# taz.de -- Präsidentenposten von Interpol: Kandidat unter Foltervorwurf
       
       > Ahmed Nasser Al-Raisi hat gute Chancen, Ende November Präsident von
       > Interpol zu werden. Dabei sind gegen den Emirati mehrere Folterklagen
       > anhängig.
       
 (IMG) Bild: Bald Interpolpräsident mit Folterervergangenheit? Ahmed Nasser Al-Raisi
       
       Berlin taz | Ein Polizeipräsident, den die Polizei festnehmen will: Das ist
       das kuriose Szenario, das im Fall der größten internationalen
       Polizeiorganisation Wirklichkeit werden könnte. Interpol bekommt einen
       neuen Präsidenten – und beworben hat sich ausgerechnet ein Vertreter der
       emiratischen Regierung, gegen den wegen Foltervorwürfen Klagen in mehreren
       Ländern anhängig sind.
       
       Läuft es nach seinem Willen, wird die Interpol-Generalversammlung auf ihrem
       geplanten Treffen in Istanbul vom 23. bis 25. November Ahmed Nasser
       Al-Raisi wählen. Neben den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) hat mit
       Tschechien bislang nur ein weiteres Mitgliedsland eine Kandidatin
       aufgestellt, wie Interpol der taz am Mittwoch mitteilte.
       
       Generalmajor Al-Raisi wäre der erste Vertreter einer arabischen Autokratie
       auf dem Präsidentenposten der zwischenstaatlichen Polizeiorganisation, die
       sich zum Ziel setzt, die nationalen Kriminalpolizeibehörden der Welt
       miteinander zu vernetzen. [1][Laut eigener Satzung] fühlt sie sich dabei
       dem „Geist der UN-Menschenrechtscharta“ verpflichtet.
       
       Al-Raisi und Menschenrechte, das ist allerdings so eine Sache:
       Menschenrechtsorganisationen machen nun gegen die Kandidatur aus den
       Emiraten mobil, unter anderem weil in Frankreich dieses Jahr zwei
       Folterklagen gegen Al-Raisi nach dem Grundsatz der universellen
       Gerichtsbarkeit eingereicht worden sind.
       
       In einem Fall geht es um den Menschenrechtler Ahmed Mansoor, der aktuell
       eine zehnjährige Haftstrafe verbüßt. Laut Anklage, die [2][der
       Nachrichtenagentur AFP vorliegt], wird er in Abu Dhabi „unter
       mittelalterlichen Bedingungen“ festgehalten, „die Folterakte darstellen“.
       Im zweiten Fall haben zwei Briten geklagt, die in den Emiraten verhaftet,
       mittlerweile aber wieder freigelassen wurden. Beide geben an, in Haft
       gefoltert worden zu sein. Im selben Fall ist auch in Großbritannien eine
       Zivilklage gegen Al-Raisi anhängig.
       
       Als Generalinspekteur des Innenministeriums ist Al-Raisi dafür zuständig,
       die Arbeit der Sicherheitsbehörden des Golfstaats zu überwachen. Zuvor war
       Al-Raisi, der sich mit mehr als vierzig Jahren Erfahrung in der
       Polzeiarbeit rühmt, in leitender Funktion bei der Polizei von Abu Dhabi
       tätig. „Als staatlicher Vertreter der VAE ist Herr Al-Raisi Teil eines
       Sicherheitsapparates, der weiterhin systematisch gegen friedliche Kritiker
       vorgeht“, schreibt die in London ansässige Menschenrechtsorganisation
       ALQST.
       
       ## Deutsche Abgeordnete gegen Al-Raisi
       
       Kommt es in Frankreich oder Großbritannien zu einer Verurteilung, wären die
       Behörden verpflichtet, Al-Raisi zu verhaften, sobald er eines der Länder
       betritt. Interpol hat seinen Hauptsitz im französischen Lyon. „Ich kann
       nicht glauben, dass ich fast drei Jahre, nachdem ich endlich freigelassen
       wurde, zum Hauptsitz von Interpol reisen muss, um sie zu bitten, einen der
       Männer, die für meine Folter verantwortlich sind, nicht zum nächsten
       Präsidenten zu machen“, [3][sagte] Matthew Hedges, einer der beiden in den
       Emiraten verhafteten Briten, im Oktober auf einer Pressekonferenz in Lyon.
       
