# taz.de -- Spektakulärer EM-Start der Niederländer: Tischler mit Talenten
       
       > Die Skepsis vieler Niederländer gegenüber Trainer Frank de Boer ist noch
       > nicht aus der Welt. Aber das zauberhafte 3:2 gegen die Ukraine überzeugt.
       
 (IMG) Bild: Das spektakulärste Spiel der ersten WM-Tage: Wijnaldum trifft für die Niederländer zur Führung
       
       Frank de Boer war mittendrin, als die Sieger sich den Fans näherten, doch
       kurz vor dem Strafraum bog er lieber ab und schritt zurück zu den
       Mitarbeitern in seiner Coachingzone. Für ein Bad des Trainers in der Menge
       ist es noch zu früh, die Skepsis vieler Niederländer gegenüber diesem
       Fußballlehrer ist noch nicht aus der Welt. Allerdings wird de Boer an
       diesem zauberhaften Turnierabend ein paar neue Freunde im Volk gefunden
       haben.
       
       Schließlich hatte seine Mannschaft ein Drama inszeniert, das sogar dem
       strengen Johan Cruyff gefallen haben dürfte, dort oben auf seinem orangenen
       Thron im Fußballhimmel. [1][Das 3:2 (0:0) gegen die Ukraine] in einem
       brodelnden Stadion war das spektakulärste Spiel der ersten EM-Tage, de Boer
       sagte: „Wir haben ein holländisches Team gesehen, das sehr ausbalanciert
       und sehr dominant gespielt hat.“
       
       Der Trainer blieb erstaunlich nüchtern in seinen Analysen, nachdem seine
       Mannschaft in fast allen Phasen der Partie am energetischen Maximum agiert
       hatte. In der ersten Halbzeit waren den Holländern trotz vieler guter
       Angriffe noch keine Treffer gelungen, nach der Pause begann eine wilde
       Achterbahnfahrt, mit etlichen Abstechern in die sensiblen Zonen des
       niederländischen Fußballbefindens: die Flügel.
       
       Seit Wochen stritten Experten darüber, ob es möglich ist, ohne den
       klassischen Dreiersturm der Elftal [2][jenen schönen Fußball zu spielen],
       der vielen Holländern noch wichtiger zu sein scheint als die Ergebnisse.
       
       ## Als sollte ein Tischler den Strom installieren
       
       Dass die gelernten Außenverteidiger Patrick van Aanholt und der an diesem
       Abend allgegenwärtige Denzel Dumfries unter de Boer als
       Hauptverantwortliche für das heilige Flügelspiel zum Einsatz kommen,
       kommentierte die große Tageszeitung De Volkskrant selbst nach diesem Fest
       für Offensivfreunde mit einer süffisanten Analogie: „Tatsächlich: Dumfries
       war eine Art Rechtsaußen. (…) Es ist, als würde man einem versierten
       Tischler sagen, dass er den Strom installieren soll, während die
       qualifizierten Elektriker untätig danebenstehen.“ Die Skepsis bleibt.
       
       In den Tagen vor der Partie hatten ein paar Oranje-Dogmatiker sogar ein
       Kleinflugzeug gemietet, das ein Banner mit einer klaren Forderung durch den
       Himmel von Amsterdam zog: „Frank, wie immer 4-3-3“. De Boer war es egal,
       der Trainer beschreitet einen Weg, der mehr und mehr einer pädagogischen
       Mission gleicht. Der ehemalige Weltklasseverteidiger ist dabei, seinem Volk
       beizubringen, dass Flexibilität, Pragmatismus und der richtige Einsatz der
       konkret vorhandenen Spielerqualitäten entscheidende Faktoren auf dem Weg
       zum schönen Spiel sind.
       
       Dumfries, der zusammen mit Mario Götze und unter dem deutschen Trainer
       Roger Schmidt bei der PSV Eindhoven spielt, entpuppte sich als brillanter
       Flügelspieler für eine Fünferkette. Schon in der ersten Hälfte hatte er
       zwei gute Torchancen. Die ersten beiden Tore bereitete er dann mit
       energischen Vorstößen vor, bevor er den Siegtreffer selber köpfte. Das
       Stadion tobte.
       
       ## Wout Weghorst wird gefeiert
       
       „Es kommt mir zugute, wenn ich mit viel Tempo spielen kann“, sagte
       Dumfries, nachdem er die mit einem roten Stern verzierte Trophäe für den
       besten Spieler der Partie überreicht bekommen hatte. „Wir verbessern uns,
       und ich möchte so viel wie möglich in den Bereichen des Gegners sein.“
       Offenkundig ist er ein Tischler mit ganz hervorragenden Talenten zur
       Strominstallation.
       
       Mit Sprechchören gefeiert wurde aber auch Wout Weghorst, der mit seinen 28
       Jahren sein erstes Turnierspiel für Holland absolvierte und sein zweites
       Tor für die Auswahl schoss. Mit diesem eher wuchtigen als filigranen
       Stürmertyp haben die Niederländer lange gehadert, und Weghorst unterlief
       auch ein folgenschwerer Fehler, als er vor dem zwischenzeitlichen 2:2
       seinen Gegenspieler Roman Yaremchuk entwischen ließ. Zuvor war ihm aber in
       Kooperation mit Dumfries das 2:0 gelungen.
       
       „Große Teile des Spiels waren wir komplett überlegen“, sagte Weghorst
       anschließend. Und das lag nicht zuletzt an einem Mann, an dessen Spiel
       selbst die Traditionalisten wenig auszusetzen haben: Frenkie de Jong vom FC
       Barcelona, der wie ein klassischer Spielmacher entschied, wann durch welche
       Räume in welchem Tempo nach vorne gespielt wird. Die Niederlande haben
       einen eigenen, von ihren großen Traditionen entkoppelten Stil entwickelt,
       der turniertauglich ist, so viel ist nach diesem ersten Spiel klar. „Wir
       können stolz sein“, sagte de Boer, auch wenn noch „weitere Schritte in der
       Entwicklung nötig“ seien.
       
       14 Jun 2021
       
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