# taz.de -- Fehlende Diversität im Bundestag: House of Academics
       
       > Im Bundestag sitzen fast nur Politiker:innen, die studiert haben oder gar
       > einen Doktortitel tragen. Ist das ein Problem für die Demokratie?
       
 (IMG) Bild: Einblick in die „Akademiker-Republik“: Regierungsbefragung von Angela Merkel im Juni 2021
       
       Berlin taz | Der aktuelle Bundestag ist überwiegend weiß, männlich,
       heterosexuell. Die meisten Parteien erkennen darin mittlerweile ein Problem
       und versuchen, mehr Frauen, POC, [1][Menschen mit Migrationsgeschichte] in
       ihre Fraktionen zu bekommen. Worüber die Parteien aber kaum reden: Die
       Volksvertreter:innen entstammen großteils einem ähnlichen sozialen
       Milieu.
       
       82 Prozent der Abgeordneten haben studiert – im Wahlvolk sind es hingegen
       18,5 Prozent. Bei Doktortiteln klafft die Lücke noch weiter: Promoviert hat
       aktuell fast jede:r fünfte Bundestagsabgeordnete. In der Gesamtbevölkerung
       ist es gerade mal eine:r von hundert. Menschen mit niedrigeren
       Bildungsabschlüssen sind im Parlament stark unterrepräsentiert.
       
       Der Politikwissenschaftler Armin Schäfer spricht von einer
       „Akademikerrepublik“. Er weist auf die Gefahr hin, dass sich die
       Lebenswelten von Repräsentant:innen und Repräsentierten kaum mehr
       überlappen. Dann treffen die Abgeordneten Entscheidungen über Probleme, die
       sie selbst nur aus zweiter Hand kennen.
       
       Auch die Wahlprogramme der Parteien können nicht über die Tatsache
       hinwegtäuschen, dass die wenigsten Politiker:innen aus eigener
       Erfahrung wissen, wie Betriebe ihre Auszubildenden behandeln, [2][ob man
       wirklich von Sozialhilfe leben kann] oder welche Hürden das Bildungssystem
       für Arbeiterkinder bereithält.
       
       ## Macht ein vielfältiges Parlament immer Politik für alle?
       
       Eine Ausnahme ist Kai Gehring. Seit 2005 sitzt er für die Grünen im
       Bundestag. Gehring ist Sprecher für Forschung, Wissenschaft und Hochschule
       seiner Fraktion – und Arbeiterkind. Dass er es bis in den Bundestag
       geschafft hat, beschreibt er als Zufall: „Meine Grundschullehrerin hat sich
       gegenüber meinen Eltern sehr dafür eingesetzt, dass ich aufs Gymnasium
       wechsle“, erzählt Gehring am Telefon. „Ohne ihr Empowerment und das
       Zutrauen meiner Eltern wäre ich trotz super Zeugnissen eher auf der
       Realschule gelandet – und dann vielleicht nicht im Bundestag“.
       
       Auch wegen dieser Erfahrung setzt sich Gehring seit Jahren für gleiche
       Bildungschancen für alle ein. Dafür, dass wieder mehr junge Menschen Bafög
       erhalten. Dass es auch Stipendienprogramme speziell für
       Nichtakademikerkinder gibt. Dass Geringqualifizierte ein lebenslanges Recht
       auf Weiterbildung bekommen, vom Staat bezahlt.
       
       Gehring ist ein Beispiel dafür, dass Politiker:innen, die
       unterrepräsentierten Gruppen angehören, auch deren Interessen vertreten.
       Das haben vor Kurzem auch Politikwissenschaftler:innen der Unis
       Konstanz, Basel, Genf und Stuttgart nachgewiesen. Für ihre Studie haben sie
       40.000 Kleine und Große Anfragen im Bundestag zwischen 1998 und 2013
       ausgewertet. Das Ergebnis: Abgeordnete aus unterrepräsentierten Gruppen
       stellen mehr Anfragen – und zu Themen, die sie biografisch bewegen. Frauen
       zu häuslicher Gewalt oder Pay Gap, Migrant:innen zu Diskriminierung oder
       Rassismus.
       
       Katja Urbatsch von Arbeiterkind.de beobachtet seit Jahren, wie wichtig
       Vorbilder für Jugendliche aus sozial schwachen Familien sind. Vor ein paar
       Jahren startete sie die Kampagne „[3][Erste an der Uni]“, in der
       Politiker:innen in kurzen Videos von ihrem Bildungsaufstieg erzählten.
       „Wir waren erstaunt, dass auch im Bundestag so viele
       Erstakademiker:innen sind“, so Urbatsch.
       
       Sie hofft, dass das Problembewusstsein für soziale Ungleichheit steigt,
       wenn es mehr Abgeordnete aus einem Nichtakademiker-Elternhaus gibt.
       Gleichzeitig vermisst Urbatsch auch Abgeordnete mit normaler
       Berufsausbildung. „Von einem Bundestag, der alle sozialen Schichten
       vertritt, sind wir weit entfernt.“
       
       Ob ein vielfältigeres Parlament jedoch auch Politik für alle macht, darf
       bezweifelt werden. Die oben zitierte Studie fand heraus, dass sich
       Abgeordnete aus sozial niedrigeren Schichten nach ein paar Jahren oft
       anderen Themen zuwenden, ebenso Abgeordnete mit Migrationsgeschichte.
       Frauen hingegen bleiben bei Gleichstellungsfragen aktiv, auch wenn sie
       schon lange im Bundestag sitzen.
       
       1 Aug 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Diversitaet-in-neugewaehlten-Landtagen/!5759337
 (DIR) [2] /Hartz-IV-Bezieherinnen-berichten/!5722573
 (DIR) [3] http://www.ersteanderuni.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Pauli
       
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