgegner*innen und Querdenkern
       abzukriegen? „Ich habe ein dickes Fell bekommen“, sagt die Beamtin. Ihr
       Kollege, der seinen Namen auch nicht nennen möchte, fügt hinzu: „Die
       Beleidigungen sind ja nicht persönlich gemeint, es geht nicht um uns als
       Person, sondern um unsere Uniform.“ Angst vor Übergriffen hätten die beiden
       Beamt*innen aber keine, sie würden ja immer von der Polizei begleitet.
       „Die Montur der Polizist*innen schreckt die Leute ab, dadurch trauen
       sie sich weniger“, sagt die Frau.
       
       Dass die Präsenz der Polizei nicht immer vor Übergriffen schützt, zeigt ein
       Vorfall in Bad Schandau, einer Kleinstadt in der sächsischen Schweiz. Mitte
       November ist hier eine Coronakontrolle eskaliert – trotz Polizeibegleitung.
       Das Kontrollteam wurde auf dem Marktplatz von etwa 20 Personen umringt;
       einer Polizistin wurde ins Knie getreten, ihr Kollege wurde von einer
       Flasche getroffen. „Dies ist bisher ein Einzelfall“, sagt ein Sprecher des
       sächsischen Innenministeriums der taz. Weite Teile der sächsischen
       Bevölkerung reagierten positiv auf die Coronakontrollen und hielten sich an
       die Schutzmaßnahmen.
       
       Nach Angaben des sächsischen Innenministeriums haben das Ordnungsamt und
       die Polizei seit Mitte November 2.688 mündliche Verwarnungen ausgesprochen
       und 1.950 Bußgeldverfahren eingeleitet.
       
       Die beiden Mitarbeiter*innen des Ordnungsamts in Pirna stellten „nur
       sehr selten“ Regelverstöße fest. Das habe auch mit ihrer Uniform zu tun.
       Würden sie in Zivilkleidung Kontrollen durchführen, sagt die Beamtin,
       würden sie viel mehr Verstöße ahnden. „Wenn wir durch einen Supermarkt
       laufen und die Leute sehen uns von Weitem, dann ziehen sie automatisch ihre
       Maske über die Nase.“
       
       Bei der Kontrolle in einem Pirnaer Edeka an diesem Abend ist das anders.
       Hier tragen einige Kund*innen die Maske falsch. Die Kontrolleur*innen
       sind aber nachsichtiger als bei den Jugendlichen im Park. Ein bisschen
       wirkt es so, als wolle die Beamtin die Verstöße gar nicht sehen. Dreimal
       weist die Reporterin der taz sie auf Menschen hin, die ihre Maske unter der
       Nase tragen.
       
       ## Zaghafte Kontrollen
       
       Und als die Beamtin diese Personen dann anspricht, fragt sie freundlich,
       fast schüchtern, ob sie ihre Maske bitte bis über die Nase ziehen könnten –
       als ob das Tragen einer Maske in Geschäften keine bundesweite Regel zur
       Eindämmung einer tödlichen Pandemie wäre, sondern eine freiwillige Maßnahme
       gegen Mundgeruch.
       
       Ohne Widerrede ziehen die Kund*innen ihre Maske hoch, doch bei einer Frau
       um die vierzig, die gerade vor den Backwaren steht und mit einer Zange
       Weizenbrötchen in eine Tüte packt, sitzt die Maske wenige Sekunden später
       wieder unter der Nase. Die Beamtin aber geht nicht noch mal auf die Frau
       zu. Warum nicht? „Das würde nichts bringen. Ich bin schon froh, wenn die
       Leute überhaupt eine Maske tragen.“
       
       Wieso würde das nichts bringen? Eine Geldstrafe könnte doch vielleicht
       nachhaltig wirken? „Für das inkorrekte Tragen einer Maske gibt es keine
       Geldstrafe. Im Bußgeldkatalog ist nur das Nichttragen aufgelistet“, sagt
       die Beamtin und fügt hinzu, dass sie ja auch nicht im Auftrag der
       Bußgeldstelle unterwegs sei. Außerdem habe sie Verständnis dafür, wenn die
       Maske bei Brillenträger*innen unter die Nase rutsche oder Leute die
       Maske herunterzögen, weil sie beim Einkaufen schlecht Luft bekämen.
       
