# taz.de -- Berlins Justizsenator zu Paragraf 219a: „Der Kompromiss taugt nichts“
       
       > Der Bundesrat stimmt über die Abschaffung von §219a ab, bindend ist das
       > Votum nicht. Berlins Justizsenator hält das Vorhaben trotzdem für
       > wichtig.
       
 (IMG) Bild: Abtreibungsgegner in Berlin: „Sie können im Internet Schauermärchen verbreiten“
       
       taz: Herr Behrendt, Paragraph 219 verbietet Ärzt*innen, über Methoden einer
       Abtreibung auf ihren Websiten zu informieren. 2017 hatte Berlin zusammen
       mit Hamburg, Bremen, Thüringen und Brandenburg schon einmal im Bundesrat
       beantragt, dass er gestrichen wird – erfolglos. Warum gerade jetzt nochmal
       darüber abstimmen? 
       
       Dirk Behrendt: Der Antrag, den wir mit anderen Bundesländern im Bundesrat
       eingebracht haben, ist vier Jahre alt, aber leider immer noch aktuell.
       Wegen des vermeintlichen Kompromisses, den die große Koalition 2019 meinte
       gefunden zu haben, wurde er zurückgestellt. Aber der Kompromiss taugt
       nichts.
       
       Wirkliche Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte gibt es nur mit einer
       vollständigen Streichung von Paragraph 219a StGB. Deswegen haben wir diese
       alte Initiative jetzt wieder aufgerufen. Es geht darum, immer wieder zu
       erinnern und zu mahnen, dass wir hier noch ein ungelöstes Problem haben.
       
       Der Kompromiss erlaubt es Ärzt*innen zu nennen, ob sie Abtreibungen
       durchführen, aber nicht wie. Warum taugt er Ihrer Meinung nach nichts? 
       
       Weil er immer noch die strafrechtliche Verfolgung von Ärztinnen und Ärzten,
       die über Schwangerschaftsabbrüche informieren, ermöglicht. Das ist ein
       krasses Missverhältnis: Die sogenannten Lebensschützer können die wildesten
       Schauermärchen über Schwangerschaftsabbrüche verbreiten. Aber Ärztinnen und
       Ärzte, die sich auskennen und sachlich informieren können, dürfen das
       nicht.
       
       Sie dürfen nur angeben, dass sie Schwangerschaftsbbrüche vornehmen.
       Deswegen ist der Kompromiss nichts wert. Wir haben immer noch rechtliche
       Auseinandersetzungen. Kristina Hänels Verurteilung ist auch unter der neuen
       Gesetzeslage bestätigt worden.
       
       Hat der Zeitpunkt jetzt auch etwas mit der anstehenden Bundestagswahl zu
       tun? 
       
       Klar hat das auch damit zu tun, dass Bundestagswahlen sind. Im Deutschen
       Bundestag muss die Streichung ja letztendlich erfolgen. Der Bundesrat kann
       das nur anregen.
       
       Hoffen Sie, dass das Thema dadurch mit in eventuelle
       Koalitionsverhandlungen oder in die neue Bundesregierung genommen wird? 
       
       Unbedingt! Auf welchem Wege Paragraph 219a StGB aufgehoben wird, ob es
       [1][die Verfassungsbeschwerde der Frauenärztin Kristina Hänel vor dem
       Bundesverfassungsgericht] ist, oder ob der Deutsche Bundestag das
       beschließt, ist mir am Ende des Tages egal. Wichtig ist, dass er aus dem
       Strafgesetzbuch rauskommt und dass Ärztinnen und Ärzte ohne Strafandrohung
       informieren können.
       
       Man muss sich nur die Situation von betroffenen Frauen vorstellen. Hier
       bleiben ihnen wichtige Informationen verwehrt. Es geht ja um
       Schwangerschaftsabbrüche, die im Rahmen des [2][Paragraph 218 a StGB]
       möglich sind.
       
       Die sachliche Information könnte man auch an anderen Orten im Netz als auf
       den Websiten der Ärzt*innen finden. 
       
       Wenn Sie versuchen, sich im Internet zu informieren, werden Sie schnell
       merken, dass Ihnen da blutige Fötenbilder und Propaganda der Lebensschützer
       präsentiert wird. Das ist Angst und Schrecken verbreitend und keine
       sachliche Information. Nichts spricht dagegen, dass die oder der Arzt, der
       bereit ist, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen, auch darüber informiert:
       Mit welchen Mitteln, was das für Folgen hat. Von „werben“ kann keine Rede
       sein, wenn Ärzte sachlich informieren.
       
       Wie realistisch ist es, dass der Antrag zur Streichung von Paragraph 219a
       diesen Freitag im Bundesrat durchgeht? 
       
       Ich bin optimistisch, weil sich zu deutlich zeigt, dass der neue Kompromiss
       schlecht ist. Vor dem Kompromiss hatte die damalige Justizministerin
       Katharina Barley schon zugesagt, dass das eine Sache von Wochen sei, bis
       Paragraph 219a StGB aufgehoben wird. Dann ist die SPD wieder davon
       abgerückt.
       
       Wir hätten eine Mehrheit im Deutschen Bundestag gehabt, aber aus
       Koalitionsräson hat die SPD das nicht mitgemacht. Die entscheidende
       Auseinandersetzung wird in Koalitionsverhandlungen und im neu gewählten
       deutschen Bundestag sein. Da brauchen wir eine Mehrheit.
       
       Wie nehmen Sie das politische Klima in der Debatte um Abtreibung weltweit
       wahr? 
       
       Bei uns weniger angespannt als unweit in anderen europäischen Ländern. Was
       etwa in Polen und Spanien passiert oder auch in den USA, wo Kliniken von
       Abtreibungsgegnern belagert werden – da sind wir zum Glück weit entfernt.
       
       Aber es bedrückt mich, dass es gerade in ländlich geprägten Regionen sehr
       schwer für Frauen ist, Ärzte zu finden, die bereit sind,
       Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Das ist auch Ergebnis der Kampagne
       der Lebensschützer und der Verfolgung der Ärzte mit dem Strafrecht. Der ein
       oder andere Arzt überlegt sich, ob er sich überhaupt in diese
       Auseinandersetzung begeben mag. Frauen in dieser schwierigen Situation
       brauchen Hilfe und Unterstützung, nicht Verfolgung und Repression. Die
       Ärzte ganz genauso.
       
       17 Sep 2021
       
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