# taz.de -- Co-Leiterin über Jazztage Leipzig: „Je abgefahrener, desto besser“
       
       > Die Jazztage Leipzig stehen vor der Tür. Co-Leiterin Esther Weickel über
       > experimentierende Künstler*innen und die Vorfreude auf ungewöhnliche
       > Konzertorte.
       
 (IMG) Bild: Hier findet kein Aufguss von Jazz statt: Sauna im geschlossenen Leipziger Stadtbad
       
       taz: Esther Weickel, Sie gehören mit 32 zu den führenden Köpfen des
       Jazzclubs Leipzig e. V. Alljährlich im Herbst veranstalten Sie die
       Leipziger Jazztage. Was ist das Besondere bei Ihrem Festival? 
       
       Esther Weickel: Unser Team ist jung und probiert sich beim Programm aus.
       Zugleich sind wir ein ganz bewährtes Festival mit einer 45-jährigen
       Tradition. Die hindert uns aber nicht an der Lust am Experimentieren. Wir
       bieten auch weniger etablierten Künstler*innen eine Bühne, und zwar an
       Orten, die [1][nichts mit der Jazzszene] zu tun haben. Darüber hinaus
       vernetzen wir aber auch die lokale Musikszene besser.
       
       Und wie kommt das bei Ihnen in der Stadt an? 
       
       Angst vor Kritik habe ich nicht. Aber unser Publikum ist uns nicht egal.
       Wir haben ja die Erfahrung gemacht, dass es die Zuschauer*innen
       begeistert, wenn wir uns mit unserem Programm identifizieren. Ganz
       unabhängig davon, ob man die Musik jetzt Jazz nennt oder nicht, wir fassen
       den Begriff eher weit und sind in der Auswahl ziemlich unerschrocken.
       
       Aha, wie würden Sie denn Jazz überhaupt definieren? 
       
       Das weiß ich gar nicht so richtig. Es bedarf da keiner Definition. Wir
       nähern uns mit dem Festival höchstens der Beantwortung dieser Frage an und
       probieren verschiedene Stilrichtungen aus. Was die Vermittlung von Jazz
       angeht, es gibt in jedem Fall hier in der Stadt Kommunikationsbedarf. Und
       dabei hilft uns manchmal die Ästhetik eines Veranstaltungsplakats, das cool
       aussieht und neugierig auf unsere Konzerte macht.
       
       Seit 2021 leiten Sie zusammen mit Annika Sautter und Laysa Herrlich die
       Geschicke Ihres Vereins. Das ist im Musikbusiness noch immer eine
       Seltenheit. 
       
       Wir erachten es als Problem, dass es nach wie vor deutlich weniger
       Musikerinnen als Musiker auf Bühnen gibt. Dennoch gibt bei uns keine
       festgelegte Frauenquote, obwohl wir bei dem Thema achtsam sind. Auch Im
       Programmkuratorium der Leipziger Jazztage sitzen drei Frauen und drei
       Männer. Wir bemühen uns, dass an jedem Abend Musikerinnen, insbesondere
       Instrumentalistinnen auf unseren Bühnen stehen. Natürlich kennen wir das
       Argument: [2][Es gäbe halt keine Frauen, die für Festivals infrage kommen].
       Aber das entspricht nicht der Wahrheit. Wir haben im Frühjahr explizit dazu
       aufgerufen, dass sich Musiker*innen auf das Festivalmotto „Body Time“ hin
       bewerben – und es gingen prompt mehr Bewerbungen von Frauen ein.
       
       Auch Journalisten sind teilweise nicht frei von sexistischen Tendenzen,
       wenn sie über Musik schreiben.
       
       Ich nehme schon wahr, wie einseitig über Musikerinnen geschrieben wird.
       Aussehen nimmt da viel zu oft noch eine übergeordnete Rolle ein – warum
       muss das gleich im ersten Absatz eines Artikels stehen? Wer will solche
       Rollenbilder von Frauen?
       
