# taz.de -- Missbrauchsvorwürfe bei Alibaba: MeToo bei Chinas Internetimperium
       
       > Eine Mitarbeiterin des Alibaba-Konzerns erhebt Missbrauchsvorwürfe. Sie
       > lösen eine landesweite Debatte über Unternehmenskultur aus.
       
 (IMG) Bild: Alibaba, hier ein Bild des Firmensitzes, wurde zum Ausgangspunkt einer landesweiten Debatte
       
       Peking taz | Nachdem mehrere Chefs ihre Anschuldigungen nicht ernst nahmen,
       entschloss sich die Angestellte des [1][Internetimperiums Alibaba] zu einem
       ungewöhnlichen Schritt: Sie lud ihre traumatischen Erfahrungen,
       niedergeschrieben in elf detailreichen Seiten, im firmeneigenen Intranet
       hoch. In nur wenigen Stunden löste sie damit eine landesweite Debatte über
       die toxische Unternehmenskultur in chinesischen Firmen aus.
       
       Was der Frau laut eigenen Angaben widerfahren ist: Ende Juli verbrachte sie
       den Abend mit ihrem Vorgesetzten bei einem Geschäftsessen. Dieser habe sie
       dazu gedrängt, exzessiv Alkohol zu trinken. Die Erinnerungen an die Nacht
       sind dementsprechend schemenhaft: Die Frau fand sich weinend im Bett eines
       Hotelzimmers wieder, ihren Vorgesetzten über sich liegend. Am nächsten
       Morgen waren ihre Kleidungsstücke im Raum verteilt, nur ihre Unterwäsche
       konnte sie nicht finden. Auf dem Nachttisch lag eine geöffnete
       Kondompackung.
       
       Der Skandal schlug zunächst innerhalb der Firma hohe Wellen. Über 6.000
       Angestellte von Alibaba unterzeichneten eine Petition, in der sie eine
       Anlaufstelle für Opfer sexueller Belästigung forderten. Es mag erstaunen,
       dass es solche Strukturen in einem der erfolgreichsten Unternehmen der
       Volksrepublik bislang nicht gibt.
       
       Alibaba-Vorstand Daniel Zhang, der sich „wütend, schockiert und beschämt“
       zeigte, schrieb am Montagmorgen „nach einer schlaflosen Nacht“ einen
       offenen Brief, in dem er die ersten Konsequenzen bekannt machte: Dem
       mutmaßlichen Vergewaltiger wurde fristlos gekündigt, zwei weitere
       Angestellte sind von sich aus zurückgetreten.
       
       „Wir müssen diese Möglichkeit nutzen, unser Denken und unser Handeln
       vollständig zu reflektieren“, schreibt Zhang – und kündigt firmenweite
       Schulungen gegen sexuelle Belästigungen an sowie eine Meldestelle für
       Opfer. Ebenfalls fügt der chinesische Vorstandsvorsitzende hinzu: „Auch
       wenn die Polizei die spezifischen Umstände des Abendessens noch untersucht,
       lehnen wir die hässliche Trinkkultur ab. Egal welches Geschlecht und ob es
       von einem Klienten oder Vorgesetzten verlangt wird, unsere Angestellten
       sind jederzeit befugt, Aufforderungen zum Trinken abzulehnen.“
       
       ## Frauenverachtendes Verhalten häufig
       
       Tatsächlich ist es ein offenes Geheimnis, dass Geschäftsessen von Firmen
       oft in frauenverachtendem Verhalten ausarten – und zwar unabhängig von der
       Branche. „Dass männliche Kollegen während Geschäftsessen versuchen, einen
       anzufassen, ist eigentlich relativ normal“, sagt etwa eine Endzwanzigerin
       aus Peking, die anonym bleiben möchte, „insbesondere, wenn hochrangige
       Chefs anwesend sind.“ Das Problem sei vor allem die Trinkkultur: „Wir
       werden zwar nicht gezwungen zu trinken, aber dazu gedrängt“, sagt die
       Angestellte. Sie glaube nicht, dass sich die Situation für junge Frauen in
       den letzten Jahren verbessert habe.
       
       Auf Chinas sozialen Medien erfuhr das Thema riesigen Widerhall. Einer der
       am häufigsten gelikten Kommentare auf Weibo, einem chinesischen
       Twitter-Pendant, sprach vielen jungen Frauen aus dem Herzen: „Wenn man eine
       Kakerlake im Zimmer findet, dann gibt es mit Sicherheit bereits einen
       ganzen Haufen.“
       
       Dass eine offene Debatte geführt werden kann, ist ein deutlicher
       Fortschritt. Denn Fälle von sexueller Belästigung sind in China durchaus
       heikle Themen. Als 2018 in den Vereinigten Staaten die #MeToo-Bewegung
       aufkam, schwappte sie zwar zunächst auch nach China über, etwa als
       Studentinnen von übergriffigen Professoren berichteten. Doch Chinas
       Staatsführung reagiert überaus sensibel auf mögliche Graswurzelbewegungen –
       und ließ etliche Debatten auf sozialen Medien mithilfe ihres Zensurapparats
       verstummen.
       
       Beim jetzigen Skandal überrascht durchaus ein wenig, dass er sich
       ausgerechnet in einem nach außen progressiven Konzern wie Alibaba ereignet.
       Denn der Internetriese veranstaltet nicht nur jedes Jahr eine globale
       Konferenz zur Ermächtigung von weiblichen Unternehmern, sondern beschäftigt
       auch in seiner obersten Managementebene über ein Drittel Frauen.
       
       Auch bei Bytedance – den Entwicklern der [2][weltweit populären Plattform
       Tiktok], der Suchmaschine Baidu und dem [3][Onlinefahrdienstvermittler
       Didi] – sind fast die Hälfte aller Mitarbeiter weiblich. Das ist deutlich
       mehr als in den meisten Büros im Silicon Valley.
       
       10 Aug 2021
       
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