       In Deutschland haben sich Bundestagsabgeordnete der Ampel-Parteien gegen
       die Kandidatur Al-Raisis ausgesprochen. „Angesichts der verheerenden
       Menschenrechtsbilanz der Vereinigten Arabischen Emirate würde die Ernennung
       von Herrn Al-Raisi zum Präsidenten in eklatantem Widerspruch zur
       Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und dem Auftrag der Organisation
       stehen“, heißt es in einer gemeinsamen [4][Erklärung] der Abgeordneten Kai
       Gehring (Grüne), Frank Schwabe (SPD) und Peter Heidt (FDP).
       
       Al-Raisi stehe an der Spitze „eines repressiven Strafrechtssystems“ und sei
       „direkt in Menschenrechtsverletzungen in einer Reihe von hochkarätigen
       Fällen verwickelt.“ Die Autoren warnen vor einem Ansehensverlust für
       Interpol bei der Bekämpfung der Kriminalität weltweit. Auch in Frankreich
       hatten sich zuvor mehr als 30 Mitglieder der Nationalversammlung gegen die
       Kandidatur Al-Raisis [5][ausgesprochen].
       
       Interpol bezog auf Anfrage der taz nicht Stellung zu der Kritik, sondern
       betonte lediglich, dass die tägliche Arbeit nicht vom Präsidenten, sondern
       vom Generalsekretär – seit 2014 der Deutsche Jürgen Stock – geleitet werde.
       Es sei falsch, den Präsidenten als Interpol-Chef zu bezeichnen. Er habe
       zudem keinen Einfluss auf die Ausstellung von internationalen Haftbefehlen.
       Die emiratische Botschaft in Berlin reagierte auf Bitte um eine
       Stellungnahme nicht.
       
       Der Posten des Interpol-Präsidenten wird planmäßig alle vier Jahre neu
       gewählt. Er leitet die Sitzungen der Generalversammlung sowie des
       Interpol-Exekutivrats. Über das Amt war es zuletzt 2018 zu einer
       Kontroverse gekommen. Vor allem die Ukraine und Litauen versuchten –
       erfolgreich –, die Wahl des russischen Kandidaten und
       Interpol-Vize-Präsidenten Alexander Prokopchuk zu verhindern. Auch
       US-Senator*innen warnten damals vor einem Missbrauch von Interpol durch den
       russischen Polizeigeneral. Stattdessen wurde der Südkoreaner Kim Jong Yang
       gewählt, dessen Amtszeit nun Ende November endet.
       
       Im vergangenen Jahrzehnt war Interpol in die Kritik geraten, weil die
       Organisation, die sich lange Zeit fast ausschließlich durch freiwillige
       Zahlungen der über 190 Mitgliedsstaaten finanzierte, zunehmend auf Gelder
       aus der Privatwirtschaft setzte. So schloss Interpol millionenschwere
       Verträge mit dem Organisationskomitee der Fußballweltmeisterschaft 2022 in
       Katar sowie mit der Tabak- und Pharmaindustrie.
       
       18 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.interpol.int/Who-we-are/What-is-INTERPOL
 (DIR) [2] https://www.lorientlejour.com/article/1264867/un-haut-responsable-des-emirats-vise-par-une-plainte-en-france.html
 (DIR) [3] https://www.forbes.com/sites/dominicdudley/2021/10/01/torture-complaint-filed-against-uae-candidate-for-interpol-chief/?sh=5cc098543345
 (DIR) [4] https://kai-gehring.de/wp-content/uploads/2021/11/Gemeinsame_Erklaerung_INTERPOL.pdf
 (DIR) [5] https://parstoday.com/en/news/west_asia-i145158-35_french_lawmakers_rip_uae_official%E2%80%99s_candidacy_to_be_interpol_chief
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jannis Hagmann
       
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