       Welche Schlüsse ziehen Sie persönlich daraus? 
       
       Es hilft nicht, nur nett zu lächeln. Wir merken das in Verhandlungen in der
       Festivalvorbereitung: Ich setze Grenzen. Wir müssen niemandem in den Arsch
       kriechen – wenn jemand keine Gesprächsbereitschaft mitbringt, werden wir
       uns nicht anbiedern. Die Jazztage Leipzig befeuern diese alten Muster
       nicht. Stattdessen gibt es bei und einen Austausch auf Augenhöhe.
       
       Wie hat sich die Bedeutung des Jazz in Leipzig gewandelt? 
       
       Ich bin erst seit 2019 dabei. Aber für die älteren Vereinsmitglieder ist es
       schön zu sehen, dass ihre Ideen weitergeführt werden. Jazz war in der DDR
       Außenseitermusik. Dadurch haben sich Gleichgesinnte gefunden. Menschen, die
       nach einer freieren Form des Ausdrucks suchen. Man könnte meinen, dass den
       Älteren unser heutiges Programm zu experimentell ist. Aber das Gegenteil
       ist der Fall. Die finden: Je abgefahrener, desto besser.
       
       Es gibt keine Erwartungshaltung des Stammpublikums? 
       
       Nun, es ist in diesem Jahr die 45. Festivalausgabe. Aber wir haben uns
       bewusst dafür entschieden, die „45“ aus dem Titel wegzulassen – diese Zahl
       ist nicht das, was uns ausmacht. Fast niemand in unserem Team ist älter als
       45! Wir ruhen uns nicht auf Traditionen aus. Wir wollen noch viel mehr
       herausfinden: Es ist ein gemeinschaftlicher Lernprozess, ein ständiges
       Aushandeln. Ich selbst muss zulassen, dass es nicht nur nach meinem eigenen
       Kopf geht. Mein Eindruck ist, dass das Festival früher stärker in einer
       Blase stattgefunden hat. Wir signalisieren nun stärker Offenheit, so
       arbeiten wir beispielsweise mit dem Südtirol Jazzfestival zusammen.
       
       Was bedeutet Ihr Motto „Body Time“? 
       
       Das fehlende Miteinander im Lockdown war ein Ausgangspunkt dieser Idee. In
       den Konzerten werden verschiedene Aspekte von Körperlichkeit betont. Das
       Trio Antonia Hausmann, Kira Wodni und Rebekka Paas wird sich in seinem
       Konzert mit dem weiblichen Körper und der Schwangerschaft
       auseinandersetzen. Die Künstlerin Sonia Loenne wiederum beschäftigt sich
       mit der einseitigen Fokussierung auf Körperlichkeit: In ihrem Projekt
       „Schöne auf der Bühne“ geht es um eine Sängerin, die auf ihr Aussehen
       reduziert wird. Und der Kontrabassist Robert Lucaciu reflektiert sein
       männliches Selbstverständnis in dem Programm „Fallen Crooner“.
       
       Zehn Tage, zwölf Spielorte, 36 Bands, ist das Programm nicht etwas
       überambitioniert? 
       
       Anstrengend wird das schon, keine Frage. Aber es lohnt sich, denn die
       Konzertorte sind so gewählt, dass Besucher:innen dadurch unbekannte und
       historische Ecken der Stadt anders oder neu kennenlernen. Glamouröse
       Settings wie am Schauspielhaus und in der Musikalischen Komödie haben wir,
       aber auch Offbühnen wie das UT Connewitz, ein ehemaliges Kino, stehen uns
       offen. Und wir sind erstmals [3][in dem 1916 im Jugendstil erbauten
       Stadtbad], das seit 2004 leer steht. Dort finden mehrere Konzerte in den
       alten Saunen statt. Das riecht nicht ideal. Aber das bekommen wir auch noch
       hin.
       
       28 Sep 2021
       
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