# taz.de -- Deutsch-afghanische Hochschulkooperation: Gefährliche Förderung
       
       > In Afghanistan sind Studierende und Wissenschaftler:innen, die mit
       > deutschen Unis kooperiert haben, in Gefahr. Was ihnen jetzt helfen kann.
       
 (IMG) Bild: Studentinnen beim Interview zur Aufnahme an der Kabuler Universität im Dezember 2001
       
       Berlin taz | Eigentlich könnte Wilhelm Löwenstein stolz sein. In den
       vergangenen 19 Jahren hat der Professor der Ruhr-Universität Bochum
       geholfen, Wirtschaftsfakultäten in [1][Afghanistan] mit aufzubauen,
       Curricula auf internationalen Standard zu bringen – und afghanische
       Dozent:innen auszubilden. Rund 100 Afghan:innen aus allen
       Landesteilen haben dafür drei und mehr Jahre in Bochum studiert, sind
       anschließend an ihre Heimatuniversitäten zurückgekehrt und haben dort
       Zigtausende Studierende ausgebildet.
       
       Doch nun muss Löwenstein tatenlos mitansehen, wie die Taliban nicht nur
       seine jahrelange Arbeit bedrohen, sondern auch die Menschen, die er
       ausgebildet hat. „Die Taliban haben längst die Hochschulen übernommen und
       erstellen Listen mit Dozenten, die im Ausland waren“, sagt Löwenstein am
       Telefon. „Ich habe E-Mails bekommen von Kollegen, die sich jetzt Bärte
       wachsen lassen und sich alle zwei, drei Tage ein neues Versteck suchen
       müssen.“
       
       Löwenstein ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für
       Entwicklungsforschung und Entwicklungspolitik an der Ruhr-Uni Bochum. Ein
       Institut, das etwas auf seine jahrzehntelangen Kontakte nach Afghanistan
       hält – und die Erfolge bei der Ausbildung afghanischer
       Wissenschaftler:innen. Seit ein paar Tagen jedoch findet man dazu kaum mehr
       Informationen.
       
       Die Uni hat alles von der Website genommen, was ehemalige Studierende oder
       Kooperationspartner in Afghanistan gefährden könnte. Auch andere Unis sowie
       der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) haben auf die
       Machtübernahme der Taliban reagiert und Namen und Fotos von ihren Websites
       genommen – und dem Auswärtigen Amt gefährdete Personen gemeldet.
       
       ## Alle gefährdet, die mit westlichen Hochschulen kooperierten
       
       „Wir müssen davon ausgehen, dass alle Afghanen und Afghaninnen gefährdet
       sind, die mit westlichen Hochschulen kooperiert haben oder in irgendeiner
       Weise durch diese gefördert worden sind“, sagt DAAD-Präsident Joybrato
       Mukherjee der taz. Wie hoch deren Zahl ist, lässt ein Blick in die
       Statistik erahnen. Seit 2002 hat allein der DAAD rund 240 Lehr- und
       Forschungsprojekte von deutschen Unis mit afghanischen Partnerinstitutionen
       unterstützt sowie 1.100 Stipendien an afghanische Studierende und
       Promovierende vergeben.
       
       Dazu kommen Tausende Austauschstudierende, die teils wieder in Afghanistan
       sind, sowie Afghan:innen, die vor Ort direkt für den DAAD gearbeitet haben.
       Allein im Jahr 2020 erhielten 633 Afghan:innen eine Förderung durch den
       DAAD.
       
       „Wir stehen seit Wochen im engen Austausch mit dem Auswärtigen Amt“, sagt
       Mukherjee. Wie viele Personen der DAAD als gefährdet gemeldet hat, möchte
       er nicht sagen. In mehreren Fällen wisse man, dass die Evakuierung
       erfolgreich war. Im Umkehrschluss heißt das aber: Der Großteil der
       gefährdeten Studierenden und Wissenschaftler:innen sitzt weiter im
       Land fest.
       
       Für Löwenstein ist das schwer zu ertragen. Mit Beginn der Evakuierungen hat
       er die Daten seiner Kolleg:innen über den DAAD an das Auswärtige Amt
       weitergeleitet. Doch viele der Dozent:innen, die er ausgebildet hat und die
       nun auf der ominösen Ausreiseliste stehen, befinden sich nicht in Kabul.
       Sie sitzen in Masar-i-Scharif, Herat, Nangarhar oder Kandahar fest und
       hatten von vornherein keine Chance, evakuiert zu werden.
       
