# taz.de -- taz🐾thema: Horrorfilm an einem Frühlingsmorgen
       
       > Homestory mit Exodus: Wie sich im Wohnzimmer unserer Autorin ein
       > Bienenstaat teilte
       
       Es war ein schöner Spätfrühlingsmorgen mit blauem Himmel und Sonne. Noch
       etwas verschlafen öffnete ich die Arbeitszimmertür und war schlagartig
       wach, weil ich mich einem Horrorfilm befand: Der Raum war durch Tausende
       Bienen verdunkelt, die sich an den Fensterscheiben und drumherum versammelt
       hatten – nicht etwa draußen, sondern drinnen. Ein geöffnetes Oberlicht
       hatte ihnen Einlass gewährt. Was machten die da? Was sollte ich machen? Sie
       bewegen sich langsam, eher träge, aber das hieß ja nichts. Würden sie mich
       angreifen? Wie sollte ich die wieder rauskriegen? Zitternd schlich ich zum
       Schreibtisch, nahm das Telefon aus der Aufladestation und floh im
       Zeitlupentempo rückwärts, die Insektenmassen im Blick. Tür zu, uff.
       
       Bienen waren mir einigermaßen vertraut, seit mein Nachbar zwei Völker auf
       dem Balkon über mir hegte. Aber eben über mir! Nicht bei mir! Ich rief ihn
       an: „Heinz! Ich hatte ein Oberlicht offen, und jetzt sind deine Bienen bei
       mir! Es sind Millionen! Du musst sofort runterkommen und etwas machen!“
       
       Heinz war jedoch gerade nicht zu Hause, wie er mir mitteilte, sondern auf
       Reisen. Er klang entspannt. Es sei gut möglich, dass es sich um seine
       Bienen handele. Alles sei normal, sagte er, vielleicht ein bisschen früh.
       Ein Bienenvolk teile sich üblicherweise alle zwei Jahre. „Normal? Die sind
       in meinem Zimmer!“ Ja, sagte Heinz, da würden sie aber nicht lange bleiben.
       Sie verharrten nur bei mir, bis die Späherinnen einen neuen Platz für alle
       gefunden hätten, danach würden die Bienen abrauschen. Er werde mir dennoch
       eine befreundete Imkerin vorbeischicken, die den Schwarm einfangen könne.
       
       Damals bezweifelte ich, dass sich das Bienenproblem so einfach lösen ließe,
       aber wer imkernde Nachbarn hat, lernt immer dazu. Es ist tatsächlich so,
       dass der Bien sich nicht nur intern vermehrt, sondern auch extern. Ein gut
       genährtes, starkes Bienenvolk schickt einen Teil der Bewohnerinnen in die
       Welt. Von der aktuellen Königin durch Pheromone ausgelöst, bastelt der Bien
       zunächst sogenannte Weiselzellen. In normalen Zeiten wachsen darin
       Arbeitsbienen heran, jetzt Königinnen. Sie werden von den Ammen mit „Gelee
       Royal“, dem Superfood der Bienen, gefüttert. Ob der Nährstoff Königinnen
       produziert, ist nicht erwiesen, weil sich Insekten auch ohne den großen
       Nahrungsschub fortpflanzen können. Honigbienen züchten aber nach diesem
       Prinzip ihre starken neuen Königinnen heran, von denen nur eine übrig
       bleibt: Die Erstgeschlüpfte tötet ihre Konkurrentinnen. Gleichzeitig geht
       die alte Königin auf Diät, weil sie demnächst ausfliegen muss.
       
       Am Ende verlässt die halbe Population den Bienenstock, folgt der alten
       Königin und lässt sich in einem Warteraum nieder – das kann ein Baum sein,
       aber auch ein Arbeitszimmer. Das Verhalten des Biens ist in solchen
       Momenten pragmatisch. Ohne neue Wohnung ist er nicht auf Verteidigung
       geschaltet. Während Wächterinnen auf das Volk achten, untersuchen
       Späherinnen potenzielle neue Behausungen. Was sie gefunden haben, teilen
       sie den übrigen Bienen per Schwänzeltanz, Summen und Vibration mit. Ist der
       beste Ort gefunden, zieht der Schwarm um.
       
       Das alles wusste ich an diesem Tag nicht, als ich schlotternd auf die
       Imkerin wartete. Sie kam am Nachmittag mit einem Holzkasten und allerlei
       Gerätschaften und betrat furchtlos das Bienenzimmer. Es war jedoch zu spät:
       Der Schwarm war, wie prophezeit, ausgeflogen. Nur einige tote Bienen auf
       den Fensterbrettern zeugten davon, dass ich mir die Invasion nicht
       ausgedacht hatte.
       
       Hätte die Imkerin den Schwarm eingefangen, wäre er übrigens in ihren Besitz
       übergegangen – so steht es seit 1900 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). In
       den Paragrafen 960 („Wilde Tiere“) bis 964 („Vermischung von
       Bienenschwärmen“) sind die Eigentumsrechte an herrenlosen Bienen geregelt.
       So heißt es in Paragraf 960 (3): „Ein gezähmtes Tier wird herrenlos, wenn
       es die Gewohnheit ablegt, an den ihm bestimmten Ort zurückzukehren“ – das
       traf auf die Bienen meines Nachbarn eindeutig zu. Nach Paragraf 961
       („Eigentumsverlust bei Bienenschwärmen“) hätte Heinz den Schwarm
       „unverzüglich“ verfolgen müssen und dabei nach Paragraf 962 das Recht
       gehabt, fremde Grundstücke zu betreten. Dazu kam es bekanntermaßen nicht,
       und die Kurzzeitbewohnerinnen meines Arbeitszimmers sind vermutlich noch
       heute herrenlos.
       
       Carola Rönneburg
       
       20 May 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Carola Rönneburg
       
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