# taz.de -- Die Wahrheit: Kantig, klobig, ungemütlich
       
       > Raus aus der Komfortzone: Das werden die ersten Modetrends des
       > anstehenden Jahres 2022 – von Schuhen bis Hüten…
       
 (IMG) Bild: Kopfbedeckung mit Durchblick – wichtig für ein weiteres unübersichtliches Jahr mit Pandemie
       
       Der Trend zur Inhouse-Bekleidung wird auch im nächsten Jahr nicht abreißen.
       Bademäntel in allen Farben und Formen, Jogginganzüge in verschwenderischer
       Pracht und die wunderbare Welt der Shirt-Kleider feiern wie schon im
       Vorjahr ihr erneut faszinierendes Comeback. Wurde in den vergangenen Jahren
       allerdings das Hauptaugenmerk auf Bequemlichkeit und Couchtauglichkeit
       gelegt, darf es in der kommenden Saison ruhig etwas unkomfortabler sein.
       
       Von ihren Klamotten gehörig gelangweilte Kunden der höheren
       Einkommensklassen akzeptieren jetzt frei nach dem Motto „Raus aus der
       Komfortzone!“ durchaus Hausanzüge aus steifem Leinen, Pyjamas aus kratziger
       Schurwolle und Kapuzenpullis aus schwerem Loden mit unerträglich kantigen
       Innennähten. Die in ihnen angelegte konstante Unbehaglichkeit sorgt auch
       für den bei Supermodels seit Jahren überaus beliebten mauligen
       Gesichtsausdruck, der nun in den heimischen vier Wänden ebenfalls dauerhaft
       zu haben ist. Wer modisch ganz vorne sein will, kauft überdies zwei Nummern
       zu klein, damit es überall schön zwickt und zwackt.
       
       Problematisch für die Branche allerdings: Die beliebtesten Kleidungsstücke
       für den Zuhause-Gebrauch sind in den preisbewussteren Haushalten bereits
       dutzendfach vorhanden und werden in der Regel so lange getragen, bis sie
       endgültig fadenscheinig sind. Dann reißen sie eines Tages überraschend, was
       wohl jede und jeder im vergangenen Jahr schon erlebt hat, können aber
       gleich aus eigenen Beständen ersetzt werden. Es bedarf gehöriger
       Werbeanstrengungen, bis die Konsumenten ihre heißgeliebten alten und
       ausgeleierten Strickjacken für teures Geld gegen vorgealterte Longcardigans
       hergegeben haben. Da ein wichtiges Argument gegen Neuanschaffungen auf
       Kundenseite stets „der gemütliche Geruch“ der eingetragenen antiken
       Kleidungsstücke ist, arbeitet die Industrie derzeit an Aromastoffen, die
       diesen perfekt simulieren können.
       
       In der Schuhmode der Damen ist die Richtung ebenfalls klar: schwer muss sie
       sein und dadurch unbequem. Je voluminöser und klobiger die Fußbekleidung,
       desto besser. Pumps, Ballerinas und Pantöffelchen dürfen ruhig wie fette
       Kampfstiefel aussehen und die ohnehin zuletzt wieder recht beliebten Dr.
       Martens buchstäblich in den Schatten stellen. Fette Kampfstiefel werden
       wiederum so riesig, dass sich weiblich gelesene Menschen darin komplett
       verstecken können, sogar im Kampfanzug und mit Waffen.
       
       ## Groteske Plateausohlen
       
       In der Konsequenz werden Turnschuhe wie vor rund 25 Jahren mit grotesken
       Plateausohlen wieder Turmschuhe, von denen aus die Frauen den männlichen
       Passanten unten auf den Trottoirs zuwinken. Doch der Trend geht beileibe
       nicht nur in die Höhe: Seitliche Anbauten lassen Sneaker-Sohlen zu Objekten
       in der Form von Badewannen für Reiche mutieren. Gewöhnliche Blockabsätze
       wuchern derweil zu Häuserblockabsätzen, sodass in gewissen Szenevierteln
       aus Platzmangel bereits über Zugangsbeschränkungen diskutiert wird.
       
       Hintergrund zu diesem Trend ist die wachsende Verhärtung und
       Militarisierung unserer Gesellschaft, in der vor allem Frauen mit ihrer
       Schuhwahl nicht nur gutes Beinmuskeltraining und deutliche
       Verteidigungsbereitschaft demonstrieren, sondern sogar ausgesprochene
       Angriffslust. In der Schuhmode der Herren gibt es ebenfalls nur eine
       wichtige Strömung: Teuer muss es aussehen. Rahmengenähte Hausschuhe,
       aufwendig vorgealterte Gummistiefel und Sneakers aus purem Gold stehen
       beispielhaft für diese Entwicklung.
       
       Was die Kopfbedeckungen des ersten Quartals angeht, kristallisieren sich
       zwei wichtige Moden heraus. Die eine: Menschen mit üppigem Haupthaar
       bedecken ihren Kopf eben damit und greifen nur im Notfall (extreme
       Minustemperaturen) zu der einen alten Woll- oder Pudelmütze, die sie noch
       hinten im Schrank liegen haben, um sich Ohren und Kopfhaut nicht
       abzufrieren.
       
       ## Kombinierte Kopfbedeckungen
       
       Die anderen, in der Hauptsache Männer, teilen sich wiederum in diejenigen,
       die einfach auf ihre alte Basecap nicht verzichten mögen, um auf
       vergebliche Art jugendlich zu wirken, gleich welchen Alters sie sind, und
       in diejenigen, die mit Angler-, Stroh- oder Cowboyhüten, Pelz- und
       Schiebermützen, Truckercaps und Fedoras ihre ausgewiesene Individualität
       betonen, am besten auch in Innenräumen, und dafür unseren Applaus
       verdienen. Die Kopfbedeckungen werden in dieser Saison übrigens gern mit
       Handschuhen und Schals kombiniert, die in Stil und Farbe möglichst
       unpassend sind, um es „casual“ und extralässig aussehen zu lassen.
       
       In der Hosenmode kündigt sich zudem das Verschwinden der Skinny Jeans und
       die Rückkehr der Schlaghose an. Damit würde eine völlig andere Art von
       menschlicher Silhouette die westliche Welt beherrschen als die letzten 20
       Jahre über. Allerdings wurde dies in den vergangenen Jahren immer wieder
       behauptet und scheiterte letztlich daran, dass der Handel ungern seine
       Lagerbestände in die Altkleidersammlung gibt – und der Konsument den Inhalt
       seiner Kleiderschränke derzeit auch nicht.
       
       28 Dec 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mark-Stefan Tietze
       
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