       ## Bisher keine offizielle Visaregelung
       
       Dass dies in der politischen Diskussion überhaupt keine Rolle spielt, macht
       Löwenstein immer noch fassungslos: „Keiner meiner Leute ist ausgeflogen
       worden“, sagt er. „Ich schäme mich dafür, dass wir unsere afghanischen
       Partner, die heute gefährdet sind, weil sie mit uns zusammengearbeitet
       haben, so [2][im Stich lassen].“ Löwenstein fordert, dass nun alle
       ehemaligen Kooperationspartner, die es in ein Nachbarland an die Deutsche
       Botschaft schaffen, schnell ein Visum für Deutschland erhalten.
       
       Eine offizielle Regelung gibt es dazu bislang nicht. Außenminister Heiko
       Maas (SPD) versprach am Montag, nun beginne die „zweite Phase“ der
       Hilfsaktion. Bis zu 70.000 gefährdete Afghan:innen wolle die
       Bundesregierung „so schnell wie möglich“ aufnehmen. Wie das konkret
       gelingen kann, ist aber unklar. Auch im Auswärtigen Amt heißt es dazu vage:
       „Dafür wird es Lösungen geben.“
       
       DAAD-Präsident Mukherjee begrüßt Maas’ Bemühungen. Man dürfe sich nicht der
       Illusion hingeben, dass deutsche Hochschulen weiter vor Ort wirken könnten,
       solange die Taliban an der Macht seien. Deshalb müssten die Bundesregierung
       und die deutschen Hochschulen schnell eine Strategie entwickeln, wie sie
       afghanischen Studierenden und Forschenden weiter zu Seite stehen könnten,
       so Mukherjee.
       
       Beispielsweise sollten bestehende Programme für gefährdete
       Akademiker:innen von Bund und Ländern ausgebaut werden, schlägt der
       DAAD-Präsident vor.
       
       ## Stipendienprogramme für verfolgte Wissenschaftler*innen
       
       Eines dieser Programme, das gerade erst ins Leben gerufene und vom
       Auswärtigen Amt finanzierte Hilde-Domin-Programm für Studierende und
       Promovierende, könnte aufgestockt werden. „Dazu laufen gerade Gespräche“,
       sagt Mukherjee. Er hofft auf einen zügigen Beschluss des neu gewählten
       Bundestags. Dann könnten statt wie bisher geplant 50 vielleicht bald 100
       Personen an deutschen Hochschulen aufgenommen werden.
       
       Zudem gibt es mit dem Philipp Schwartz-Stipendium seit 2015 ein ähnliches
       Programm für verfolgte Wissenschaftler:innen. Über 300 Forscher:innen
       aus 22 Ländern sind damit an eine deutsche Hochschule gelangt.
       
       Ins Leben gerufen wurde die Initiative vom Auswärtigen Amt und der
       Alexander von Humboldt-Stiftung unter dem Eindruck des syrischen
       Bürgerkriegs. Gerade werde geprüft, wie man angemessen auf die Lage in
       Afghanistan reagieren könne, teilt der zuständige Referent bei der
       Humboldt-Stiftung, Frank Albrecht, der taz mit.
       
       Das Scholars at Risk Network, ein Netzwerk von über 500 Hochschulen aus 38
       Ländern mit Sitz in New York, das sich für gefährdete Forscher:innen
       einsetzt, fordert ein gemeinsames Vorgehen der EU bei der Aufnahme von
       afghanischen Wissenschaftler:innen. Viele Hochschulen seien bereit,
       Forschende aufzunehmen, wenn die EU legale Einreisemöglichkeiten schaffe
       und die Finanzierung bisheriger Programme ausweite.
       
       ## Bisherige Programme „nicht ausreichend“
       
       Viele deutsche Hochschulen haben den Appell unterzeichnet. „Es wäre
       natürlich super, wenn diese wichtigen Programme auch auf europäischer Ebene
       laufen würden“, sagt eine zuständige Mitarbeiterin einer westdeutschen
       Hochschule, die anonym bleiben möchte. „Für Krisenfälle wie jetzt in
       Afghanistan sind die bisherigen Stipendienprogramme leider nicht
       ausreichend.“
       
       So sieht das auch Wilhelm Löwenstein von der Ruhr-Universität Bochum. „Wer
       nicht zufällig schon in Deutschland war wie ein paar Promovierende an
       meinem Institut, hat sehr wahrscheinlich Pech gehabt.“
       
       1 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
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