# taz.de -- Warnstreik der Berliner LehrerInnen: Der Druck ist bitter nötig
       
       > Die Forderung der Gewerkschaft nach kleineren Schulklassen ist angesichts
       > des Lehrkräftemangels Wunschdenken. Dennoch ist die Forderung richtig.
       
 (IMG) Bild: Muss immer mal wieder sein: Streiken für bessere Arbeitsbedingungen, hier eine Demo 2017
       
       Manche Sachen sind nur so lange aussichtslos, bis jemand für sie streitet.
       [1][Kleinere Schulklassen], zum Beispiel: In Berlin sind dafür am Mittwoch
       rund 500 Lehrkräfte an 28 Schulen einen Tag lang auf die Straße gegangen.
       Die Gewerkschaft GEW, die den Warnstreik organisiert hatte, bat die
       vielfach noch Homeschooling-gebeutelten Eltern um Solidarität, denn: „Auch
       Ihre Kinder werden von kleineren Klassen profitieren.“
       
       Das ist so wahr und richtig, wie die Umsetzung der GEW-Forderung mindestens
       schwierig (aber eben doch nicht ganz aussichtslos) ist: Die Gewerkschaft
       will künftig über einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz mitreden, wie viele
       SchülerInnen eine Lehrkraft maximal betreuen darf. Bisher gibt es im
       Schulgesetz nur unverbindliche Richtlinien zu Klassengrößen.
       Personalschlüssel sind Sache des Arbeitgebers, in dem Fall also der
       Senatsbildungsverwaltung als oberste Dienstherrin der Berliner Schulen –
       keine Angelegenheit also, die das Tarifrecht regeln kann.
       
       Oder doch? In Berlin machen es gerade die Pflegekräfte an den landeseigenen
       Krankenhäusern Vivantes und Charité vor: Sie sind dabei, sich einen
       [2][Tarifvertrag Entlastung zu erstreiten.] Für Schichten, die in
       Unterbesetzung gearbeitet werden, soll es künftig freie Tage geben, sprich
       „Freizeitausgleich“.
       
       Die Klinikleitungen müssten dafür natürlich definieren, was Unterbesetzung
       heißt – und wären durch die Sanktionsmöglichkeit „Freizeitausgleich“
       gezwungen, ihre selbst gesetzten Mindest-Personalvorgaben wirklich
       einzuhalten. Gelingt das an den Krankenhäusern, wäre es ein elegantes
       Beispiel dafür, wie mittelbar über das Tarifrecht doch Einfluss genommen
       werden kann auf die eigentlich dem Arbeitgeber obliegende Personalfrage.
       
       ## Die Pflegekräfte machen es vor
       
       Die Lehrkräfte könnten es ähnlich machen: Sind die Klassen zu voll, gibt es
       – nur mal als Beispiel – ein Freistundenkontingent für die Lehrkraft. Doch
       dafür braucht es Druck von der Straße, denn von alleine wird sich
       Noch-Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD), der für Berlin die
       Tarifverhandlungen in der Tarifgemeinschaft der Länder führt, kaum bewegen.
       
       Zumal es ja stimmt, was KritikerInnen einwenden: Umsetzen ließe sich so
       etwas in der Praxis ohnehin erstmal nicht. Es gibt schlicht zu wenige
       LehrerInnen in Berlin. Schon jetzt ist [3][der Lehrermangel dramatisch],
       mehr als 400 Stellen sind derzeit nach einer durchaus soliden Schätzung der
       GEW nicht besetzt. Wie will man da die Klassen verkleinern – was nur noch
       mehr Lehrkräfte kosten würde?
       
       Anders gesagt: Wenn man die jetzigen Größen einigermaßen hält, kann man
       schon froh sein. Oder, auch das ist wahrscheinlich: Es werden in Zukunft
       noch deutlich mehr nicht-vollausgebildete Lehrkräfte unterrichten. Schon
       jetzt sind nach GEW-Angaben rund 1.300 Lehrkräfte ohne volle Lehrbefähigung
       im Einsatz: Sie unterrichten, tauchen aber in der Personalstatistik der
       Bildungsverwaltung nicht auf.
       
       ## Die Verbeamtung wird wenig Abhilfe schaffen
       
       Die gerne [4][heiß diskutierte Verbeamtungsfrage], die [5][eine künftige
       Koalition] beschäftigen dürfte, wird, ganz kühl betrachtet, auch nicht viel
       lösen: Angesichts der vakanten Stellen und des noch steigenden Bedarfs in
       den kommenden Jahren, weil die Verrentungsquote steigt, sind selbst ein
       paar hundert Lehrkräfte nicht der Gamechanger. Zumal in keinem anderen
       Bundesland die Verbeamtung bisher den Lehrkräftemangel in irgendeiner Weise
       gelöst hätte.
       
       Besser wird's erst, wenn mehr AbsolventInnen die Unis verlassen. Die
       Ausbildungskapazitäten wurden in den vergangenen Jahren zwar hochgefahren,
       aber noch macht sich das nicht bemerkbar, denn so ein Studium dauert. Und
       dann muss sich der Nachwuchs tatsächlich noch dafür entscheiden, in Berlin
       zu bleiben. Wichtiger als die Verbeamtungsfrage dürften für viele die
       Arbeitsbedingungen sein. Kleine Klassen sind da schon mal ein Argument.
       
       Gut, dass jetzt Druck gemacht wird.
       
       9 Oct 2021
       
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