# taz.de -- Bewegung in Berlin: Einfach mal traurig sein
       
       > Bevor am Sonntag ein Trauermarsch durch das verdrängungsgeplagte Berlin
       > führt, muss am Samstag noch ein Querdenkermarsch verhindert werden.
       
 (IMG) Bild: Glas, Beton & Rendite: So sieht die neoliberale Vorstellung von Lebensqualität aus
       
       Es ist zum Heulen – ein neuer Lockdown scheint aufgrund der Untätigkeit der
       Politik unvermeidbar, derweil stehen schon neue, noch
       verbreitungsfreudigerere Mutanten in den Startlöchern. Doch auch wenn die
       nie enden wollende Pandemie in aller Regelmäßigkeit das öffentliche Leben
       lahmlegt, läuft die kapitalistische Verwertungsmaschinerie unbeeindruckt
       weiter.
       
       Eine schmerzliche Erfahrung, die wir in den letzten Monaten viel zu oft
       machen mussten. [1][Liebig34], [2][Syndikat], [3][Meuterei], [4][Potse,
       Drugstore], [5][Köpiwagenplatz] – die Liste linker Projekte, die allein
       seit Pandemiebeginn dem anlagesuchenden Kapital weichen mussten, ist lang.
       
       Doch nicht nur linke Projekte werden verdrängt, sondern eigentlich alles,
       was den Investor:innen nicht genügend Rendite verspricht. Ob es nun
       günstige Mietwohnungen, Wagenplätze oder Obdachlosencamps sind – zu viele
       Menschen mussten ihr Zuhause verlieren, nur damit eine Handvoll
       Krawattenträger:innen ihr angehäuftes Vermögen in Form von Beton in
       unseren Kiezen parken kann.
       
       Zurück bleibt eine Schneise von sterilen Eigentumswohnungen,
       Co-Working-Spaces und sinnlosen Touristenattraktionen, die leider nur wenig
       mit den Bedürfnissen der Stadtbewohner:innen zu tun haben (looking at
       you, [6][Coral World!]).
       
       Um verdrängter Projekte und Nachbar:innen zu gedenken, veranstalten
       [7][die Kunst-Aktivist:innen von Lauratibor] am Sonntag einen Trauerzug
       durch Friedrichshain zur Rummelsburger Bucht, wo in jüngster Vergangenheit
       besonders viele Projekte und Menschen verdrängt wurden. „Wie die Wut kann
       auch die Trauer Menschen verbinden. Gemeinsam zu trauern kann neue Kraft
       geben!“ heißt es in dem Aufruf. (Sonntag, 05. 12. 2021, 12 Uhr, Warschauer
       Brücke (Nordseite))
       
       Der Trauermarsch kommt insofern gelegen, um auch noch mal den jüngsten
       Frust über den Ampel-Koalitionsvertrag zu verarbeiten. Denn der hat für
       Mieter:innen, die gerne in ihren Wohnungen bleiben wollen, erstaunlich
       wenig zu bieten.
       
       Wie viel Erleichterung könnte ein bundesweiter, rechtssicherer Mietendeckel
       Menschen bringen, die ohnehin schon einen Großteil ihres Einkommens für die
       Miete berappen? Wie viele Kneipen und Geschäfte könnten mit einem
       vernünftigen Gewerbemietrecht gerettet werden? Geht es nach dem
       Koalitionsvertrag, lassen die Antworten wohl noch mindestens vier weitere
       Jahre auf sich warten (an dieser Stelle nochmal ein herzliches [8][Danke
       für Nichts, Ampel]).
       
       Für verdrängungsbedrohte Mieter:innen ist es also umso wichtiger, sich
       mit bestehenden Regelungen auszukennen. Zum Glück gibt es kompetente Hilfe
       nicht nur bei kostenpflichtigen Mietervereinen und Anwälten, sondern auch
       viele Nachbarschaftsinitiativen bieten kostenlose Mieterberatungen an.
       
       So zum Beispiel jeden zweiten und vierten Montag im [9][Kiezladen Allee154]
       in der Sonnenallee. Ansonsten bietet auch die Kungerkiezinitiative jeden
       Mittwoch eine [10][Mietrechtsberatung] an (1. 12. 2021, 17-19 Uhr,
       Karl-Kunger-Straße 15, 12435 Berlin).
       
       Um thematisch beim Trauern zu bleiben: Ebenfalls richtig traurig ist der
       Gedanke, dass der Winter pandemiemäßig total entspannt verlaufen könnte,
       wenn sich nicht ein kleiner, aber umso vernunftresistenterer Teil der
       Bevölkerung nach wie vor dagegen wehren würde, sich endlich impfen zu
       lassen.
       
       Wäre die passive Verweigerung nicht schon folgenreich genug, verspüren
       viele Impfgegner:innen den Drang, den verschwörungsideologischen
       Überbau ihrer Nadelphobie in die Welt zu posaunen.
       
       Nachdem die „Querdenker“-Bewegung in Berlin deutlich an Zulauf verloren
       hat, mobilisiert sie, am Samstag unter dem bescheidenen Motto „Unspaltbar:
       Großdemo der Demokratiebewegung“ durch Kreuzberg zu laufen.
       
       Auch wenn sich die Initiator:innen selbst als „Linke“ (Freie Linke)
       beziehungsweise aus der Berliner Feierszene (Freedom Parade) kommend
       bezeichnen, haben sie in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass sie
       rechtsextreme Akteure wie Reichsbürger:innen auf ihren Demos nicht nur
       tolerieren, sondern gleich mit offenen Armen empfangen. Auch für Samstag
       besteht daher die Gefahr, dass Neonazis den Protest nutzen werden, um durch
       Kreuzberg zu ziehen – auch wenn die Demo verboten werden sollte.
       
       Um das zu verhindern, sind bereits Gegenproteste angekündigt, darunter auch
       ein [11][antifaschistischer Fahrradkorso ] (Samstag, 4. 12. 2021, 12 Uhr,
       Rosa-Luxemburg-Platz).
       
       Denn was hilft besser gegen die Trauer als frische Luft, eine tolle
       Bezugsgruppe und etwas antifaschistisches Engagement.
       
       30 Nov 2021
       
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