       Der Rest der Kontrolle verläuft ebenso zaghaft wie im Edeka. Als das
       Kontrollteam in einem Bekleidungsgeschäft stichprobenartig 2G-Nachweise
       überprüft, fühlt sich die Ordnungsamt-Mitarbeiterin sichtlich unwohl. Sie
       ist sich unsicher, wen sie ansprechen soll. Es sei ihr unangenehm, einzelne
       Personen auszuwählen und sie nach ihrem Impfausweis zu fragen, sagt sie.
       „Dadurch gebe ich ihnen ja das Gefühl, dass ich sie verdächtige.“
       
       ## Kontrolle ohne Polizei? „Das wäre Selbstmord“
       
       Alle Menschen, die die Beamt*innen an diesem Abend noch in einer
       Buchhandlung und in einer Gaststätte kontrollieren, reagieren freundlich,
       alle sind geimpft und zeigen Impfnachweis und Ausweis vor.
       
       Das Spiegel-TV-Team, das die Kontrolle mit der Kamera begleitet, wird
       allmählich unruhig. Für ihren Beitrag will es natürlich aufregendere
       Szenen. Ob das Kontrollteam nicht noch irgendwo hingehen könne, wo die
       Wahrscheinlichkeit höher sei, Regelbrecher*innen anzutreffen, fragt
       die Redakteurin. Der Ordnungsamt-Mitarbeiter schlägt eine Dönerbude nahe
       des Bahnhofs vor, das Spiegel-TV-Team nickt.
       
       Zu Situationen wie dieser, in denen sich das Kontrollteam an den Wünschen
       der TV-Leute orientiert, kommt es an diesem Abend häufig. Spiegel TV will
       lieber in kleine eigentümergeführte Läden statt in Filialen großer Ketten,
       um weniger Umstände mit Drehgenehmigungen und dem Hausrecht zu haben.
       
       Mehrmals müssen die Beamt*innen dieselben Fragen beantworten – mal beim
       Durchstreifen der weihnachtlich beleuchteten Innenstadt, mal im Park. Immer
       wieder bittet das Kamerateam sie darum, noch mal hier oder dort entlang zu
       laufen – und die Reporterin der taz, aus dem Bild zu verschwinden. Für die
       Aufnahmen geht viel Zeit verloren, in der die Beamt*innen hätten
       Kontrollen durchführen können.
       
       An der Dönerbude angekommen, muss das Kamerateam feststellen, dass sich
       kein einziger Kunde darin befindet. Nun schlägt der Mitarbeiter vom
       Ordnungsamt vor, zum Bahnhof zu gehen und dort 3G-Kontrollen in den Bussen
       durchzuführen, auch hier gebe es manchmal Querschläger*innen.
       
       Doch noch bevor die Truppe den Bahnhof erreicht, bekommen die Polizisten
       einen Anruf. Sie müssen sofort nach Dresden aufbrechen, wegen einer
       spontanen Querdenker-Demo. Für die Ordnungsamt-Mitarbeiter*innen
       bedeutet dies das Ende der Coronakontrolle. „Fahrgäste ohne die Polizei zu
       kontrollieren, das wäre Selbstmord“, sagt die Beamtin und ergänzt kurze
       Zeit später, dass das natürlich überspitzt formuliert sei. „Aber an einem
       Freitagabend, wo manche vielleicht schon Alkohol getrunken haben, wären
       Kontrollen einfach zu gefährlich ohne Polizei.“
       
       16 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
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